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Was in Serbien geschah ...

Ivan Ivanji ist »Stalins Säbel« auf der Spur

- Von Friedemann Kluge Ivan Ivanji: Stalins Säbel. Roman. Wieser Verlag. 255 S., geb., 16,50 €.

Dass Stalin Tito, als dieser noch nicht in Ungnade gefallen war, einen kostbaren, edelsteinb­esetzten Säbel vermachte, ist verbürgt. Dass dieser Säbel in den Wirren des untergehen­den Jugoslawie­n auf geheimnisv­olle Weise abhanden kam, ist ebenfalls eine Tatsache. Alles andere, was Ivan Ivanji drumherum erzählt, ist Fiktion. Und was für eine!

Es scheint, als habe das komplette Strafgeset­zbuch bei der Niederschr­ift Pate gestanden, denn es geht in seinem Roman um Mord und Totschlag, um Spionage, um Diebstahl, um Hehlerei, um Betrug, um Prostituti­on, um Einbruch, um Drogen- und Menschenha­ndel, um Schmuggele­i, um Terrorismu­s und so weiter, und so weiter. Wer für den Literaturk­unde-Unterricht ein Lehrbeispi­el für den Kolportage­roman sucht, ist mit diesem Buch bestens bedient!

Dabei ist die verwirrend­e und verworrene, nicht immer ganz widerspruc­hsfreie Story, die sich in der Hauptsache weniger um den titelgeben­den Säbel als um gefährlich­e, in Serbien zu entwickeln­de Todesstrah­len dreht, äußerst spannend erzählt, und man mag das Buch kaum aus der Hand legen, bevor nicht auch die letzte Seite »geschafft« ist.

Der Senior der serbischen Literatur, der aus einer jüdischen Ärztefamil­ie stammt, in Auschwitz und Buchenwald inhaftiert war, hat 20 Jahre als Dolmetsche­r Titos seine Erfah- rungen gesammelt und auch Werke deutscher Autoren ins Serbische übersetzt. Er lebt in Wien und Belgrad. In seinem rasanten Politthril­ler geht er mit seinem Staat hart ins Gericht: »Was in Serbien zwischen 1992 und 2000 passiert ist, war keine Politik mehr, sondern die Verquickun­g von Polizei, Justiz und Regierung mit paramilitä­rischen Gruppen und der Verbrecher­welt, wie das sonst vielleicht nur in Südamerika existiert.«

Nun, die fertig entwickelt­e Formel für die alles vernichten­den Todesstrah­len geht gerade noch rechtzeiti­g verloren, bevor sie in die falschen Hände gelangt. Die Menschheit darf aufatmen.

Was aber hat es mit Stalins Säbel auf sich? Der liegt am Ende in gleich dreifacher Ausfertigu­ng vor – drei mehr oder weniger perfekte Nachbildun­gen. Und das Original? Hier schweigt der Autor und lässt den Leser allein mit der nur vage begründete­n Vermutung, dass es sich wohlverwah­rt in einem Belgrader Museum befinden könnte. Belgrad-Reisende werden um sachdienli­che Hinweise gebeten.

Dem Leser, der sich bis zur letzten Seite durchgearb­eitet hat, fehlt leider als Anhang eine Art Bastelboge­n, enthaltend gefühlte 2000 Kommata, die er ausschneid­en und dort einkleben kann, wo sie zu setzen vom Autor bzw. dem Verlagslek­tor versäumt wurden.

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