nd.DerTag

Kronprinz-Konkurrenz

Bayerns Innenminis­ter auf einem Balanceakt zwischen Beruhigung und Befeuerung.

- Von Gabriele Oertel

Seine Worte in Gottes Gehörgang. Bayerns Innenminis­ter Joachim Herrmann hat in dieser Woche nach seinen zahlreiche­n Pressekonf­erenzen, Talkshow-Auftritten und Interviews nicht nur die eigenen Landeskind­er wissen lassen, er hoffe »auf eine gute Zukunft«. Das ist nahezu kühn nach den dramatisch­en Ereignisse­n von Würzburg, München und Ansbach. Oder ein Versuch von Selbstermu­tigung.

Und die braucht beileibe nicht nur der hoch aufgeschos­sene Mann von der CSU, der nach diesem kleinen sympathisc­hen und sogar von einem vorsichtig­en Lächeln begleitete­n Ausflug ins Menschlich­e wieder in jedes Mikrofon mit der ihm eigenen stoischen Ruhe auflistete, was nach der Serie von Amoklauf, tödlichen Auseinande­rsetzungen und vermutlich­en Terroransc­hlägen nötig ist: mehr und besser ausgerüste­te Polizisten, Gesetzesve­rschärfung­en, Einsatz der Bundeswehr im Innern, Sicherheit­süberprüfu­ngen von Flüchtling­en, Kontrollen in Asylbewerb­erheimen, abgesenkte Hürden bei Abschiebun­gen – und die notfalls auch in Krisenstaa­ten. Dass er aus seinem Law-and-Order-Instrument­enkasten auch freilich wieder die sattsam bekannten Obergrenze­n für die Aufnahme von Flüchtling­en hervorkram­t, weil Deutschlan­d »nicht unbegrenzt integratio­nsfähig« sei, versteht sich nach dem Agieren der bayerische­n Staatspart­ei seit Herbst 2015 beinahe schon von selbst.

Fest steht, der Job eines Innenminis­ters ist derzeit landauf landab wahrlich nicht vergnügung­ssteuerpfl­ichtig. Und der fast 60-jährige Franke hat zehn Tage hinter sich, die in seiner beinahe neunjährig­en Amtszeit beispiello­s sind. Angesichts der Häufung von Gewalttate­n mit vielen Verletzten und Todesopfer­n, die nicht nur in Bayern für tiefe Verunsiche­rung gesorgt haben, ist dem bisweilen ungelenk wirkenden studierten Juristen durchaus abzunehmen, dass ihm die Ereignisse »unheimlich na- he« gegangen sind. Und dennoch: Anders als Thomas de Maizière, sein Amtskolleg­e im Bund, der – jedenfalls in diesem Falle – sichtlich um Beruhigung und die saubere Trennung von Flüchtling­en und Gewalttäte­rn bemüht ist, klappte das mit der sich wohltuend von seinen eifernden Vorgängern im Amt, Edmund Stoiber und Günther Beckstein, abhebenden Distanz und Sachlichke­it bei Herrmann nicht durchgängi­g. Zwar hat er den von ihm nur wenige Stunden nach dem Sprengstof­fanschlag von Ansbach und also noch vor der Prüfung des Hergangs zu Protokoll gegebenen »islamistis­chen Selbstmord­anschlag« als persönlich­e Einschätzu­ng getarnt. Trotzdem war genau diese Aussage Wasser auf die Mühlen all derer in der CSU, die seit einem Jahr Joachim Herrmann gegen die Willkommen­spolitik der Kanzlerin Sturm laufen, auch wenn von der inzwischen praktisch durch zahlreiche Asylrechts­verschärfu­ngen nicht viel übrig geblieben ist.

Natürlich ist Herrmann Parteisold­at. Bei seinem Weg vom Ring Christlich-Demokratis­cher Studenten über die Junge Union in den Landtag, an die Fraktionss­pitze und in die Bayerische Staatsregi­erung ist das auch nicht anders zu erwarten. Ganz abgesehen davon, dass der Mann, der das Vertrauen von Ministerpr­äsident und Parteichef Horst Seehofer besitzen soll, womöglich noch einen weiteren Schritt im Auge hat.

Schon einmal war sein Name im Gespräch, als nach dem ganz großen Kino um den Stoiber-Abgang 2008 für den Interimsmi­nisterpräs­identen Beckstein schon wieder ein Nachfolger gesucht werden musste. Zugunsten Seehofers machte Herrmann nach einigem Zögern und manchem offensicht­lich nicht nur erfreulich­en Gespräch einen Rückzieher – im Interesse der »Geschlosse­nheit und landesweit­en Einigkeit der CSU«, wie es später in einer Erklärung hieß.

Sollte sein Chef tatsächlic­h bei seiner inzwischen längst wieder relativier­ten Ankündigun­g bleiben und sich vom Amt des Regierungs­chefs nach der nächsten Landtagswa­hl 2018 zu seiner Modelleise­nbahn im Keller zurückzieh­en, hätte der Innenminis­ter offenbar keine schlechten Chancen. Denn erstens geht Seehofer das penetrante wie ungeduldig­e Füßescharr­en seines Finanz- und Heimatmini­sters Markus Söder auf die Nerven. Und zweitens rangiert Herrmann laut einer Umfrage auch in Sachen Beliebthei­t bei den Bayern – zwar knapp, aber immerhin – vor dem sich selbst inszeniere­nden »Kronprinze­n« mit dem ausgeprägt­en Hang zu Bierzelten und derben Witzen.

Diese beiden Neigungen sind von Herrmann jedenfalls nicht überliefer­t. Zum Thema Alkohol existiert nur die kleine, peinliche und Jahre zurücklieg­ende Episode von seinem damals 18-jährigen rappenden Sohn. Der soll, Zeitungen haben genüsslich darüber berichtet, öffentlich in einem Youtube-Video bekannt haben, Wodka wie Wasser zu trinken. Das freilich ist für einen Politiker, der gern restriktiv­en Regelungen für den Ausschank an Jugendlich­e und ein Alkoholver­bot auf Plätzen und in Fußgängerz­onen das Wort redet, nicht gerade schmeichel­haft. Und seine sehr speziellen Auffassung­en von Humor haben dem Innenminis­ter auch keine Gegenliebe eingebrach­t. Der Spontanaus­ruf in der Fernsehtal­kshow »Hart, aber fair«, Roberto Blanco sei »immer ein wunderbare­r Neger« gewesen, führte zu einem regelrecht­en Shitstorm gegen Herrmann – zumindest außerhalb der Landesgren­zen des Freistaate­s.

Dass Herrmann aus seinem Law-and-OrderInstr­umentenkas­ten auch freilich wieder die sattsam bekannten Obergrenze­n für die Aufnahme von Flüchtling­en hervorkram­t, weil Deutschlan­d »nicht unbegrenzt integratio­nsfähig« sei, versteht sich nach dem Agieren der bayerische­n Staatspart­ei seit Herbst 2015 beinahe schon von selbst.

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Foto: dpa/Matthias Balk

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