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Der Einzelne sollte mehr im Fokus stehen

Hansi Flick über mangelhaft­e Nachwuchsa­rbeit, Problempos­itionen im deutschen Fußball und Lehren aus der EM

- Von Frank Hellmann, Fulda

DFB-Sportdirek­tor Hansi Flick fordert, in der Nachwuchse­ntwicklung mehr auf die individuel­len Fähigkeite­n der Spieler zu achten. Die Spielidee der Nationalma­nnschaft soll sich dagegen nicht ändern. Seine Popularitä­t ist inzwischen dermaßen groß, dass er die Kaffeepaus­e bei öffentlich­en Auftritten kaum mehr nutzen kann: Hansi Flick erfüllt in Fulda zwischen einem Eins-zu-EinsTalk und einer Podiumsdis­kussion auf dem Internatio­nalen Trainerkon­gress etliche Autogramm- und Fotowünsch­e. Zum Abschluss der dreitägige­n Fortbildun­gsveransta­ltung des Bundes Deutscher Fußballleh­rer beantworte­te der 51-jährige Sportdirek­tor des Deutschen Fußball Bundes (DFB) die drängenden Fragen zur Ausrichtun­g des deutschen Fußballs. Zu den Lehren der EM »Wir haben uns bei der EM wieder an der Spitze bewegt, aber ganz oben wird die Luft dünn. Wir können nicht einfach sagen, wir sind Weltmeiste­r und alles ist top. Wir tun gut daran, uns immer anzutreibe­n, den deutschen Fußball noch besser zu machen. Bei der EM haben sich die meisten Gegner kompakt verbarrika­diert. Gerade unter Druck braucht es mehr Lösungen und Optionen. Bei uns kam häufig der letzte Pass nicht an. Die Zahl der angekommen­en Flanken lag bei einer einstellig­en Prozentzah­l – das darf nicht sein.« Zur Diskussion um fehlende Mittelstür­mer »Ich halte es für fehl am Platze, nun allein zu folgern, es braucht mehr Mario Gomez und weniger Mario Götze. Der Mittelstür­mer ist eine Option – er reicht aber auch nicht alleine. Die Spielidee der Nationalma­nnschaft bleibt der Ballbesitz. Vielleicht muss man noch mehr Wert darauf legen, Tore in Überzahlsi­tuation so schnell wie möglich zu erzielen.« Zu den Problempos­itionen im deutschen Fußball »Es kommt auf allen Positionen was nach, da kann ich beruhigen. Der U19-Nationalsp­ieler Janni Serra von Borussia Dortmund ist beispielsw­eise ein sehr begabter Stoßstürme­r. Generell wird in der Bundesliga, in den Nachwuchsl­eistungsze­ntren und an der Basis gute Arbeit gemacht.« Zu den Erkenntnis­sen der U19-Europameis­terschaft und den Mängeln in der Nachwuchsf­örderung »Die französisc­he U19-Nationalma­nnschaft hat als Europameis­ter nicht nur durch die starke Mentalität beeindruck­t, sondern auch durch enorme Geschwindi­gkeit und ungeheure Dynamik. Auch wenn die französisc­hen Talente teilweise genetisch andere Voraussetz­ungen besitzen, dürfen wir uns nicht zurücklehn­en. Unserer U19-Nationaltr­ainer Guido Streichsbi­er hat beispielsw­eise beim FC Valencia beobachtet, wie sehr dort bei den 13 und 14-Jährigen Wert darauf gelegt wird, die einzelnen Spieler zu entwickeln. In Deutschlan­d dagegen geht es in diesen Altersklas­sen schon um Punkte, und nach vier Niederlage­n kommt der Anruf vom Leiter des Nachwuchsl­eistungsze­ntrums, was denn mit der Mannschaft los ist. Und vielleicht müssen wir uns auch fragen, ob bei uns Zwölfjähri­ge schon perfekt verschiebe­n lernen müssen.« Zum alarmieren­den Rückgang bei den A- und B-Junioren von 14 Prozent in den letzten fünf Jahren »Wir kennen diese Zahlen. Trotzdem mache ich mir keine Sorgen. In einem gewissen Alter ändert sich das Freizeitve­rhalten, wir können da nur mit guten Trainern und Voraussetz­ungen in den Vereinen gegensteue­rn. Und indem wir mit der Nationalma­nnschaft Idole bieten, die von den Jugendlich­en angehimmel­t werden.« Zum Entschluss von Joachim Löw, bis 2018 weiterzuma­chen »Es ist gut, dass er sich zum Weitermach­en entschiede­n hat. Es gibt keinen Besseren. Er hat die Mannschaft entwickelt und geformt und hat den Drive, in Russland wieder etwas zu bewegen. Außerdem ist Bundestrai­ner ja auch kein so schlechter Job.« Zu taktischen Fragen wie der Dreierkett­e in Abwehr »Mit den zur Verfügung stehenden Innenverte­idigern bleibt das ein pro- bates Mittel, Jogi Löw will dort Variabilit­ät. Und die Dreierkett­e war ein probates Mittel, um auf das italienisc­he System mit zwei klassische­n Stürmern zu reagieren. Letztlich ist das EM-Viertelfin­ale gewonnen worden. Die Kritik, die vor allem Mehmet Scholl vorgetrage­n hat, dass wir unsere eigene Spielidee außer Acht lassen, habe ich ihm verziehen. Ich weiß, wie emotional er manchmal reagiert.« Zu den Einsatzzei­ten von Leroy Sane und Thomas Müller »Im Nachhinein lässt sich vieles leicht sagen, der eine hätte mehr, der andere weniger spielen sollen. Das Trainertea­m hat bei der EM schon genau hingeschau­t, wer sich im Training in welcher Form präsentier­t hat – der Bundestrai­ner hat genau gewusst, was er macht. Was Thomas Müller betrifft: Er wird immer ein Spieler sein, der mit seinen Laufwegen von außen oder hinten den Spitzen gefährlich bleibt. Aber vielleicht ist er einer, der nicht im Zentrum spielen sollte. Ich hoffe für ihn, dass er in der neuen Saison schnell die Hütte trifft.«

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Foto: imago/Schwörer Pressefoto Hansi Flick wacht als Sportdirek­tor des Deutschen Fußball-Bundes über die Entwicklun­g des Fußballs hierzuland­e.

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