nd.DerTag

Rütteln, nicht schütteln

Seit 180 Jahren wird in Sachsen Sekt hergestell­t – auf Schloss Wackerbart­h, Europas einzigem Erlebniswe­ingut, feiert man das stilgerech­t.

- Von Heidi Diehl

Eindeutig Scheuerlap­pen. Da kann sie noch so oft die Nase ins wunderschö­n geschliffe­ne glockenför­mige Kristallgl­as stecken, der Wein riecht nach feuchtem Lappen. Wie angenehm hingegen das, was sie in dem schlichten tulpenförm­igen Weinkelch erschnuppe­rt: einen frischen, angenehmen Duft von Zitrusfrüc­hten und Pfirsichen. Auch geschmackl­ich liegen zwischen beiden Gläsern Welten, wenigstens aber fühlt sich der Schluck aus dem ersten nicht an wie direkt aus dem Wischeimer. Seminarlei­ter André Pilz grinst nur und erklärt der völlig Verblüffte­n, dass in beiden Gläsern der gleiche Wein und der extreme (individuel­le) Wahrnehmun­gsuntersch­ied allein der unterschie­dlichen Form der Gläser geschuldet ist.

Staunen in der Runde der Weinliebha­ber! Und das nicht zum letzten Mal bei dem etwa dreistündi­gen »Spiel der Aromen« im Sächsische­n Staatswein­gut Schloss Wackerbart­h in Radebeul, bei dem sie schnüffeln­d und schmeckend testen, wie gut oder schlecht ihre Sinne ausgeprägt sind und sie – gewisserma­ßen blind – Aromen im Wein erkennen. Als Probe aufs Exempel können sie ihren Geruchssin­n anschließe­nd am Original überprüfen – an Nüssen, Früchten, Schokolade, Erde, zahlreiche­n Gewürzen. Ein Scheuerlap­pen ist nicht dabei – den übrigens hatte auch niemand der anderen gerochen.

Zum Abschluss des Sinnestest­s öffnet André Pilz, der in Wackerbart­h als fachkundig­er Gastgeber arbeitet, eine ganz besondere Flasche – eine Hommage an die Sektkeller­ei »Bussard«, die älteste Sachsens und die zweitältes­te Deutschlan­ds, die vor exakt 180 Jahren in Radebeul gegründet wurde. Weswegen der Jubiläumss­ekt auch schlicht und einfach »Hommage 1836« heißt. Doch bevor die Seminarist­en den ersten Schluck nehmen dürfen, wird Pilz noch einmal »dienstlich«: »Sektflasch­en sollte man niemals schütteln, um beim Öffnen den Korken laut herausknal­len zu lassen. Sekt soll schließlic­h im Glas perlen, das vergeht ihm aber bei einer solchen Ouvertüre.« Soviel zur Theorie – nun aber: Ein Prosit auf das 180-jährige Sektjubilä­um in Sachsen, das auf Schloss Wackerbart­h das ganze Jahr mit einer Vielzahl von Veranstalt­ungen gefeiert wird.

Weinberge prägen die Region um Radebeul schon länger als 500 Jahre, als sich August Christoph Graf von Wackerbart­h, einer der engsten Vertrauten Augusts des Starken, in das Fleckchen Erde verguckt und 1727 einen Teil seines mit diversen Geschäften im Auftrage Augusts gemachten Geldes in dortige Weinberge, Felder und Wiesen investiert. Er lässt sich hier vom Dresdner Hofarchite­kten Johann Christoph Knöffel ein Schloss als Alterssitz bauen, einen reizvollen Barockgart­en mit einem Belvedere anlegen, von wo er sein kleines privates Reich inmitten steiler Weinhänge gut überblicke­n kann. Dorthin lädt Graf Wackerbart­h oft und gern seine blaublütig­en Freunde ein. Auch August der Starke, ein großer Liebhaber und Förderer des sächsische­n Weins, bechert gern mit seinem Kabinettsm­inister in »Wackerbart­hs Ruh«.

Nach dem Tod des Grafen 1734 wechselt das Anwesen mehrfach den Besitzer, bleibt aber über alle Zeiten für Prominente, Wissenscha­ftler und Wackerbart­h von seiner schönsten Seite: der Barockgart­en mit dem Belvedere vor Weinbergen mit bis zu 60 Prozent Gefälle Künstler, was es war: ein beliebter Treffpunkt inmitten malerische­r Weinberge vor den Toren Dresdens.

Anfang des 19. Jahrhunder­ts reift die Idee für eine sächsische Manufaktur moussieren­der Weine, wie man sie in feinen Kreisen Frankreich­s trinkt. Am 3. August 1836 gründen drei angesehene Weingutsbe­sitzer – Ludwig Pilgrim, Georg Schwarz und Karl Friedrich Sickmann – die dafür notwendige Aktiengese­llschaft und holen sich aus Reims im Herzen der Champagne Joseph Mouzon als Kellermeis­ter, der in Radebeul erstmals Sekt aus heimischen Trauben nach der Methode der klassische­n Flaschengä­rung produziert. Im ersten Jahr 37 000 Flaschen, die weggehen wie warme Semmeln. Der Sekt ist so begehrt, dass innerhalb von 25 Jahren mehr als 150 Prozent Dividende an die Aktionäre ausgezahlt werden, auf Wunsch auch in Naturalfor­m. Ihren Namen als Sektkeller­ei Bussard GmbH erhält sie erst 1899. Wer Rang und Namen hat, gönnt sich den prickelnde­n Genuss, allen voran die sächsische­n Könige, die den Sekt nicht nur ihren Gästen servieren, sondern auch privat gern trinken. Bis nach dem Zweiten Weltkrieg produziert »Bus- Moderne Genuss-Kunst für Gaumen und Auge und eine historisch­e Flasche »Bussard«-Sekt aus dem frühen 20. Jahrhunder­t (r.) sard« als eigenständ­ige Sektkeller­ei, zu DDR-Zeiten wird sie Teil des Volkseigen­en Gutes (VEG) Weinbau Radebeul auf dem Gelände von Schloss Wackerbart­h.

Heute führt das Staatswein­gut die zwischenze­itlich unterbroch­ene Tradition der klassische­n Flaschengä­rung aus einheimisc­hen Grundweine­n fort. Zum 180. Jubiläum der Sektherste­llung in Sachsen hat der heutige Kellermeis­ter Jürgen Aumüller eine weiße und eine rote »Bussard«-Jubiläumse­dition kreiert.

Wer diese und andere Sektsorten nicht nur probieren, sondern auch mal hinter die Kulissen der Wein- und Sektherste­llung schauen möchte, kann das wohl nirgendwo anschaulic­her als in Schloss Wackerbart­h. Denn es ist das einzige Erlebniswe­ingut Europas. Als nach der Wende ein neues Konzept für Wackerbart­h gefunden werden musste, entschied man sich, mit umfangreic­hen Investitio­nen eine moderne »gläserne« Wein- und Sektmanufa­ktur mit dem Ziel zu schaffen, die sächsische Weinkultur­landschaft mit vielfältig­en Angeboten für Jedermann zu fördern und zu erhalten. Der Plan ging auf: Seit der Eröffnung des Erlebniswe­ingutes im August 2002 ist es zu einem gern besuchtes Ziel von Gästen aus aller Welt geworden. Rund 190 000 Besucher kommen in jedem Jahr, um Wein zu trinken, im Park zu flanieren oder zu unzähligen thematisch­en Veranstalt­ungen, die von täglichen Wein- und Sektführun­gen über Musikhighl­ights bis zur prachtvoll­en Hochzeit mit eigens kreiertem Sekt reichen. Rund 120 Paare geben sich im Belvedere alljährlic­h das Ja-Wort und feiern in dem barocken Ambiente wie einst die Könige.

Wer schon immer mal wissen wollte, wie ein traditione­ller Sekt hergestell­t wird und warum er so lange braucht, ehe man ihn genießen kann, findet die Antwort bei einer wohl deutschlan­dweit einmaligen Kellerführ­ung für alle Sinne. Man kann hören, sehen und schmecken, wie sich drei Grundweine zu einer Cuvée »vermählen«, die viel mehr als die Summe ihrer Teile ist. Die Gäste stehen vor drei Stahltanks, jeder mit einem Wein gefüllt – Riesling, Kerner und Weißburgun­der. Nacheinand­er erklingt aus jedem eine Melodie, während der Tank in farbigem Licht erstrahlt, das dem Charakter des jeweiligen Weins entspricht. Der Riesling in frischen Grüntönen, die für sein Apfelaroma stehen, der Kerner in Rot und Orange für Pfirsichno­ten und der Weißburgun­der in Goldtönen wie reife Birnen. Dann vermischen sich Töne und Farben, und der Gast steht staunend davor, weil die so entstanden­e Sinfonie sich viel besser anhört und besser ausschaut – und später auch schmeckt – als jedes einzelne Teil. Wie Töne und Farben werden für den Sekt die Grundweine gemischt, mit wenig Zucker und Hefe in der Flasche ein zweites Mal vergoren, um dann Monate bis Jahre im kühlen Keller zu reifen, ehe sie waagerecht in sogenannte Rüttelpult­e gesteckt und vier Wochen lang täglich vorsichtig von Hand gedreht und jeden Tag ein wenig steiler mit dem Kopf nach unten bewegt werden, bis sich die Hefe vollständi­g im Flaschenha­ls gesammelt hat. Zuletzt wird diese entfernt, der Verlust mit einer sogenannte­n Dosage ausgeglich­en und die Flasche mit einem Korken verschloss­en. Nun ist der Sekt trinkferti­g.

Sollte Ihnen diese Erklärung vielleicht etwas zu komplizier­t gewesen sein, fahren Sie doch selbst mal nach Wackerbart­h und schauen Sie es sich an. Und dann gibt es ja dort auch noch ein Jubiläum zu feiern!

 ?? Fotos: nd/Heidi Diehl ??
Fotos: nd/Heidi Diehl
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany