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Kampf um Wasser und Brot

Assads Armee hat das syrische Aleppo komplett abgeriegel­t und kündigt »Korridore« an

- Von Karin Leukefeld, Nikosia

Der Fokus des syrischen Krieges liegt auf der Stadt Aleppo. Strategisc­h und politisch wird sie zur entscheide­nden Verhandlun­gsmasse. »Ohne eine militärisc­he Entscheidu­ng in Aleppo wird es keine brauchbare­n Gespräche in Genf geben«, zeigte sich ein UN-Militärber­ater in Damaskus überzeugt, als syrische Delegation­en und internatio­nale Medienvert­reter sich Ende Januar 2016 auf den Weg zum Genfer See machten. Die jüngsten Ereignisse um Aleppo scheinen das zu bestätigen.

Am Mittwoch hatte das Oberkomman­do der Syrischen Streitkräf­te erklärt, die letzten Versorgung­srouten der bewaffnete­n Gruppen eingenomme­n zu haben. Der Nachschub an Kämpfern, Waffen und Munition sei gekappt, die Bevölkerun­g von Aleppo solle die Armee bei der Beendigung der Kampfhandl­ungen unterstütz­en. Alle Kämpfer, die bereit seien, ihre Waffen abzugeben, könnten die Stadt verlassen oder – nach Überprüfun­g – bleiben. Nationales Interesse müsse über alles andere gestellt werden, so die Armee, die Menschen sollten zur Vernunft kommen.

Die militärisc­he Abriegelun­g der Stadt stoppt zwar Kämpfer und Waf- fen, doch auch Lebensmitt­el und Hilfsgüter können die Menschen nicht mehr erreichen, die in den von Kampfgrupp­en kontrollie­rten Ostteilen von Aleppo ausharren. Der Journalist Zouhair al-Shimale lebt nach eigenen Angaben in Saif ad-Daula, einem dieser Viertel. Er befürchtet, »dass wir alle um Wasser und Brot kämpfen« werden. Das schrieb er an die Berliner Online-Redaktion der Wochenzeit­ung »Die Zeit«. »Die, die nicht mehr stark genug sind, darum zu kämpfen, werden einfach verhungern. Fakt ist: Wir sitzen fest. Wir haben keine Chance mehr, aus OstAleppo herauszuko­mmen.«

Damit das nicht geschieht, hat die syrische Armee mit Unterstütz­ung Russlands die Öffnung von drei »humanitäre­n Korridoren« in die von den Kampfgrupp­en besetzten Stadtteile Aleppos angekündig­t, durch die Zivilisten herauskomm­en konnten. Auf von der Regierung kontrollie­rtem Gelände würden humanitäre Versorgung­szentren eingericht­et, internatio­nale Hilfsorgan­isationen der UNO und andere seien eingeladen, sich zu beteiligen. Ein vierter Korridor sei für Kämpfer vorgesehen, die ihre Waffen abgeben und die Stadt verlassen würden.

Der syrische Präsident Baschar alAssad bekräftigt­e eine Amnestie, wenn die Kämpfer bereit seien, sich den »zuständige­n Behörden zu stellen und ihre Waffen niederzule­gen«. Das gleiche gelte für diejenigen, die Geiseln freiließen.

Das Internatio­nale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) erklärte, die angekündig­ten humanitäre­n Maßnahmen »müssen die Sicherheit und den Respekt aller Zivilisten gewährleis­ten, egal ob sie die Stadt verlassen wollen oder nicht«. Er begrüße »jede Initiative, die den Zivilisten« helfen könne, in sichere Gebiete zu gelangen, sagte Robert Mardini, zuständig im IKRK für den Nahen und Mittleren Osten. Humanitäre Korridore erforderte­n allerdings eine »gute und sorgfältig­e Planung und können nur in Übereinsti­mmung aller Parteien eingericht­et werden«.

Ähnlich äußerte sich Jan Egeland, der vom UN-Sonderverm­ittler De Mistura und der Internatio­nalen Unterstütz­ungsgruppe Syrien (ISSG) mit humanitäre­n Fragen in Syrien beauftragt ist. Egeland forderte eine wöchentlic­he 48-stündige Waffenruhe, um die humanitäre Versorgung in Aleppo zu gewährleis­ten.

Seitens der bewaffnete­n Gruppen und der Opposition in Aleppo wurde der Notstand ausgerufen. Humanitäre und Nichtregie­rungsorgan­isationen müssten »Druck auf das Assad- Regime ausüben, um die Belagerung zu beenden«, forderte Zakaria Aminu, stellvertr­etender Leiter der Komitees. Fast 400 000 Menschen seien in den »befreiten Gebieten von Aleppo eingeschlo­ssen«, sagte Aminu.

Die in Istanbul ansässige »Nationale Koalition« verurteilt­e das Vorgehen der syrischen Armee und Russlands in Aleppo als »Kriegsverb­rechen«. Die Bewohner Aleppos sollten »gewaltsam aus der Stadt vertrieben« werden, erklärte der Präsident der Gruppe, Anas Alabdah. Er rief alle bewaffnete­n Gruppen in Aleppo auf, ihre Differenze­n beizulegen und »vereint den von den Russen angeführte­n Angriff auf die Stadt« zurückzusc­hlagen. Der Leiter der offizielle­n opposition­ellen Verhandlun­gsdelegati­on in Genf, Asaad alZoabi erklärte, solange »die humanitäre Lage in Syrien sich nicht verbessert« habe, werde es keine Gespräche in Genf geben.

US-Außenamtss­precher John Kirby sagte in Washington, der russischsy­rische Vorschlag, den Menschen in Aleppo zu helfen, »scheint eine Aufforderu­ng zur Aufgabe der Opposition­sgruppen zu sein und zur Zwangsevak­uierung von unschuldig­en Zivilisten aus Aleppo«. Er beanstande­te auch, dass die USA von Russland nicht vorab informiert worden sei.

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Foto: AFP/Thaer Mohammed Das Grauen nistet in den Trümmern von Aleppo.

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