»Vattenfall sagte: ›Ende Gelände‹«
Bundestagsabgeordnete Wöllert (LINKE) berichtet, wie die Stimmung in der Lausitz kippte
Erstmals in der Geschichte der Lausitz ging im April ein Braunkohletagebau nicht durch Winterkälte, Revisionen oder Streiks außer Betrieb, sondern weil Demonstranten ihn besetzten. War die Lausitz auf so ein Ereignis vorbereitet? Einige waren schon vorbereitet. Vattenfall hatte den Betrieb im Tagebau Welzow-Süd schon eingestellt, bevor die Demonstranten kamen. Überall in der Region hingen Plakate »Gegen Gewalt«. Die Bevölkerung wusste über die ganzen Aktivitäten aber konkret nicht so viel und scherte die Sachen, die zu Pfingsten passierten, über einen Kamm: Das Klimacamp, die Demonstration in Welzow und die Aktion »Ende Gelände«. Wahrscheinlich war es auch zu kompliziert zu kommunizieren, dass »Ende Gelände« eine globale Aktion zur Dekarbonisierung ist. Die Lausitz an der Grenze zu Polen – für die tonangebende deutsche Politik ist das geistig kurz vor Sibirien – rückte plötzlich ins Zentrum einer weltöffentlichen Auseinandersetzung um Klima und Kohle. War die Region emotional überfordert? Ihre Gefühle sagten den Menschen, da kommen Fremde zu uns, die uns unsere Arbeitsplätze wegnehmen, uns die Gegend zertrampeln, mit uns eigentlich gar nichts zu tun haben und nicht wissen, wie wir hier leben. Zu einem wirklichen Dialog kam es erst bei der Demonstration der Kohlegegner in Welzow. Da gestand hinterher sogar die Bürgermeisterin von Welzow ihre Überraschung ein, wie friedlich und vernünftig Demonstranten und Bergleute aufeinander zugegangen sind. Kippte die Stimmung, als dann das Kraftwerk Schwarze Pumpe von Kohlegegnern besetzt wurde? Ja, da kippte die Stimmung. Die Besetzung war kontraproduktiv. Man goss damit Wasser auf die Mühlen derjenigen, die von Anfang an gesagt hatten, dass es gewalttätig werden wird und dass sogenannte »Ökoterroristen« kommen. Nach der Besetzung war keine sachliche Diskussion mehr möglich. Als parlamentarische Beobachterin war ich selbst im Tagebau Welzow-Süd an der Kohleverladestation gewesen, habe mit Vattenfall-Mitarbeitern und mit der Polizei gesprochen. Auch dort musste ich mir den Vorwurf anhören: »Frau Wöllert, schämen Sie sich, dass Sie hier sind und hinter denen stehen, die als Fremde hierher kommen und uns Deutschen die Arbeitsplätze wegnehmen.« In dem Moment war das gar nicht fremdenfeindlich gemeint. Die Region war und ist einfach frustriert, auch wenn man sich öffentlich total zufrieden zeigte mit dem Verkauf der Tagebaue und Kraftwerke an die tschechische EPH-Gruppe. Die Beschäftigten gehen einer unsicheren Zukunft entgegen. Kein Wunder: Jahrzehntelang wurde den Leuten das hohe Lied des hart arbeitenden Bergmanns und der Region das »Glück Auf« gesungen. Nun musste Vattenfall, um die Braunkohle loszuwerden, an EPH plötzlich 1,7 Milliarden Euro draufzahlen und damit fast so viel, wie der Erzfeind Greenpeace verlangt hätte ... Eigentlich ist der Energiekonzern Vattenfall derjenige, der gesagt hat: Für uns ist »Ende Gelände« und mit dem ganzen Dreck wollen wir nichts mehr zu tun haben. Und in dieser Situation, die die Aktivisten von »Ende Gelände« ihrerseits strategisch für günstig hielten, kamen deren Aktionen dann noch obendrauf. Dadurch fühlten sich die Beschäftigten doppelt in den Hintern getreten. In so einem Moment erreicht man die Leute mit sachlicher Argumentation nicht mehr. Es wurde nur noch zugespitzt. Jede Schraube, die »Ende Gelände« angefasst haben soll, galt als Sabotage. Ist die Lausitz eine solche Protestkultur einfach nicht gewohnt? Nein, das ist es nicht. Methoden des zivilen Ungehorsams und Blockade- aktionen kennt die Region zum Beispiel aus den Anti-Nazi-Demonstrationen in Cottbus. Aber das wird ganz anders bewertet als solche Aktionen von Kohlegegnern. Bei diesen versteht man das nicht. Einige hasserfüllte Kommentare zu den Aktivisten in den Pro-KohleBlogs waren erschreckend: Das war teilweise Pegida-Sprache ... Das war es. Und das trug dann auch dazu bei, die Rechten anzulocken, von denen sich dann zum Beispiel die Gewerkschaft IG Bergbau-ChemieEnergie wieder distanzieren musste. Kann es im Interesse der Lausitz und der dort lebenden Menschen sein, dass die Region derart gespalten ist und so zum Spielball verschiedenster Interessen wird? Für mich steht die Frage im Vordergrund, wie es in der Lausitz weitergeht, wie die Region lebenswert wird. Vattenfall hat verkauft und bessert seine Klimabilanz total auf. Von meiner Heimatstadt Spremberg fordert das Unternehmen aber noch immer 20 Millionen Euro an Gewerbesteuern seit 2005 zurück. In derselben Stadtparlamentssitzung, in der die Stadtverordneten über die Steuerrückforderung von Vattenfall diskutieren, wurde der Beschluss über das letzte beitragsfreie Kitajahr zurückgestellt, gegen die Stimmen der Linksfraktion übrigens. Auch der Zuschuss zum Essensgeld in Kitas und Schulen soll zurückgefahren werden. Noch immer aber hält man in Spremberg politisch zum Unternehmen, weil es doch so viel für die Region getan habe. Das finde ich schizophren. Zu allem Überfluss kommt jetzt die Frage auf, wer für die Rekultivierung bezahlen wird ... Da dreht sich gerade die Stimmung. Die Region spürt, dass die Altlasten der Kohle nicht mehr in der fernen Zukunft liegen, sondern im Jetzt und Heute. Die Lausitz ist für den Braunkohleabbau durch die Sandböden schon eine Sonderregion. Keiner hat damit gerechnet, dass sich die Fließrichtung des Grundwassers ändert. Es wird Altflächen geben, die nie wieder nutzbar sein werden. Wir haben noch Schäden, die aus der Kaiserzeit stammen. Die Leute sagen sich mehr und mehr, so etwas müssen wir uns für die Zukunft nicht mehr antun, wir sollten keine neuen Tagebaue eröffnen. Und dann fragen sich die Leute auch: Wer bezahlt denn das alles? Das Land, die Kommune oder das Unternehmen? Die 1,7 Milliarden, die EPH von Vattenfall für die Altlasten gezahlt bekommt, sind doch Pillepalle. Bürgermeister von Kommunen, von denen Vattenfall Steuergelder zurückfordert, schreiben an die Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und fordern deutlich mehr öffentliche Gelder. Eine stärkere Sozialisierung privater Gewinne geht doch eigentlich gar nicht ... Die ganze Region Lausitz müsste jetzt eigentlich sagen: Uns reicht es mit den Schäden. Neue Tagebaue gibt es jetzt nicht mehr! Und von denjenigen, denen wir Energie geliefert haben, müssen wir auch wieder etwas zurückbekommen. Aber man muss die Kirche zugleich im Dorf lassen. Die Lausitz ist nicht das Opfer der Nation. Wir haben auch eine eigene Verantwortung in der Region.