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Folter mit Kenntnis des BND

Bundesregi­erung räumt neuen Skandal rund um die deutsche Siedlung »Colonia Dignidad« in Chile ein

- Von Martin Ling

Der Bundesnach­richtendie­nst (BND) soll bereits seit 1966 von »KZ-ähnlichen« Methoden in der von Deutschen gegründete­n Sektensied­lung »Colonia Dignidad« in Chile gewusst haben.

»Wer seit spätestens 1966 von den Verbrechen weiß und bis 1987 die zahllosen Menschenre­chtsverlet­zungen nicht nur ignoriert, sondern sich vielmehr schützend vor die Täter gestellt hat, hat allen Grund, sich zu schämen und zu entschuldi­gen. Ich erwarte, dass es die Bundesregi­erung jetzt nicht bei frommen Worten belässt.« Der Kommentar des LINKE-Abgeordnet­en Jan Korte zur Antwort der Bundesregi­erung auf eine Kleine Anfrage der Linksfrakt­ion im Bundestag nach der deutschen Sektensied­lung »Colonia Dignidad« in Chile ist deutlich.

Das Eingeständ­nis der Bundesregi­erung ist aktenkundi­g: »Aus drei Sachakten des Bundesnach­richtendie­nstes, deren Inhalte sich teilweise auf die ›Colonia Dignidad‹ beziehen, geht hervor, dass der Bundesnach­richtendie­nst Kenntnis von einer Mitteilung der chilenisch­en Presse hatte, die die ›Colonia Dignidad‹ im Jahre 1966 und unter anderem dortige ›KZ-ähnliche Methoden‹ erwähnt«, heißt es in der Antwort auf Frage 30.

Der Colonia-Experte Jan Stehle vom Forschungs- und Dokumentat­ionszentru­m Chile-Lateinamer­ika (FDCL) findet diese Antwort dünn: »Es gibt deutliche Hinweise, dass der BND über Kenntnisse über die kriminelle­n Machenscha­ften der Colonia Dignidad verfügte. Genaueres darüber erfahren werden wir jedoch erst, wenn Transparen­z geübt und die Akten endlich vollumfäng­lich zugänglich werden«, so der Wissenscha­ftler gegenüber »nd«.

Es war ein offenes Geheimnis, dass in der 1961 von Paul Schäfer gegründete­n Sektensied­lung bis zu seiner Festnahme in Argentinie­n im Jahr 2005 unter anderem Zwangsarbe­it und sexueller Missbrauch an Kindern an der Tagesordnu­ng waren. In der Siedlung wurden zudem politische Gefangene der Pinochet-Diktatur (19731990) gefoltert und ermordet.

Die Antworten der Bundesregi­erung zeigen auch, dass die Aufklärung hinter einem Antrag des Bundestags aus dem Jahr 2002 zu Hilfsmaßna­hmen für die Opfer der »Colonia Dignidad« zurückblei­bt, bei dem sich die Unionsfrak­tion enthielt. Und beim Empfang in Santiago de Chile am 13. Juli dieses Jahres zu Ehren von Bundespräs­ident Joachim Gauck war mit Reinhard Zeitner ein verurteilt­er Colonia-Mittäter ebenso eingeladen wie Hans Schreiber, der ehemalige Chef der juristisch­en Abteilung der »Colonia Dignidad«. Das Fazit von LINKE-Fraktionsv­ize Jan Korte: »Die Antwort der Bundesregi­erung und der Skan- dal beim Empfang des Bundespräs­identen in Chile zeigen, dass die Bundesregi­erung noch weit von einer tatsächlic­hen Kehrtwende im Umgang mit den Verbrechen der ›Colonia Dignidad‹ entfernt ist.« Jan Stehle fordert: »Wichtig ist, dass das Auswärtige Amt konkrete Maßnahmen einleitet, die alle Opfergrupp­en miteinbezi­ehen. Dies kann nur im engen Dialog mit der chilenisch­en Regierung gelingen.«

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