Nur zwei von vielen Getöteten
Schünemann & Volic: Ein Krimi erklärt manches aus Geschichte und Gegenwart der Balkanstaaten
Nach »Kornblumenblau« nun »Pfingstrosenrot« – der zweite Fall für die Belgrader Kriminologin Milena Lukin. Dem Autorenduo Christian Schünemann und Jelena Volic ist zu gratulieren; hoffentlich bringen sie noch viele Bände zusammen heraus.
Schünemann, geboren 1968 in Bremen, hat Slawistik studiert und einige Jahre in Moskau und BosnienHerzegowina gearbeitet. Zudem ist er schon längst ein versierter Krimiautor. Mit Jelena Volic, die in Belgrad Neuere deutsche Literatur und Kulturgeschichte lehrt, ist er, wie es heißt, schon seit 25 Jahren befreundet. Wie sie es machen, dass sie zusammen Krimis schreiben? Indem sie E-Mails austauschen und sich immer mal wieder zusammensetzen.
Das Buch ist, wie das vorige, deutsch geschrieben und wurde nicht ins Serbische übersetzt. Zu brisant, zu heikel, es könnte Jelena Volic, die dort arbeitet, Schwierigkeiten bereiten. Denn auch diesmal liegt eine wahre Begebenheit zugrunde. Ein serbisches Ehepaar ist 2012 in Kosovo durch Genickschüsse getötet worden. Gefasst wurden der bzw. die Täter nicht, was den im Konflikt liegenden Serben und Kosovo-Albanern erlaubte, den Fall propagandistisch auszuschlachten.
Doch Milena Lukin begibt sich eben gerade nicht auf die nationalistische Schiene. Das vor allem ist den beiden Autoren zugute zu halten: dass sie über Geschichte und Gegenwart der Balkanstaaten genauestens Bescheid wissen und diese Kenntnisse in einer spannenden Handlung weitergeben können.
Sie fallen nicht auf die einfachen Formeln herein, wie sie während des NATO-Krieges gegen Jugoslawien viele deutsche Medien beherrschten. Man muss es sich vor Augen halten: Nach dem Zweiten Weltkrieg, als die Nazis in Serbien grausam gewütet hatten, war dies der erste deutsche Angriffskrieg. Die Folgen waren fatal.
Die jugoslawische Idee war ein Vielvölkerstaat gewesen, in dem man »zwischen den Nationalitäten und Teilrepubliken den Ausgleich suchte und immer wieder neue Kompro- misse schloss. Die fragile Konstruktion war mutwillig zerstört, mit Blut besudelt und die Idee von einem gemeinsamen südslawischen Staat zerstört worden.«
Geopolitische Interessen reflektiert Milena Lukic in diesem Zusammenhang nicht, aber sie ist eine scharfsinnige Denkerin und kann von vornherein nicht glauben, dass das serbische Paar von albanischen Nationalisten umgebracht worden ist. Was indes vor dem Hintergrund ethnischer Säuberungen nicht ganz unmöglich gewesen wäre. Gegenseitige Gewalt und Demütigungen – und hinzu kommt die Not, dass jeder sehen muss, wo er bleibt.
Ihre Ermittlungen, bei denen sie der Anwalt Siniša unterstützt, führen Milena an den Tatort (so dass man auch recht differenziert die Sichtweisen von Kosovo-Albanern kennenlernen kann) und nach Belgrad zurück.
Man kann gleichsam durch die Stadt gehen, wie sie die beiden Autoren beschreiben. Man sieht ein Krankenhaus von innen, den Markt, die Überbleibsel jener bürgerlichfeudalen Schicht, die aus dem Königreich Jugoslawien stammte, die arm und die reich Gewordenen. Man versteht, wie und warum nach dem Zerfall Jugoslawiens ein Netzwerk aus einflussreichen Politikern und Verbrechern entstand. Gelder aus Brüssel als Segen und Fluch: Oft nützen sie nicht denen, für die sie gedacht sind. Leider, das ist vielerorts so auf der Welt. Klare Worte von Anwalt Siniša: »Erst schmeißt die NATO Bomben und tritt das Völkerrecht mit Füßen, und dann sollen ein paar Millionen alles wieder in Ordnung bringen.«
Aber das Buch ist natürlich ein gekonnt geschriebener Krimi, in dem nach Indizien und Beweisen gesucht und Spannung immer wieder angefacht wird durch Verfolgungsjagden und sonst was für gefährliche Situationen. Am Ende gibt es dann noch eine ganz überraschende Wendung. Eine Person, von der man es zuallerletzt geglaubt hätte, sorgt für Gerechtigkeit.