Kronprinz-Konkurrenz
Bayerns Innenminister auf einem Balanceakt zwischen Beruhigung und Befeuerung.
Seine Worte in Gottes Gehörgang. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann hat in dieser Woche nach seinen zahlreichen Pressekonferenzen, Talkshow-Auftritten und Interviews nicht nur die eigenen Landeskinder wissen lassen, er hoffe »auf eine gute Zukunft«. Das ist nahezu kühn nach den dramatischen Ereignissen von Würzburg, München und Ansbach. Oder ein Versuch von Selbstermutigung.
Und die braucht beileibe nicht nur der hoch aufgeschossene Mann von der CSU, der nach diesem kleinen sympathischen und sogar von einem vorsichtigen Lächeln begleiteten Ausflug ins Menschliche wieder in jedes Mikrofon mit der ihm eigenen stoischen Ruhe auflistete, was nach der Serie von Amoklauf, tödlichen Auseinandersetzungen und vermutlichen Terroranschlägen nötig ist: mehr und besser ausgerüstete Polizisten, Gesetzesverschärfungen, Einsatz der Bundeswehr im Innern, Sicherheitsüberprüfungen von Flüchtlingen, Kontrollen in Asylbewerberheimen, abgesenkte Hürden bei Abschiebungen – und die notfalls auch in Krisenstaaten. Dass er aus seinem Law-and-Order-Instrumentenkasten auch freilich wieder die sattsam bekannten Obergrenzen für die Aufnahme von Flüchtlingen hervorkramt, weil Deutschland »nicht unbegrenzt integrationsfähig« sei, versteht sich nach dem Agieren der bayerischen Staatspartei seit Herbst 2015 beinahe schon von selbst.
Fest steht, der Job eines Innenministers ist derzeit landauf landab wahrlich nicht vergnügungssteuerpflichtig. Und der fast 60-jährige Franke hat zehn Tage hinter sich, die in seiner beinahe neunjährigen Amtszeit beispiellos sind. Angesichts der Häufung von Gewalttaten mit vielen Verletzten und Todesopfern, die nicht nur in Bayern für tiefe Verunsicherung gesorgt haben, ist dem bisweilen ungelenk wirkenden studierten Juristen durchaus abzunehmen, dass ihm die Ereignisse »unheimlich na- he« gegangen sind. Und dennoch: Anders als Thomas de Maizière, sein Amtskollege im Bund, der – jedenfalls in diesem Falle – sichtlich um Beruhigung und die saubere Trennung von Flüchtlingen und Gewalttätern bemüht ist, klappte das mit der sich wohltuend von seinen eifernden Vorgängern im Amt, Edmund Stoiber und Günther Beckstein, abhebenden Distanz und Sachlichkeit bei Herrmann nicht durchgängig. Zwar hat er den von ihm nur wenige Stunden nach dem Sprengstoffanschlag von Ansbach und also noch vor der Prüfung des Hergangs zu Protokoll gegebenen »islamistischen Selbstmordanschlag« als persönliche Einschätzung getarnt. Trotzdem war genau diese Aussage Wasser auf die Mühlen all derer in der CSU, die seit einem Jahr Joachim Herrmann gegen die Willkommenspolitik der Kanzlerin Sturm laufen, auch wenn von der inzwischen praktisch durch zahlreiche Asylrechtsverschärfungen nicht viel übrig geblieben ist.
Natürlich ist Herrmann Parteisoldat. Bei seinem Weg vom Ring Christlich-Demokratischer Studenten über die Junge Union in den Landtag, an die Fraktionsspitze und in die Bayerische Staatsregierung ist das auch nicht anders zu erwarten. Ganz abgesehen davon, dass der Mann, der das Vertrauen von Ministerpräsident und Parteichef Horst Seehofer besitzen soll, womöglich noch einen weiteren Schritt im Auge hat.
Schon einmal war sein Name im Gespräch, als nach dem ganz großen Kino um den Stoiber-Abgang 2008 für den Interimsministerpräsidenten Beckstein schon wieder ein Nachfolger gesucht werden musste. Zugunsten Seehofers machte Herrmann nach einigem Zögern und manchem offensichtlich nicht nur erfreulichen Gespräch einen Rückzieher – im Interesse der »Geschlossenheit und landesweiten Einigkeit der CSU«, wie es später in einer Erklärung hieß.
Sollte sein Chef tatsächlich bei seiner inzwischen längst wieder relativierten Ankündigung bleiben und sich vom Amt des Regierungschefs nach der nächsten Landtagswahl 2018 zu seiner Modelleisenbahn im Keller zurückziehen, hätte der Innenminister offenbar keine schlechten Chancen. Denn erstens geht Seehofer das penetrante wie ungeduldige Füßescharren seines Finanz- und Heimatministers Markus Söder auf die Nerven. Und zweitens rangiert Herrmann laut einer Umfrage auch in Sachen Beliebtheit bei den Bayern – zwar knapp, aber immerhin – vor dem sich selbst inszenierenden »Kronprinzen« mit dem ausgeprägten Hang zu Bierzelten und derben Witzen.
Diese beiden Neigungen sind von Herrmann jedenfalls nicht überliefert. Zum Thema Alkohol existiert nur die kleine, peinliche und Jahre zurückliegende Episode von seinem damals 18-jährigen rappenden Sohn. Der soll, Zeitungen haben genüsslich darüber berichtet, öffentlich in einem Youtube-Video bekannt haben, Wodka wie Wasser zu trinken. Das freilich ist für einen Politiker, der gern restriktiven Regelungen für den Ausschank an Jugendliche und ein Alkoholverbot auf Plätzen und in Fußgängerzonen das Wort redet, nicht gerade schmeichelhaft. Und seine sehr speziellen Auffassungen von Humor haben dem Innenminister auch keine Gegenliebe eingebracht. Der Spontanausruf in der Fernsehtalkshow »Hart, aber fair«, Roberto Blanco sei »immer ein wunderbarer Neger« gewesen, führte zu einem regelrechten Shitstorm gegen Herrmann – zumindest außerhalb der Landesgrenzen des Freistaates.
Dass Herrmann aus seinem Law-and-OrderInstrumentenkasten auch freilich wieder die sattsam bekannten Obergrenzen für die Aufnahme von Flüchtlingen hervorkramt, weil Deutschland »nicht unbegrenzt integrationsfähig« sei, versteht sich nach dem Agieren der bayerischen Staatspartei seit Herbst 2015 beinahe schon von selbst.