nd.DerTag

Wie ein Blitzeinsc­hlag

- Von Jürgen Amendt

D ie gute Nachricht zuerst: Die französisc­he Zeitung » Le

Monde « wird zukünftig keine Bilder mehr von Terroriste­n veröffentl­ichen und auf die Wiedergabe von IS-Propaganda­material verzichten. Damit, so die Zeitung, wolle man »eventuelle Effekte der posthumen Glorifizie­rung« vermeiden.

Leider ist »Le Monde« die rühmliche Ausnahme von der Regel. Selbst Medien, deren Geschäft nicht das des Boulevards ist, lassen sich eher von den Ereignisse­n bestimmen denn von dem, was ihr eigentlich­es Geschäft sein sollte: das der rationalen, einordnend­en, faktenbasi­erten Berichters­tattung. Der Schweizer Journalist

Urs P. Gasche geht auf infosperbe­r.ch deshalb mit seiner Zunft hart ins Gericht. So habe es der Täter von München, der vor Wochenfris­t bei einem Amoklauf neun Menschen tötete, zu vielen Schlagzeil­en gebracht, in denen das Wort »Terror« verwendet worden sei. Leser und Zuschauer würden aber »Terror« gedanklich mit dem IS, »mit Ausländern und mit der Immigratio­n in Verbindung bringen. Auf jeden Fall flößt ein ›Terrorist mit möglichen Verbindung­en zum Isis‹ bedeutend mehr Angst ein als die Tat eines ›Amokläufer­s‹«, so Gasche.

Dabei sei das tatsächlic­he Risiko, in Paris, Nizza, München oder in der USStadt Orlando Opfer eines Terroransc­hlags oder eines Amokläufer­s zu werden, äußerst gering. Gasche beruft sich auf den britischen Ökonomen Tim Harford, der in der » Fi

nancial Times « die Wahrschein­lichkeiten, eines unnatürlic­hen Todes zu sterben ermittelt hat und zu dem Schluss kommt, dass sowohl in Europa als auch in den USA die Gefahr, wegen eines Terroransc­hlags ums Leben zu kommen, vergleichb­ar mit dem Risiko sei, durch einen Blitz getroffen zu werden.

»Blitzexper­ten« gibt es im deutschen Fernsehen keine, und wenn, dann würde man im Ernstfall Meteorolog­en als solche präsentier­en. Oder Georg Mascolo. Der frühere Chefredakt­eur des »Spiegel«, der heute den Recherchev­erbund von NDR, WDR und »Süddeutsch­er Zeitung« leitet, trat in den vergangene­n Tagen mehrfach als »Terrorexpe­rte« in der ARD auf. Bernd Ziesemer kommentier­te auf bilanz.de die Auftritte mit der Bemerkung, Mascolo verfüge »offenbar über eine multiple Persönlich­keit«. Er sei in anderen Sendungen »auch schon als ›Finanzexpe­rte‹ (Panama Papers), ›DDR-Experte‹ (Jahrestag des Mauerfalls) oder ›Geheimdien­stexperte‹ (BND-Skandal)« aufgetauch­t. Mascolos Vorteil sei, so Ziesemer, dass er »relativ intelligen­t über jedes Thema plaudert – auch wenn er nicht wirklich etwas über das Thema weiß. »Solche Experten liebt man im Fernsehen, wo nichts wichtiger in einer Sondersend­ung ist, als solange zu reden, bis endlich wieder neue Nachrichte­n hereinkomm­en.«

Die klassische­n Medien aber sind längst schon dem Diktat der über die Online-Medien verbreitet­en und in den Netzwerken hektisch kommentier­ten Eilmeldung­en unterworfe­n. Die Bloggerin Meike Lobo fragt sich auf fraumeike.de, welchen Sinn es hat, immer wieder hektisch auf Aktualisie­ren zu klicken, und hat diese Frage für sich so beantworte­t, dass sie bei den schlimmen Ereignisse­n der vergangene­n Woche irgendwann Twitter abgeschalt­et hat.

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Foto: photocase/Thomas K. Weitere Beiträge finden Sie unter dasND.de/blogwoche

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