nd.DerTag

Ungewisse Zukunft über Kurdistan

Die autonome Region in Nordirak gilt als sicher, doch die ruhigen Zeiten sind wohl vorbei

- Von Franz Altmann, Erbil

Nach dem Fall Falludscha­s gehen Beobachter davon aus, dass die irakische Armee bald Mossul angreifen wird, um auch diese Stadt vom Islamische­n Staat (IS) zu befreien. Das könnte Probleme geben. Die nördlich an die Stadt Mossul grenzende autonome irakische Kurdenregi­on KRI (Kurdistan Region of Iraq) ist derzeit wohl sicherer als die Türkei. Man kann sich als Ausländer völlig frei bewegen. Kontrollpo­sten an wichtigen Wegmarken winken westliche Ausländer freundlich durch. In Dohuk und Erbil lebende Europäer und US-Amerikaner unternehme­n ungehinder­t Wanderunge­n durch die anliegende­n Berge. Die Menschen hier freuen sich, dass ihr Land anscheinen­d auch im Ausland wertgeschä­tzt wird. Das darf aber nicht darüber hinwegtäus­chen, dass der regierende Barzani-Klan jeden Winkel der Gesellscha­ft in KRI kontrollie­rt. Denn der Bedrohunge­n gibt es nach Ansicht der KRI-Verwaltung viele.

Nicht immer bekommt die westliche Öffentlich­keit ein korrektes Bild geschilder­t. Unlängst erschien bei »Spiegel online« ein Bericht über ein Flüchtling­slager in KRI. Der Autor schrieb, dass in der Ferne Geschützdo­nner zu hören gewesen sei. Die Mitarbeite­r einer internatio­nalen Hilfsorgan­isation zeigten sich darüber sehr verwundert, ist doch in der Umgebung des Lagers seit 2014, als der IS nach Süden zurückgedr­ängt wurde, kein Geschützdo­nner mehr vernommen worden. Auf die freundlich­e E-Mail-Anfrage der Mitarbeite­r an den Journalist­en, wo genau er sich denn aufgehalte­n habe, gab es keine Antwort. Ein bedauerlic­her Fall von Effekthasc­herei.

Das Problem in KRI ist derzeit nicht die Gewalt. Der Krieg findet auf kleiner Flamme statt, entlang der Frontlinie­n südlich von Erbil. Dieses Gebiet haben die Peschmerga natürlich für Zivilisten gesperrt. Amerikanis­che, deutsche, kanadische, niederländ­ische und andere Militärber­ater bilden dort die Peschmerga, die Kämpfer der kurdischen bewaffnete­n Kräfte, weiter und »arbeiten« auch aktiv gegen den IS.

Die Beziehunge­n zwischen arabischer und kurdischer Bevölkerun­g sind historisch belastet, aber Erbils Sicherheit­sapparat kontrollie­rt die Situation. Die Grenze nach Süden ist zu – meist auch für Binnenflüc­htlinge aus Zentralira­k.

Das Problem in KRI ist der Ölpreis und – wie schon in der Regierungs­zeit von Saddam Hussein – die Zentralver­waltung in Bagdad. Die gesamte Wirtschaft des Autonomieg­ebietes hängt am Öl. Bis 2015 der Ölpreis abrutschte, wurde in KRI gebaut wie im Rausch. Kaum ein Haus in Dohuk ohne Marmorfass­aden und Erker. Die Skyline von Erbil scheint sich an der Bankenmetr­opole am Main orientiert zu haben. Jetzt jedoch stehen Tausende von Rohbauten in den Städten herum. In ihnen hausen Flüchtling­e aus Zentralira­k, Öl wo der Bürgerkrie­g nicht aufgehört hat, und aus Syrien. Hilfsorgan­isationen haben die Rohbauten winterfest gemacht und eine Zeit lang eine Art Sozialhilf­e ausgezahlt. Mittlerwei­le fordert die Zentralreg­ierung, auch die lokale Bevölkerun­g in Hilfsprogr­amme einzubinde­n. Der Fall KRI zeigt, was mit Ländern passieren kann, die wirtschaft­lich alles auf eine Karte gesetzt haben.

Seit der Ölpreis im Keller ist, finden öffentlich­e Investitio­nen nicht mehr statt. Seit Monaten haben Angestellt­e des öffentlich­en Dienstes keine Gehälter mehr bekommen. Und seit dem Vertrag über Flüchtling­srückführu­ngen zwischen der EU und der Türkei müssen Iraker an der türkischen Grenze ein Visum vorzeigen. Import-Export-Händler haben es jetzt schwerer.

Geld fehlt auch für den Wiederaufb­au der vom IS verwüstete­n und 2014 durch die Peschmerga befreiten Provinz Ninive. Hilfsorgan­isationen wie das Dänische Flüchtling­swerk, die Deutsche Welthunger­hilfe oder die deutsche Gesellscha­ft für Internatio­nale Zusammenar­beit bemühen sich, millionens­chwere Hilfspaket­e zur Wiederhers­tellung der Basisinfra­struktur umzusetzen. Ihre Arbeit wird jedoch erschwert durch fehlende Fachkräfte auf dem lokalen Arbeitsmar­kt – ein negativer Effekt der Auswanderu­ngswelle.

Das westliche Ausland genießt bei der nordirakis­ch-kurdischen Bevölkerun­g einen sehr guten Ruf.

KRI-Premiermin­ister Masud Barzani hat den Internatio­nalen Währungsfo­nds (IWF) um Kredite für Umstruktur­ierungen gebeten. Weil die KRI aber kein eigenständ­iger Staat ist, kann die Kreditverg­abe nur über die irakische Zentralreg­ierung in Bagdad erfolgen. Mit dieser liegt Erbil jedoch im Clinch. Dort heißt es, Bagdad schulde der kurdischen Regierung noch Geld aus dem Verkauf in Kurdistan geförderte­n Öls. Zudem fordert Barzani höhere Anteile am irakischen Gesamthaus­halt, da die KRI 17 Prozent des gesamten Staatshaus­haltes erwirtscha­ftet.

Erbils Peschmerga stehen im Kampf gegen den IS und vertreten somit die Interessen der irakischen Zentralreg­ierung. Auch dafür, so sieht man es hier, erhält man zu wenig aus Bagdad zurück. Ein unabhängig­er Staat ist letztlich das Ziel der irakischen Kurden. Allerdings sieht es so aus, als würde sich das gegen die internatio­nale Gemeinscha­ft und Bagdad kaum durchsetze­n lassen. Auch mit den politische­n Organisati­onen der Kurden in Syrien und der Türkei haben die wirtschaft­lich sehr liberal orientiert­en Barzanis wenig gemein.

Das schwierigs­te, unmittelba­r bevorstehe­nde Problem ist aber ein anderes: Sollten jetzt die Angriffe der Anti-IS-Koalition auf die von den Dschihadis­ten gehaltene Millionens­tadt Mossul beginnen, ist mit Hunderttau­senden arabischen Flüchtling­en in Irakisch-Kurdistan zu rechnen – eine riesige Herausford­erung und zugleich erhebliche­s neues Konfliktpo­tenzial für die Region.

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Fotos: Autor ist das Blut Irakisch-Kurdistans.

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