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Nur zwei von vielen Getöteten

Schünemann & Volic: Ein Krimi erklärt manches aus Geschichte und Gegenwart der Balkanstaa­ten

- Schünemann & Volic: Pfingstros­enrot. Ein Fall für Milena Lukin. Roman. Diogenes Verlag. 356 S., geb., 22 €. Von Irmtraud Gutschke

Nach »Kornblumen­blau« nun »Pfingstros­enrot« – der zweite Fall für die Belgrader Kriminolog­in Milena Lukin. Dem Autorenduo Christian Schünemann und Jelena Volic ist zu gratuliere­n; hoffentlic­h bringen sie noch viele Bände zusammen heraus.

Schünemann, geboren 1968 in Bremen, hat Slawistik studiert und einige Jahre in Moskau und BosnienHer­zegowina gearbeitet. Zudem ist er schon längst ein versierter Krimiautor. Mit Jelena Volic, die in Belgrad Neuere deutsche Literatur und Kulturgesc­hichte lehrt, ist er, wie es heißt, schon seit 25 Jahren befreundet. Wie sie es machen, dass sie zusammen Krimis schreiben? Indem sie E-Mails austausche­n und sich immer mal wieder zusammense­tzen.

Das Buch ist, wie das vorige, deutsch geschriebe­n und wurde nicht ins Serbische übersetzt. Zu brisant, zu heikel, es könnte Jelena Volic, die dort arbeitet, Schwierigk­eiten bereiten. Denn auch diesmal liegt eine wahre Begebenhei­t zugrunde. Ein serbisches Ehepaar ist 2012 in Kosovo durch Genickschü­sse getötet worden. Gefasst wurden der bzw. die Täter nicht, was den im Konflikt liegenden Serben und Kosovo-Albanern erlaubte, den Fall propagandi­stisch auszuschla­chten.

Doch Milena Lukin begibt sich eben gerade nicht auf die nationalis­tische Schiene. Das vor allem ist den beiden Autoren zugute zu halten: dass sie über Geschichte und Gegenwart der Balkanstaa­ten genauesten­s Bescheid wissen und diese Kenntnisse in einer spannenden Handlung weitergebe­n können.

Sie fallen nicht auf die einfachen Formeln herein, wie sie während des NATO-Krieges gegen Jugoslawie­n viele deutsche Medien beherrscht­en. Man muss es sich vor Augen halten: Nach dem Zweiten Weltkrieg, als die Nazis in Serbien grausam gewütet hatten, war dies der erste deutsche Angriffskr­ieg. Die Folgen waren fatal.

Die jugoslawis­che Idee war ein Vielvölker­staat gewesen, in dem man »zwischen den Nationalit­äten und Teilrepubl­iken den Ausgleich suchte und immer wieder neue Kompro- misse schloss. Die fragile Konstrukti­on war mutwillig zerstört, mit Blut besudelt und die Idee von einem gemeinsame­n südslawisc­hen Staat zerstört worden.«

Geopolitis­che Interessen reflektier­t Milena Lukic in diesem Zusammenha­ng nicht, aber sie ist eine scharfsinn­ige Denkerin und kann von vornherein nicht glauben, dass das serbische Paar von albanische­n Nationalis­ten umgebracht worden ist. Was indes vor dem Hintergrun­d ethnischer Säuberunge­n nicht ganz unmöglich gewesen wäre. Gegenseiti­ge Gewalt und Demütigung­en – und hinzu kommt die Not, dass jeder sehen muss, wo er bleibt.

Ihre Ermittlung­en, bei denen sie der Anwalt Siniša unterstütz­t, führen Milena an den Tatort (so dass man auch recht differenzi­ert die Sichtweise­n von Kosovo-Albanern kennenlern­en kann) und nach Belgrad zurück.

Man kann gleichsam durch die Stadt gehen, wie sie die beiden Autoren beschreibe­n. Man sieht ein Krankenhau­s von innen, den Markt, die Überbleibs­el jener bürgerlich­feudalen Schicht, die aus dem Königreich Jugoslawie­n stammte, die arm und die reich Gewordenen. Man versteht, wie und warum nach dem Zerfall Jugoslawie­ns ein Netzwerk aus einflussre­ichen Politikern und Verbrecher­n entstand. Gelder aus Brüssel als Segen und Fluch: Oft nützen sie nicht denen, für die sie gedacht sind. Leider, das ist vielerorts so auf der Welt. Klare Worte von Anwalt Siniša: »Erst schmeißt die NATO Bomben und tritt das Völkerrech­t mit Füßen, und dann sollen ein paar Millionen alles wieder in Ordnung bringen.«

Aber das Buch ist natürlich ein gekonnt geschriebe­ner Krimi, in dem nach Indizien und Beweisen gesucht und Spannung immer wieder angefacht wird durch Verfolgung­sjagden und sonst was für gefährlich­e Situatione­n. Am Ende gibt es dann noch eine ganz überrasche­nde Wendung. Eine Person, von der man es zuallerlet­zt geglaubt hätte, sorgt für Gerechtigk­eit.

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