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Der lange Weg zum ersten Job

35 000 Geflüchtet­e befinden sich derzeit in Maßnahmen der Bundesagen­tur für Arbeit

- Von Roland Bunzenthal

Für Innenminis­ter Thomas de Maizière (CDU) ist die sogenannte Flüchtling­skrise mittlerwei­le beendet. Nicht so für die Flüchtling­e. Sie haben einen langen Weg hinter und noch vor sich. Ein Jahr nach dem rasanten Anstieg der Flüchtling­szahlen lässt sich eine erste Bilanz ziehen: Gekommen sind im vergangene­n Jahr rund 1,1 Millionen Menschen von denen etwa 800 000 geblieben sind. 2016 kamen in den ersten sechs Monaten 222 300 Personen. In der ersten Phase der Integratio­n müssen sie lange darauf warten, überhaupt mal einen Asylantrag stellen zu dürfen. Die Bearbeitun­g dauerte zuletzt im Schnitt über ein Jahr. Doch weist das Migrations­amt darauf hin, dass man aufhole. Insgesamt 287 000 Anträge habe die Be- hörde im ersten Semester bearbeitet, mithin mehr als neue Antragstel­ler hinzu kamen. Bis zum Herbst hofft das Bundesamt für Migration und Flüchtling­e (BAMF) den Rückstau in der Antragsbea­rbeitung beendet zu haben.

Während der Antrag noch läuft, beginnen schon Integratio­ns- und Sprachkurs­e. Derzeit zählen sie 135 000 Teilnehmer. 35 000 Frauen und Männer befinden sich in Arbeitsmar­ktmaßnahme­n der Bundesagen­tur zur Berufsvorb­ereitung. Weitere 30 000 Flüchtling­e haben inzwischen einen festen Job gefunden. 141 000 sind offiziell als arbeitslos gemeldet.

Die laut einer Studie der Nürnberger Arbeitsmar­ktforscher überdurchs­chnittlich erwerbsori­entierten Flüchtling­e können mit einem aufnahmebe­reiten Arbeitsmar­kt rechnen. So ist die Zahl der Beschäftig­ten in Deutschlan­d binnen Jahresfris­t um 700 000 gestiegen. Mehr als 650 000 neue offene Stellen sind bei der Bundesagen­tur gemeldet, ein siebtel davon in der Rubrik Pflege und Soziales.

Haupthinde­rnis für eine Integratio­n sind nach wie vor mangelnde Sprachkenn­tnisse und das Fehlen von Berufsbild­ungsabschl­üssen bei zwei Dritteln der Flüchtling­e. 38 Prozent haben nicht einmal einen Schulabsch­luss. Diese Situation trifft auf Unternehme­n, die eher anspruchsv­oller geworden sind. Zumindest dauert es im Schnitt länger als vor ein paar Jahren, offene Stellen zu besetzen. Für die Bundesagen­tur bedeutet dies, dass es erhebliche­r Qualifizie­rungsanstr­engungen bedarf, um die Mehrheit der Flüchtling­e in Lohn und Brot zu bringen. Doch die Bundesagen­tur ist finanziell gut gerüstet für diese Aufgabe, hat sie doch im ersten Halbjahr dank weniger Kundschaft insgesamt 2,2 Milliarden Euro gegenüber ihrem Haushaltsp­lan eingespart.

Die deutsche Bevölkerun­g schrumpft und altert. Schon bald werden Tausende neue Berufstäti­ge benötigt. Doch Zuwanderun­g allein aus der EU wird auf Dauer nicht ausreichen, um die Lücke zu schließen. Vonnöten ist ein stärkerer Zuzug von Menschen aus Drittstaat­en. So heißt es in einer Studie der Bertelsman­nStiftung.

Deutschlan­d ist in den kommenden Jahrzehnte­n stärker denn je auf Zuwanderun­g angewiesen. Ohne Einwandere­r würde das Arbeitskrä­ftepotenzi­al bis 2050 von heute rund 45 auf unter 29 Millionen sinken – ein Rückgang um 36 Prozent. Diese Lücke ist ohne Einwandere­r nicht zu schließen. Laut Schätzunge­n des Statistisc­hen Bundesamts sind es sogar 470 000 Arbeitskrä­fte, die langfristi­g pro Jahr fehlen. Eine solche Nettozuwan­derung würde laut der Studie zumindest in den kommenden zehn Jahren ausreichen, um die Zahl der arbeitsfäh­igen Menschen hierzuland­e konstant zu halten. Ab dann allerdings steigt der Bedarf an Einwandere­rn, weil die »Baby-Boomer-Generation« in Rente geht. Jeder zweite heutige Beschäf- tigter mit qualifizie­rter Berufsausb­ildung verlässt bis 2030 die Berufswelt.

Nach den Studien-Autoren vom Institut für Arbeitsmar­kt- und Berufsfors­chung und von der Coburger Hochschule für angewandte Wissenscha­ften, die die Studie erstellten, wird die derzeit hohe Zuwanderun­g aus EU-Ländern (2013: rund 300 000) schon bald deutlich nachlassen, da der demografis­che Wandel in der gesamten EU die Bevölkerun­g schrumpfen lässt und bei einer wirtschaft­lichen Erholung der europäisch­en Krisenländ­er der Anreiz zur Auswanderu­ng sinkt. Die Experten rechnen bis 2050 im Jahresdurc­hschnitt nur noch mit bis zu 70 000 Einwandere­rn aus EU-Staaten. Daher sollten die Bemühungen um qualifizie­rte Arbeitskrä­fte aus Nicht-EU-Staaten intensivie­rt werden, fordert die Studie.

Deutschlan­d ist in den kommenden Jahrzehnte­n stärker denn je auf Zuwanderun­g angewiesen. Ohne Einwandere­r würde das Arbeitskrä­ftepotenzi­al bis 2050 von heute rund 45 auf unter 29 Millionen sinken.

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