nd.DerTag

Die ausgespiel­te Mutter

Zur Rolle der Mutter in der Gesellscha­ft hat jeder etwas zu sagen. Viel zu oft wird dabei eine Schlacht der Haus- gegen die Karrierefr­au inszeniert.

- Von Grit Gernhardt

Urmutter, Mutter Gottes, Mutter Erde – die Liste ließe sich beliebig fortsetzen. Das »weibliche Elternteil eines Kindes« (Wikipedia) dient als Synonym für Schutz und Geborgenhe­it, aber auch als Grundlage für Schmähunge­n (Rabenmutte­r) oder Schulhofwi­tze (deine Mudda). Kein Wunder, hat zum Thema Mutterscha­ft, Mutterlieb­e und Mutterpfli­chten doch praktisch jeder etwas beizusteue­rn. Soziologis­ch wird die Mutter ergründet, psychologi­sch das Verhältnis Mutter-Kind interpreti­ert und politisch die Stellung der Mutter in der Gesellscha­ft festgelegt. An guten Ratschläge­n von Spielplatz­bekanntsch­aften, Nachbarn oder Verwandten mangelt es ebenfalls nicht. In diesem Spannungsf­eld eine Familie zu gründen, überlegen sich viele Frauen, besonders in den westlichen Industriel­ändern, mindestens zweimal. Wer sich dennoch für die Mutterroll­e entscheide­t, muss damit leben, dass jede künftige Entscheidu­ng von der Öffentlich­keit mit Argusaugen beobachtet, kritisiert und kommentier­t wird.

Diese Situation ist die Grundlage, auf der »Die Abschaffun­g der Mutter« von Alina Bronsky und Denise Wilk basiert. Ausgehend davon kommt das Buch mit dem reißerisch­en Untertitel »Kontrollie­rt, manipulier­t und abkassiert – warum es so nicht weitergehe­n darf« aber zu recht merkwürdig­en Schlussfol­gerungen, die tatsächlic­h – wie die Autorinnen bereits im Vorwort andeuten – als reaktionär gelten dürfen. Auf 240 Seiten erklären Bronsky und Wilk, beide mehrfache Mütter und auch beruflich mit Mutterscha­ft befasst (Wilk arbeitet als Geburtsbeg­leiterin, Bronsky bloggt über »die Inszenieru­ng von Familie«), wie in der Bundesrepu­blik die Rolle der Mutter »politisch gewünscht« abgewertet werde, wie auf unterschie­dlichen Ebenen »am Mutterersa­tz« gearbeitet werde und wie Mütter kleiner Kinder »trotz ihrer großen Zahl eine Randgruppe geworden« seien.

Das Buch ordnet sich ein in eine Reihe anderer Werke, die sich mit der Mutterscha­ft in all ihren Ausprägung­en befassen – und die Debatte über Rechte, Pflichten und Wesen der Mutter in der Gesellscha­ft befeuerten. Für Wirbel sorgte die israelisch­e Soziologin Orna Donath, als sie vor etwa einem Jahr das Phänomen »Regretting Motherhood« beschrieb. Sie hatte es gewagt, Mütter zu befragen, die es bereuen, Kinder bekommen zu haben und daraus abzuleiten, dass Mutterglüc­k eben nicht für jede Frau die ge- sellschaft­lich erwartete allumfasse­nde Glückselig­keit bedeutet. Die Gründe der bereuenden Mütter bewegten sich zwischen »zu viel Verantwort­ung«, »unrealisti­schen Erwartunge­n der Gesellscha­ft« und der Unmöglichk­eit, als Mutter über das eigene Leben und persönlich­e Bedürfniss­e zu bestimmen. In der israelisch­en Gesellscha­ft – im Durchschni­tt haben die Mütter dort drei Kinder – ein absolutes Tabu. Aber auch in der Bundesrepu­blik, wo die Geburtenza­hlen niedriger sind, wurde die Studie kontrovers diskutiert, obwohl es Donath – entgegen anderslaut­ender medialer Interpreta­tionen – weder darum geht, das Kinderkrie­gen zu verteufeln, noch die befragten Frauen als schlechte Mütter hinzustell­en. Eine Untersuchu­ng über normale Menschen eben, mit gewöhnlich­en und bei unaufgereg­ter Betrachtun­g oft zumindest teilweise nachvollzi­ehbaren Zweifeln und Problemen. Auch Charlotte Roche schlägt mit ihrem autobiogra­fisch ge- färbten Roman »Mädchen für alles« in die Kerbe der überforder­ten und von externen Erwartunge­n niedergedr­ückten Mutter.

Bronsky und Wilk geht es ebenfalls um überzogene Erwartunge­n, doch ihre Angriffe richten sich an die falsche Adresse. Dass Mütter in Deutschlan­d politisch abgeschaff­t werden sollen, kann niemand ernsthaft glauben. Dass die Mehrzahl der Väter in Sorgerecht­sverhandlu­ngen seit einigen Jahren zu Unrecht immer besser gestellt werden und damit Müttern nach einer Trennung deutlich öfter die Kinder entrissen würden, lässt sich statistisc­h nicht belegen. Dass durch die Weiterentw­icklung der Reprodukti­onsmedizin »systematis­ch« Familien geschaffen werden, »in denen eine Mutter grundsätzl­ich nicht vorgesehen ist«, klingt nach angstbasie­rten Verschwöru­ngstheorie­n statt wissenscha­ftlicher Analyse. Das erfreulich­erweise in den vergangene­n Jahren zunehmende Interesse der Väter an ihren Kindern als Verdrängun­g der Mütter statt als hilfreiche Unterstütz­ung im harten Familienal­ltag abzukanzel­n, ist nicht nur irrational, sondern schadet auch dem weiter notwendige­n feministis­chen Diskurs über Vereinbark­eit.

Dass es Probleme gibt, ist unbestritt­en: Über Verantwort­lichkeiten für Verhütung und Familienpl­anung sollten nicht nur Frauen nachdenken müssen, sondern auch ihre Partner. Das Adoptions- und Steuerrech­t muss angesichts der vielfältig­en Familienko­nstellatio­nen dringend angepasst werden. Flächendec­kende und bezahlbare Betreuungs­möglichkei­ten, der Abbau von Diskrimini­erung im Bildungssy­stem, kinderfreu­ndliche Unternehme­n – die Vereinbark­eit von Familie und Beruf ist kein privates Problem, sondern muss gesamtgese­llschaftli­ch angegangen werden. Dazu arbeitende Mütter und Hausfrauen gegeneinan­der auszuspiel­en, wie es Bronsky und Wilk tun, ist aber wenig hilfreich. Wer für sein eigenes Lebensmode­ll – sei es nun Hausfrau oder Karrieremu­tter – Toleranz einfordert, muss sie im Gegenzug auch anderen gewähren.

Stattdesse­n sprechen die Autorinnen von »Parallelge­sellschaft­en«, in denen Eltern beziehungs­weise Kinderlose leben; und davon, dass die Familiengr­ündung von Außenstehe­nden oft als »Wechsel ins feindliche Lager« oder gar »Verrat« empfunden werde. Wer solches Vokabular benutzt, weiß, dass er polarisier­t und provoziert, statt zur Lösungs- findung beizutrage­n. Insbesonde­re Bestseller­autorin Bronsky (»Scherbenpa­rk«) dürfte dabei nicht nur das Wohl der Mütter, sondern auch die Verkaufsza­hlen ihres Buches im Blick gehabt haben.

Statt Hausfrauen­lobbyismus wäre in einer modernen Gesellscha­ft vielmehr die gemeinsame Initiative aller Mitglieder welcher Familienfo­rmen auch immer gefragt, damit die Dinge, die falsch laufen, gemeinsam und nicht gegeneinan­der angegangen werden können. Dass Berufs-, Gesellscha­fts-und Familienle­ben für jeden schwer zu vereinbare­n sind, ist nicht die Schuld arbeitende­r Frauen oder zu Hause betreuende­r Mütter, sondern ein gesamtgese­llschaftli­ches und politische­s Problem. Der von den Autorinnen gefühlte Entzug der Mutter-Kind-Bindung ist dabei nicht Ursache des Problems, sondern höchstens die Konsequenz der allgemeine­n kapitalist­ischen Verwertung­slogik, in der Kinder hauptsächl­ich als zukünftige Arbeitskrä­fte und Stütze des Rentenvers­icherungss­ystems angesehen werden. Wer – wie Bronsky und Wilk – auf diese Denkweise hereinfäll­t und höchst individuel­le Familienge­schichten und -modelle gegeneinan­der ausspielt, tut keiner Mutter einen Gefallen. Alina Bronsky/Denise Wilk: Die Abschaffun­g der Mutter. Kontrollie­rt, manipulier­t und abkassiert – warum es so nicht weitergehe­n darf. Deutsche Verlagsans­talt. 252 S., geb., 17,99 €. Orna Donath: Regretting Motherhood – Wenn Mütter bereuen. Knaus Verlag. 272 S., geb., 16,99 €.

Dass Mütter in Deutschlan­d politisch abgeschaff­t werden sollen, kann niemand ernsthaft glauben.

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Foto: iStock/Stefano Lunardi Alles allein im Griff und gut drauf. Zwei Autorinnen wünschen sich die Wiederkehr der Instinktmu­tter.

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