Kritik unerwünscht
Schuhbranche reagiert mit Ablehnung auf Studien zu schlechten Arbeitsbedingungen
Erste Reaktionen auf die Studie »Labour on Shoestring« über die Arbeitsbedingungen in der Schuhindustrie zeigen: Bis zu einem wirklichen Dialog ist der Weg noch weit. Dicke Bretter haben sie gebohrt: ArbeiterInnen, Nichtregierungsorganisationen und Gewerkschaften. Und immerhin kleine Erfolge können sie vorweisen, nach jahrelangen Streiks und Kampagnen, aber auch nach vielen Opfern durch Fabrikbrände und zusammengestürzte Gebäude. Internationale Abkommen für bessere Arbeitsbedingungen und Gewerkschaftsrechte sind auf dem Weg – die Textilbranche arbeitet daran, den Imageschaden zu beheben.
Anders stellt sich die Situation in der Schuhbranche dar. Nach der Veröffentlichung der Unternehmensbefragung »Trampling workers Rights underfoot – Rechte von ArbeiterInnen mit Füßen getreten« der Kampagne für Saubere Kleidung im Juni diesen Jahres, zeigen die Reaktionen, »hier hat sich im Vergleich mit der Textilindustrie nicht viel getan«. Das sagt Berndt Hinzmann von der Nichtregierungsorganisation Inkota und fügt hinzu: »Die Unternehmen müssen dringend mehr Transparenz und Verantwortung für die gesamte Lieferkette herstellen. Bei einigen Unternehmen scheint die Haltung zu bestehen, dass die massiven Probleme u.a. in den Gerbereien einfach ignoriert werden. Der konstruktive Dialog mit einzelnen Anspruchsgruppen verdeutlichte jedoch, dass Lösungsansätze bestehen.« Mehr Unterstützung wünscht sich Hinzmann von den Gewerkschaften der Branche. Zwar sei man im Gespräch, aber die europäischen Gewerkschaften müssten ihr Engagement entlang der Lieferkette intensivieren. »Kampagnen können und wollen die Arbeit einer Gewerkschaft nicht ersetzen.«
Die Studie, die von der Erklärung von Bern, der Kampagne »Change your shoes« und dem Entwicklungspolitischen Netzwerk Sachsen unterstützt wurde, setzt ihren Schwerpunkt nicht in Asien, obwohl dort 87 Prozent aller global gehandelten Schuhe produziert werden. Das mit Abstand größte Produktionsland ist weiterhin China, gefolgt von Indien, Brasilien und Vietnam. Auf Platz 10 liegt Italien, das Land mit der größten Schuhproduktion in Europa. Hinzu kommen die Produktionsländer Albanien, Bosnien-Herzegowina, Polen, Rumänien, Slowakei und Mazedonien. Hier arbeiten rund 130 000 Menschen in der Produktion, überwiegend für den europäischen Markt – nach Volumen und Wert der zweitgrößte Schuhmarkt der Welt. Jedes fünfte Paar Schuhe, das in Europa über den Ladentisch geht, ist auch in Europa produziert. Positiv für die Unternehmen sind die Nähe zum westeuropäischen Markt, qualifizierte Beschäftigte – und niedrige Löhne.
Die Menschenrechtsorganisation »Business & Human Rights Resource Centre« hat sich nach der Studie erneut um Antworten bei den 28 in der Studie angesprochenen Schuhherstellern bemüht. Einige von ihnen hatten zwar bereits Fragen der Studie beantwortet, andere aber tauchen bis heute ab, wie etwa Prada, Rieker, Vögele, Mango, Gabor und Geox. Das in Dänemark gegründete Unternehmen Ecco – nach eigenen Angaben einer der »weltweit größten Produzenten von Schuhen und eines der weltweit größten Schuhhandelsunternehmen« – wirft der Studie vor, nicht professionell zu sein. Ecco zahle immer so, dass »nicht weniger als der Mindestlohn« herauskomme. In seiner Fabrik in der Slowakei zahle das Unternehmen sogar »weit über dem Mindestlohn«. Das kann Ko-Autorin Bettina Musiolek vom Entwicklungspolitischen Netzwerk Sachsen nicht bestätigen. Zwar sei die Situation in anderen Fabriken noch schlechter. »Unsere Interviews mit den ArbeiterInnen haben aber ergeben, dass mit einem Monatslohn von Ecco gerade mal das Existenzminimum einer vierköpfigen Familie gedeckt ist.« Das offizielle Existenzminimum in der Slowakei liegt bei 517 Euro, während der gesetzliche Mindestlohn aktuell netto 354 Euro beträgt. Ein Existenzlohn beliefe sich laut Beschäftigten auf 1360 Euro. In der Studie wird Ecco zudem vorgeworfen, die Firma zahle in ihrer slowakischen Fabrik einen Anwesenheitsbonus an ArbeiterInnen, den sie bei Krankheit verlieren, so dass sie oft trotz Krankheit zur Arbeit erscheinen. Insgesamt zeigten die Reaktionen, »die Branche nimmt das Thema Menschenrechte nicht ernst«.
Der Bundesverband der Schuhund Lederwarenindustrie hat die Vorwürfe scharf zurückgewiesen. Die Fachkräfte in den europäischen Produktionsstätten seien »keineswegs unterbezahlt«, die Löhne entsprächen dem landesüblichen Niveau.
Große Probleme bereitet in der Schuhproduktion auch die Verarbeitung von rohen Tierhäuten – einer der gefährlichsten Prozesse in der Lederproduktion. Das Gerben mit Chromsalzen ist weltweit die gän- gigste Methode, obwohl sie hohe Risiken für Umwelt und Gesundheit birgt – denn Chromsalze sind hochgiftig und krebserregend. Viele ArbeiterInnen in den Gerbereien arbeiten ohne Schutzkleidung. Der Kontakt mit den Chemikalien verursacht Atemwegserkrankungen, Hautausschläge und Krebs. Zudem werden die toxischen Abfallstoffe meist ungefiltert in die Natur abgelassen. So leiden AnwohnerInnen häufig unter Durchfall, Fieber und Hautproblemen. Die Branche wehrt sich auch hier vehement gegen die Vorwürfe. Weil die Kampagne »Change your Shoes« einen Bericht über die Ausbeutung von illegalisierten Migranten in Italien öffentlich gemacht hatte, drohte ihr zeitweise sogar die Sperrung ihrer EU-Fördergelder. Besonders die Lobby der italienischen Schuhbranche hatten auf EU-Ebene interveniert und gefordert, den Bericht zurückzunehmen – letztlich ohne Erfolg.
Während sich also die Textilbranche auf den Weg gemacht hat, verweigern die Schuhhersteller den Dialog. Dabei ist längst klar: »Made in Europe« steht nicht immer für Qualität und faire Arbeitsbedingungen