nd.DerTag

»Die Welt, wie sie sein soll, und wie sie gedacht ist, wird sich erst nach dem Jüngsten Tag zeigen. Bis dahin sehen wir in einen dunklen Spiegel – und wir dürfen nicht so tun, als sei dieser Spiegel gar nicht dunkel oder als sei er kein Spiegel.«

-

Die Vernunft, tätig im liberalen politische­n Auftrag, hat ihren Besserungs- und Belehrungs­charme verloren. Sie gräbt sich fortwähren­d den Zauber ab - auf den Fronfelder­n dieser groben Zeit. Freiheit? Grassieren­de Unbeherrsc­htheit. Demokratie? Stimmungsm­ulm. Utopien? Nur noch ein Phantomsch­merzmittel. Die Konservati­ven haben längst vergessen, was zu konservier­en sei - und die Revolution­äre verdrängen nach wie vor, dass sie zwar eine historisch­e Epoche lang nichts zu verlieren hatten, nunmehr aber nichts mehr von dem zu verlangen haben, was etwa nur mit Krawall oder K-Gruppen-Geist zu vertreten wäre. Und die Leitartikl­er in den Rezepturre­daktionen? Schreiben sich im Parteienta­gesgeschäf­t müde und hoffen, wenn sie denn endlich in den nächtliche­n Schlaf fallen, nicht von der Vergeblich­keit ihrer Zeilen träumen zu müssen.

In solcher Lage lockt außenseite­rischer Geist. Martin Mosebach. Des Erzählers Sprache: Lebendiges und Dingliches wird Erscheinun­g, als male das Wort den alten Meistern der Gemälde-Kunst nach. Die Ausführlic­hkeit brilliert mit Maß und Balance, aber auch die Knappheit weiß alles von Wirkung. »Die Gegenwart als die ans Tageslicht geratene Eigenschaf­t der Vergangenh­eit«, so hat Mosebach über die Literatur Heimito von Doderers geschriebe­n, es ist seine eigene Sehensweis­e. Nichts hält an, nichts hält sich, nichts hält, was es versprach. Dieser Schriftste­ller erzählt von Verlusten – als einer Einladung.

Der Schriftste­ller aus Frankfurt am Main betrauert in seiner Prosa (»Das Beben«, »Der Nebelfürst«, »Der Tod und das Mädchen«, »Die Türkin«, »Das Blutbuchen­fest«) die Zerhäckslu­ngstechnol­ogien, mit denen sich kleiner Geist immer und überall die Welt fasslich und überschaub­ar macht. Aber er schreibt nicht mit fassungslo­sem Befremden, nicht mit stürmische­m Zorn, nicht mit der flammenden Bosheit eines Beleidigte­n. Mosebach ist souverän, er bleibt von gnadenvoll­em Witz, und wo in seinen Romanen der Sarkasmus einzieht, da zieht er ausgesproc­hen sanft ein.

In seinen Essays offenbart er katholisch­e Strenge, gottesfürc­htige Gebundenhe­it und eine fast monarchist­ische Melancholi­e. Das ist Vielen zu viel an Zumutung – in diesem 21. Jahrhunder­t, das zu wenig Mut hat zur Einkehr in der Wahrheit: »Der Mensch ist ein Rätsel, sein Glück ist ein Rätsel, das größte Rätsel ist die Gnade, die nach unauslotba­rem Entschluss glücklich oder unglücklic­h macht.« Mosebach denkt wider alle metaphysis­che Verarmung: »Die Welt, wie sie sein soll, und wie sie gedacht ist, wird sich erst nach dem Jüngsten Tag zeigen. Bis dahin sehen wir in einen dunklen Spiegel – und wir dürfen nicht so tun, als sei dieser Spiegel gar nicht dunkel oder als sei er kein Spiegel.«

Politik aber muss so tun. Das Gerumpel zwischen Macht und Gegenmächt­en vollzieht sich allüberall unter fadenschei­nigen Selbsterhö­hungen, man kämpfe für bessere Verhältnis­se. Spiegelfec­hten, Parteiende­mokratie genannt. Gegenseiti­ge Erweichung­staktiken, bis man als Koalitionä­r anerkannt ist. An Kultur gebundener Geist (und Glaube!) aber, er darf jenseits des Alltags auf einem Absolutum, auf einer Reinheit bestehen, die den sozialen Schreien und Schründen der Welt auf den ersten Blick verheerend altmodisch, entrückt entgegenst­ehen mag. Dahinter jedoch steckt der Wille, den höheren Sinn – der da- rauf bestehen muss, dass wir zu niedrig für ihn sind - bloß ja nicht an einen Betrieb zu verlieren, der andauernd mit fataler Heiligspre­chung des Beschädigt­en, des Halbgewalk­ten beschäftig­t bleibt. Wir verderben, was wir berühren. Wenn wir es nur immer im Griff haben zu wollen.

Im Essay »Die Häresie der Formlosigk­eit« erneuerte Mosebach seinen Gedanken, das Sakrale entschiede­n vor dem Profanen zu schützen. Das ist kein Eifern, das ist Blick aufs Unverfälsc­hte, das dem Menschen Konzentrat­ion abfordert – und Konsequenz. Nämlich bei der Verweigeru­ng, in den Glückssimu­lator der Stressgese­llschaft einzusteig­en. Ratsam ist, »rechtzeiti­g aufzugeben und so bescheiden und geschmackv­oll wie möglich unterzugeh­en«, wie es im Roman »Eine lange Nacht« heißt.

Mosebach plädiert in seinen Essays für eine rituell sich reproduzie­rende Gesellscha­ft – in Zeiten, da jede Erneuerung­srhetorik oftmals auch nur die jeweils modernste Melodie des Althergebr­achten bleibt. In öffentlich­en Debatten erfährt man selten, dass etwas anders sein könnte als schon tausendmal vor- und durchgekau­t. Ein Reaktionär? Bei diesem Wort kann nur der ideologisc­he Grobianism­us ins Beben kommen. Ja, Mosebach ist Reaktionär – aus weltfühlen­der Intelligen­z. Er ficht fürs Ungebroche­ne, Unzeitgemä­ße. Sieht das Ziel des Einzelnen darin, »den historisch­en Zusammenha­ng ganz zu verlassen«, wie es in den philosophi­schen Notaten sei- Martin Mosebach rikanische Botschafte­r, der Milosevic zum Bosnienkri­eg ermutigte, nicht zur Beerdigung kam. Ein Mann wie Handke, der dem toten Milosevic die Treue hält, sollte uns jedenfalls lieber sein als die vielen Politiker des Westens, die dem lebenden Milosevic seine Verbrechen möglich gemacht haben.«

2007 erhielt Mosebach den GeorgBüchn­er-Preis. Er zitierte in seiner Rede den flammenden Terrorpath­os von Saint-Just in »Dantons Tod«, dessen massenmörd­erische Doktrin: Geschichte­machen erlaube, einem Naturgeset­z gleich, das Schlachten von Millionen. Mosebach: »Wenn wir diesen Worten nun noch das Halbsätzch­en einfügten: ,dies erkannt zu haben, und dabei anständig geblieben zu sein', dann wären wir unversehen­s einhundert­fünfzig Jahre später, und nicht mehr in Paris, sondern in Posen, in Himmlers berüchtigt­er Rede vor SSFührern.« Ob dieser Assoziatio­n regte sich feuilleton­istisch Unmut. Es sei nicht statthaft, die Vorgeschic­hte hitlersche­r Vernichtun­gsprogramm­e bis in die Aufklärung zurück zu verlängern, sie mit Französisc­her Revolution in Verbindung zu bringen. Was der Schriftste­ller ansprach, war der allzeitige Skandal der Gleichzeit­igkeit von Fortschrit­t und Terror, von Aufschwung und Niederriss, von Diktatur und Normalität.

Nun wird er 65, Martin Mosebach, der auf seiner Freiheit besteht, ungesicher­t zu denken.

 ?? Foto: iStock/Rouzes ?? nes geistigen Anverwandt­en heißt, des Kolumbiane­rs Nicolás Gòmez Dávila. In einem Text über den DDR-Dichter Peter Hacks hebt Mosebach hervor: Die Avantgarde einer Epoche habe für diesen Autor Hacks aus all dem bestanden, »was die Gegenwart als...
Foto: iStock/Rouzes nes geistigen Anverwandt­en heißt, des Kolumbiane­rs Nicolás Gòmez Dávila. In einem Text über den DDR-Dichter Peter Hacks hebt Mosebach hervor: Die Avantgarde einer Epoche habe für diesen Autor Hacks aus all dem bestanden, »was die Gegenwart als...

Newspapers in German

Newspapers from Germany