Musik als Balsam für die Seele
Das Jazzfestival in San Sebastián bringt seit über 50 Jahren einmal im Jahr eine tief gespaltene Gesellschaft zusammen
Ganz nach dem Motto »ain´t no mountain high enough« kletterte selbst das schick gekleidete Publikum sportlich auf allen Vieren die mittelalterlichen Stadtmauern hinauf, um die letzten Ecken der verwinkelten »Trini« zu füllen. Die charmante »Plaza de la Trinidad« in der Altstadt platzte wieder einmal aus allen Nähten. Wer nicht frühzeitig kam, lauschte eben zwischen Tomatenstöcken und Unkraut begeistert den Jazzklängen. Auf der Bühne am Klavier verzauberte Jazzlegende Ellis Marsalis mit seinem Quartett. Sein Sohn Branford übergab ihm den Preis für sein Lebenswerk und bot anschließend selbst ein großartiges Konzert – in Begleitung des Baritonisten Kurt Elling. Magische Momente die verbinden. Bekanntlich bringt Musik Menschen zusammen. Auf San Sebastián trifft es zweifellos zu.
Das »Jazzaldia« im baskischen Donostia-San Sebastián wurde 1966 in Mitten der Franco-Diktatur im Kontext einer politisch gespaltenen Gesellschaft geboren. »Das Land war von der Außenwelt recht isoliert. Somit war das ältestes Jazzfestival Spaniens ein willkommenes Fenster zur Welt, frischer Wind, ein geistiger Freiraum für die Einwohner«, erinnert sich Miguel Martin, Festivalleiter seit über drei Jahrzehnten. Er hat nicht nur den sozialen und politischen Wandel in der Stadt miterlebt. Jazzgötter wie Charles Mingus, Miles Davis, Ray Charles, Dizzy Gillespie, B.B. King oder Herbie Hancock gaben sich die Klinke in die Hand und hinterließen mit ihren Auftritten unvergessliche Erinnerungen. Mit den Jahren wurde das Festival zum Geheimtipp und bringt bis heute Menschen unterschiedlicher politischer Lager zusammen.
Wenn man Musiker nach der Rolle des Jazz im weitesten Sinne fragt, wird man ihnen kaum eine sozialkritische Analyse ihrer Kreationen entlocken. Wichtiger ist wohl, was es in uns auslöst. Gefühle, Energie, Glücksgefühl. Branford Marsalis spricht von »Schönheit und Harmonie«. Saxophonist und Jazzpädagoge Jerry Bergonzi hält Emotionen für unentbehrlich, um als Künstler eine eigene Stimme zu entwickeln. Die Queen der Discomusik, Gloria Gaynor, ist davon überzeugt, dass Glücklichsein das Rezept für friedliches Zusammenleben sind. Sie lief in diesem Jahr zur Höchstform auf und brachte mit ihrer Songs, einer Mischung aus unbeschwerter Discomusik (Die Hymne der Überlebenden »I will survive«) und Gospel am Strand die halbe Stadt zum Tanzen. Auch der libanesische Trompeter Ibrahim Maalouf war auf der Bühne ein einziges Energiebündel und steckt mit einer abwechslungsreichen und dynamischen Show auch das Publikum mit guter Laune an.
Das Trio John Scofield, Brad Mehldau, Mark Guiliana begeisterte mit ihrem erstmaligen gemeinsamen Auftritt. Ebenso emotional waren Jan Garbarek Group + Trilok Gurtu oder José James. Am letzten Abend rührte die kanadische Pianistin und Sängerin Diana Krall mit ihrer seidenen Stimme nicht nur das Publikum, auch ihr kamen die Tränen. Es waren wohl Freudentränen, wie sie später versicherte.
Erwähnenswert ist auch neue Zusammenarbeit mit dem irischen Festival »12 Points«, bei dem junge Talente verschiedenster Musikrichtigen aus ganz Europa gefördert werden. Die baskische Improvisationskunst in Versen »bertsolarismo« findet mit Bertsojazz auf innovative Art Präsenz durch ihre musikalische Untermalung mit Jazzklängen. Einheimische Künstler boten durchaus interessante Interpretationen. Der großartige Pianist Iñaki Salvador begleitete die talentierte Sängerin Ainara Ortega, die ihr Album »Scat« vorstellte und dabei in vier Sprachen sang.
Mittlerweile setzt das Festival ihren Fokus verstärkt auf die jüngere Generation. Im Rahmen von »Txikijazz« werden bereits Kinder und Jugendliche auf spielerische Art mit Workshops und Konzerten an Musik herangeführt. Bürgerbeteiligung und die Leidenschaft für Musik sind eben auch Erziehungssache.
In diesem Jahr ist San Sebastián zusammen mit Breslau Europäische Kulturhauptstadt 2016. Leitmotiv aller Projekte ist »cultura para la convivencia«, Kultur für das Zusammenleben. Auf diese Art sollen Ressentiments abgebaut und das friedliche Zusammenleben im Baskenland gefördert werden. Es ist ein guter Ansatz. Das »Jazzaldia« lebt es nun bereits seit einem halben Jahrhundert erfolgreich vor. In diesem Jahr wurde sogar mit über 175 000 Besuchern ein neuer Rekord aufgestellt. Musik ist Balsam für die Seele.