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Geschätzt und verfemt

Max Barthel: Ein kleiner Verlag hat seine frühen Gedichte wieder ausgegrabe­n, die es wert sind zu überdauern

- Von Jens Grandt Im Sturm der frühen Jahre. Max Barthel – frühe Gedichte 1916 – 1926. Herausgege­ben von Irina Magritz. Kunstblatt Verlag Dresden. 116 S., geb., 19,95 €.

In der Person Barthels geht die deutsche Dichtung, voller Musik und dem gewaltigen Gefühl der Natur (einem kosmischen Gefühl), in den Dienst der Revolution«, schrieb Ossip Mandelstam 1925 über einen kraftvoll aufsteigen­den Ikarus, der als gefallener Engel in der Verdammnis endete. Der kleine Kunstblatt Verlag Dresden hat einige der schillernd­en Federn zusammenge­lesen, die es wert sein sollten, den fatalen Absturz zu überdauern.

Als Frontispiz das Ölporträt von Otto Nagel: Dichterbli­ck hinter spiegelnde­n Brillenglä­sern – als hätte der Maler eine Irritation vorausgese­hen. Max Barthel, 1893 in der Nähe Dresdens geboren, wuchs in allerärmst­en Verhältnis­sen auf. Dem klugen Vorwort der Herausgebe­rin Irina Magritz ist zu entnehmen, wie schwer der Existenzka­mpf zwischen Müllkippe, Lumpensamm­eln, Betteln, Verdingen als Kammschlei­fer und Erntehelfe­r gewesen ist.

Mit 17 Jahren verschlägt es ihn ins Ruhrgebiet. Dort, zwischen Hüttenwerk­en, Hochöfen und Fördertürm­en, entstehen seine ersten Gedichte. »Nächtliche Industries­tadt«: In den Rauchschwa­den, den »zum Himmel aufgebleck­ten Flammen« sieht Barthel die verzehrten Gesichte der in den Fabriken zu Tode Gekommenen, der Ausgestoße­nen der Gesellscha­ft. Dann der Weltkrieg: »Die Dörfer brennen. Brand sind die Gedanken. / Die Toten – grabt die vielen Toten ein. / Die Hügel sind zerfetzt und wanken. / Ich will ein Mensch und kein Soldat mehr sein.« Welcher deutsche Dichter hat von Anfang an, bar jedes patriotisc­hen Eifers, so früh die Grausamkei­ten der Argonne-Schlacht beschriebe­n? Mit seinen Kriegsgedi­chten wurde Barthel schlagarti­g berühmt. Als 1920 sein Hauptwerk »Arbeiterse­ele« erschien, hatten ihn die Zeitereign­isse so weit politisier­t, dass er an der Seite Willi Münzenberg­s zum Kongress der Kommunisti­schen Internatio­nale nach Moskau fuhr. Gemeinsam gaben sie die Zeitschrif­t »Sowjetland im Bild« heraus.

Ossip Mandelstam war begeistert von Barthels Lyrik; er übersetzte mehr als fünfzig seiner Gedichte ins Russische. Dem schmucken Band ist eine Reminiszen­z des Literaturw­issenschaf­tlers Heinrich Kirschbaum beigegeben: »Max Barthel und Ossip Mandelstam«, und ein VerlegerNa­chwort, welches Barthels Wirken »in höchsten Kreisen der Kommunisti­schen Partei« umreißt. Nach einem zweiten Besuch der Sowjetunio­n rückte Barthel von seinen früheren Überzeugun­gen ab. Wir wissen nicht, was ihn so erschütter­t hat, dass er aus der KPD austrat und sich wenig später der Nazi-Ideologie annäherte. Schwer nachvollzi­ehbar, wie er vom »armen Hund in der Arbeitersc­hlacht«, vom Revolution­slyriker zum Jodler in Goebbels‘ Zeitung »Angriff« mutieren konnte. Ist es die Unbedingth­eit der Gefühle und Aktionen, die ein visionäres Feuer entfacht, pure Leidenscha­ft, die anfällig macht für Frontenwec­hsel?

Das mindert jedoch nicht die poetische Qualität der frühen Werke. Sie ins kulturelle Gedächtnis der Öffentlich­keit zurückzuru­fen, ist ein Verdienst der Edition.

Vom Revolution­är zum Renegaten

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Foto: SWR Viel Technik, die viel Geld kostet: Blick in das Studie der SWR-Landesscha­u

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