Türkei im Banne der Gesinnungsjäger
NRW-Innenminister warnt Teilnehmer von türkischen Kundgebungen in Köln vor Aufrufen zur Gewalt
Der türkische Staat setzt auf Härte und drückt beim Rückbau der Demokratie weiter auf ein atemberaubendes Tempo. Auch Deutschland droht Schauplatz von Auseinandersetzungen zu werden. Die Chronisten haben Mühe, mit dem Zählen nachzukommen. Jeden Tag werden in der Türkei Menschen aus politischen Gründen verhaftet, unter Anklage gestellt, suspendiert, entlassen, ihrer Existenz beraubt; werden Rundfunksender, Schulen und andere Einrichtungen geschlossen, das Vermögen konfisziert.
Weiterhin steht die Armeeführung im Zentrum der präsidententreuen Säuberungskommandos. Bis zum Mittwochabend seien »wegen ihrer mutmaßlichen Verwicklung in den Putschversuch«, so ein türkischer Behördenvertreter, 149 Generale und Admirale aus der Armee entlassen worden. 87 der Geschassten gehörten dem Heer, 30 der Luftwaffe und 32 der Marine an. Das dürfte knapp die Hälfte des gesamten Generalstabs sein.
Am Donnerstag kamen weitere Militärs dazu. Laut der Nachrichtenagentur Dogan gaben der Generalstabschef des Heeres, Ihsan Uyar, und ein weiteres Stabsmitglied von sich aus ihre Posten auf. Möglicherweise wollten sie ihrer unehrenhaften Amtsenthebung auf der danach begonnenen Sitzung des Militärrates zuvorkommen. Die Zahl der aus den Streitkräften ausgestoßenen Offiziere liegt laut Agentur Dogan inzwischen bei etwa 1100.
Der zweite große Schlag der vergangenen 48 Stunden richtete sich erneut gegen Medien. Der Generalvorwurf lautet wie stets Verbindungen zu Gülen, der für Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan inzwischen so etwas ist wie Osama bin Laden für George Bush jun., also die Inkarnation alles Bösen. Obwohl die Liste derer, die es diesmal traf, nicht veröffentlicht wurde, pfeifen es die Spatzen von den Minaretten, dass wichtige kurdische Blätter und Sender da- bei sind. Ihnen Verbindungen zum in den USA im Exil lebenden Prediger Fethullah Gülen vorzuwerfen, ist wohl selbst den Gesinnungsjägern des Präsidenten zu lächerlich.
Aber für Kurden bzw. Mitglieder der HDP, der linksorientierten De- mokratischen Partei der Völker, gibt es hilfsweise den Vorwurf des Terrorismus, der Präsidentenbeleidigung und ähnliches. Laut AFP sind unter den Sanktionierten die Nachrichtenagentur Cihan, der kurdische Sender IMC TV und die Istanbuler Zeitung »Taraf«, die bisher noch nicht zum gleichgeschalteten Chor der Erdogan-Huldiger zählten.
Auch in Deutschland gehen die Erdogan-Anhänger auf Konfrontationskurs. Am Sonntag wollen sie in Köln, einer Hochburg kurdisch/tür- kischstämmiger Zuwanderer, eine als Demonstration gegen den Putsch angemeldete Siegesfeier starten. Die Kundgebung in Köln wurde von der Union Europäisch-Türkischer Demokraten (UETD) angemeldet, so etwas wie der Auslandsarm der in Ankara regierenden Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung. Gegendemonstrationen sind bereits angekündigt.
Die in Nordrhein-Westfalen starke kurdische Gemeinde will auf eine eigene konfrontative Kundgebung verzichten. Allerdings unterzog sie die UETD-Aktivitäten scharfer Kritik. Cahit Basar von der Kurdischen Gemeinde Deutschland sagte, mit der geplanten Großdemonstration von Türken »tragen wir die Integrationspolitik dieses Landes zu Grabe«. Die Konflikte aus der Türkei würden eins zu eins nach Deutschland hineingetragen. Dabei hätte die demokratisch-pluralistische Gesellschaft hierzulande allen »eine gute Basis geboten, aufeinander zuzugehen und unser Miteinander nicht von außen vergiften zu lassen«, wird er von AFP zitiert.
Nordrhein-Westfalens Innenminister Ralf Jäger drohte, wem auch immer, wir sehen »sehr genau hin, ob bei der Demonstration der Boden des Grundgesetzes verlassen wird«. So seien am Sonntag Dolmetscher in Köln vor Ort, die prüfen sollen, ob Reden und Transparente »von der Meinungsfreiheit gedeckt seien oder etwa zu Gewalt, Boykott und Denunziation aufgerufen« werde.
Ausnahmezustand, Demokratieabbau und die Attentate in Metropolen haben das Interesse von Ausländern an Türkei-Besuchen stark sinken lassen. Im Juni seien 2,4 Millionen Ausländer und damit 41 Prozent weniger als im Vorjahresmonat eingereist, teilte das Tourismusministerium mit. Die Zahl der deutschen Touristen, mit 14 Prozent die größte Gruppe, sank im Vergleich zum Juni 2015 um 38 Prozent. Der Juni sei der elfte Monat in Folge mit gesunkenen Besucherzahlen im Vergleich zum Vorjahr gewesen. Sogar um 93 Prozent ging die Zahl der russischen Besucher zurück.