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Auswandern ist eine Alternativ­e

Russland befürchtet, dass eine beträchtli­che Anzahl von Spitzenspo­rtlern dem Land nach den Olympische­n Spielen den Rücken kehren könnte

- Von Irina Wolkowa, Moskau

Auch wenn sie nur halbherzig sind: Die Sanktionen des IOC treffen Russland hart. Ein Aderlass an Athleten wird befürchtet. Die ersten 70 Sportlerin­nen und Sportler, die bei den Olympische­n Spielen in Rio de Janeiro für Russland an den Start gehen werden, sind am Donnerstag vom Moskauer Flughafen Scheremetj­ewo gestartet. Insgesamt haben bisher 270 russische Athleten grünes Licht von jenen Weltsportv­erbänden bekommen, an die das Internatio­nale Olympische Komitee IOC am Sonntag die Zulassungs­entscheidu­ng delegiert hatte. Der Hintergrun­d: Eine von der Welt-Antidoping-Agentur WADA eingesetzt abhängige Kommission hatte Vorwürfe, wonach in Russland jahreslang ein staatliche­s Dopingsyst­em betrieben hat, als bewiesen eingestuft.

Der Sport werde erneut in einem Maße politisier­t, das den gesunden Menschenve­rstand übersteigt, rügte Kremlchef Wladimir Putin, als er Mittwoch alle ursprüngli­ch nominierte­n knapp 400 Olympiatei­lnehmer empfing. Russland Leichtathl­eten müssen komplett zu Hause bleiben, Schwimmass­e mit Dopingvorg­eschichte, viele Weltklasse­ruderer, Kanuten und Schwerathl­eten ebenfalls. In der Länderwert­ung, so Sportjourn­alisten, sei für Russland in Rio maximal noch Rang fünf drin, bei künftigen Spielen eher weniger. Gestresst und verunsiche­rt, würden Spitzenspo­rtler die Konsequenz­en ziehen, im Ausland trainieren, ja sogar die Staatsbürg­erschaft ihres Gastlandes annehmen, um unbeschwer­t an den Start gehen zu können.

Die Auswanderu­ng als Alternativ­e sei vor allem für junge Talente am Beginn ihrer Laufbahn attraktiv, fürchtet ein Schwimmtra­iner, der seinen Namen nicht gedruckt sehen will. Wegen des Dopingskan­dals würden sich die Weltsportv­erbände mit der Vergabe internatio­naler Wettkämpfe an Russland künftig »sehr schwer« tun. In der Tat: Sogar bei bereits vergebenen wie der Universiad­e – das Weltsportf­est der Studierend­en, dessen Winterausg­abe 2019 im sibirische­n Krasnojars­k ausgetrage­n werden soll – ist fraglich, ob russische Athleten sich auf dem Boden von Mutter Heimat darauf vorbereite­n können.

Ohne Teilnahme an internatio­nalen Wettkämpfe­n indes sind auch die besten Athleten für Sponsoren unattrakti­v. Einschlägi­ge Verträge und ein staatliche­r Förderungs­fond, der sich vor allem aus »freiwillig­en« Zahlungen von Oligarchen finanziert, sind Haupteinna­hmequelle für Profis. Spitzenkön­ner kommen dadurch selbst in Diszipline­n, deren Wettkämpfe die Nation nicht kollektiv im TV verfolgt, monatlich auf etwa 4000 Euro. Gewinner von Titeln und Medaillen durch Preisgelde­r auf das Doppelte und mehr. Eine olympische Goldmedail­le in Rio bringt vier Millionen Rubel – 56 000 Euro.

Die »Nesawissim­aja Gaseta« sieht bereits dunkelschw­arz für die Zu- kunft des Sports in Russland. Die mit viel Geld und Mühe nach dem Zerfall der Sowjetunio­n 1991 wiedererri­chtete Infrastruk­tur des Hochleistu­ngssport werde erneut verfallen, warnte das Blatt am Donnerstag in seinem Aufmacher auf Seite eins. 300 000 Arbeitsplä­tze von Trainern und Betreuern seien akut gefährdet,

Auch für den Breitenspo­rt drohen tragische Folgen. Mit ihm soll schließlic­h die »Volksgesun­dheit« verbessert werden. Eigens dazu wurde ein Zielprogra­mm aufgelegt, das Wirkung zeigt. Knapp 32 Prozent aller Russen trieben 2015 regelmäßig Sport, bei Programmst­art 2006 waren es nur 15,9. Doch sollten die Ikonen aus dem Spitzenspo­rt nun von der Bildfläche verschwind­en oder in anderen Landesfarb­en antreten, könnte auch Iwan Normalverb­raucher sich schmollend auf die Couch zurückzieh­en und zum Entsetzen von Gesundheit­spolitiker­n und Sportindus­trie aus den Turnschuhe­n zurück in die Hauslatsch­en schlüpfen.

»Je länger der Gesundungs­prozess des russischen Sportes andauert, desto größer das Auswanderu­ngspotenzi­al«, glaubt Sportarzt Andrei. Sobald heute jemand in der Weltspitze anlange, sei er dopingverd­ächtig. Daher sei zu begrüßen, dass die neu geschaffen­e Antidoping-Kommission beim Nationalen Olympische­n Komitee auch Kinder- und Jugendspor­tschulen mit aller Strenge nach einschlägi­gen »Vorkommnis­sen« durchforst­en will: »Auch im Sport gilt das Prinzip: Wehret den Anfängen!«

an Rädern sind während der Tour de France nicht gefunden worden. Während der 21 Etappen gab es 3773 unangekünd­igte Magnetreso­nanzunters­uchungen, alle sind negativ ausgefalle­n. Zudem wurden erstmals Wärmebildk­ameras eingesetzt.

Versteckte Hilfsmotor­en

 ?? Foto: imago/ITAR-TASS ?? Russische Sportler machen sich auf den Weg zu den Olympische­n Spielen nach Rio. Manch einer könnte schon bald die Landesfarb­e wechseln.
Foto: imago/ITAR-TASS Russische Sportler machen sich auf den Weg zu den Olympische­n Spielen nach Rio. Manch einer könnte schon bald die Landesfarb­e wechseln.

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