Merkel mahnt, Erdogan säubert
Kanzlerin besorgt, aber von Ankara als wichtigem Partner überzeugt
Berlin. Nach dem Putschversuch in der Türkei vor zwei Wochen schwimmt Präsident Recep Tayyip Erdogan mit seinen drakonischen Maßnahmen gegen Oppositionelle auf der Zustimmungswelle eines großen Teils seiner Landsleute. Auch in Deutschland sammeln sich seine Anhänger am Wochenende zu einer Demonstration in Köln. Dagegen demonstrierte Bundeskanzlerin Angela Merkel am Donnerstag ihre Distanz gegenüber der Verfolgung von Oppositionellen. Die Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit müssten gewahrt werden. Auf einer Pressekonferenz in Berlin bekundete sie, sie sehe die Entwicklung mit Sorge. Zugleich betonte sie, Ankara bleibe ein wichtiger Partner, Forderungen nach Abbruch der EU-Beitrittsverhandlungen erteilte sie eine Absage.
In dem mit Spannung erwarteten Presseauftritt kündigte sie einen Neun-Punkte-Plan gegen islamistischen Extremismus an. Ihren Kurs in der Flüchtlingspolitik bekräftigte sie: »Wir schaffen das und wir haben in den letzten elf Monaten sehr, sehr viel bereits geschafft.« Zu dem Maßnahmenpaket zählen Übungen unter Einbeziehung der Bundeswehr und verstärkte »Rückführungsanstrengungen« gegenüber Flüchtlingen. Zum Beispiel werde mit Afghanistan nach innerstaatlichen Flucht- alternativen gesucht. Auch mancher türkische Staatsangehörige in Deutschland dürfte sich Sorgen machen. Immerhin fordert Ankara die Auslieferung von Anhängern der Gülen-Bewegung. Außenminister Mevlüt Cavusoglu sprach in dem Zusammenhang von »manchen Richtern und Staatsanwälten«, die sich in Deutschland aufhielten.
In Ankara versammelte sich am Donnerstag erstmals seit dem Putsch die türkische Militärspitze, um den radikalen Umbau der Armee abzusegnen. Die Regierung ordnete die Schließung von 45 Zeitungen und 16 Fernsehsendern an.
29 Verlage, 23 Radiosender, 15 Zeitschriften verboten an einem einzigen Tag – es gibt schlechte Gründe genug, warum Mittwoch, der 27. Juli, als schwarzer Tag in der türkischen Mediengeschichte vermerkt werden muss. Den Betroffenen dürfte es weit übler ergehen als jenem deutschen Fernseh-Comedian, der sich im Frühjahr flache Witzchen über die Majestät in Ankara erlaubte. Er kann Erdogans Wüten aus sicherer Entfernung, in diesem Fall Köln, verfolgen. Sie nicht.
Doch auch Köln könnte erschaudern, wenn Erdogans Fünfte Kolonne namens Union Europäisch-Türkischer Demokraten am Wochenende dort aufläuft, um das Schleifen politischer Grundfreiheiten als Errungenschaft zu feiern. Die Stadt am Rhein wie die Landesregierung vertritt den zweifelhaften Standpunkt, dies aus Gründen der Meinungsfreiheit aushalten zu müssen. Mehr können sich deren Gegner in Ankara kaum wünschen.
Nicht nur Bürger kurdischer und türkischer Provenienz, die sich den von Erdogan geforderten Unterwürfigkeitsgesten verweigern, dürften sich an die unappetitliche, weil die Opposition verhöhnende Wahlkampf-Show Erdogans von 2014 in Köln erinnert fühlen. Die damals versprochenen Lehren daraus hat niemand gezogen – nicht die Stadt, nicht das Land, nicht die Bundesregierung. Erdogans Epigonen werden es zu feiern wissen.