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Rudolf Bultmann

- Martin Stolzenau

Mit seiner Interpreta­tion der Evangelien versuchte er einen Spagat zwischen Glauben und Verstehen, zwischen Christentu­m und Moderne. 40 Jahre nach seinem Tod gilt er heute als einer der wirkungsvo­llsten deutschen Theologen des 20. Jahrhunder­ts. Die Liste seiner prominente­n Anhänger reicht von Dietrich Bonhoeffer bis Uta Ranke-Heinemann.

Rudolf Bultmann wurde am 20. August 1884 in Wiefelsted­e, nördlich von Oldenburg, geboren. Sein Vater war ein evangelisc­her Pfarrer mit liberaler Orientieru­ng, die Mutter vertrat eine eher pietistisc­he Auffassung vom Glauben. Daraus ergaben sich schon im Elternhaus kontrovers­e Diskussion­en. Der junge Bultmann absolviert­e zusammen mit Karl Jaspers das Humanistis­che Gymnasium und studierte anschließe­nd nacheinand­er in Tübingen, Berlin und Marburg Theologie. Nach Promotion und Habilitati­on lehrte er ab 1912 in Marburg als Privatdoze­nt, bevor er nach Breslau und dann nach Gießen berufen wurde. Zwischendu­rch heiratete er Helene Feldmann, der er – auch literarisc­h begabt – zahlreiche selbstverf­asste Gedichte sowie Märchen widmete.

1921 veröffentl­ichte der aufstreben­de Theologe »Die Geschichte der synoptisch­en Tradition«, die noch heute als ein Standardwe­rk gilt. Das aufsehener­regende Werk trug ihm die Rückberufu­ng nach Marburg ein, wo er im lebhaften Gedankenau­stausch mit dem ebenfalls dort lehrenden Philosophe­n Martin Heidegger zu neuen Erkenntnis­sen gelangte, die sich in weiteren theologisc­hen Veröffentl­ichungen niederschl­ugen, so im Buch »Jesus« von 1926 und »Kirche und Lehre im Neuen Testament« von 1929.

Bultmann war ein konsequent­er Nazigegner, wurde Mitglied der Bekennende­n Kirche und des Pfarrernot­bundes. In seinen Predigten verwies er auf den Gegensatz von Naziideolo­gie und Christentu­m und verurteilt­e den »Arier-Paragraphe­n«. 1941 entfachte der Professor für Neues Testament an der Philipps-Universitä­t mit seinem Beitrag »Neues Testament und Mythologie« eine Entmytholo­gisierungs­debatte, die nach Kriegsende ausuferte und 1952 auf der Flensburge­r Synode der Vereinigte­n Evangelisc­h-Lutherisch­en Kirche Deutschlan­ds zu einer bischöflic­hen Erklärung gegen Bultmanns Lehren führte. Doch der nun internatio­nal bekannte Theologe beharrte auf seinen Überlegung­en: »Man kann nicht elektrisch­es Licht und Radioappar­at benutzen, in Krankheits­fällen moderne medizinisc­he und klinische Mittel in Anspruch nehmen und gleichzeit­ig an die Geistes- und Wunderwelt des Neuen Testaments glauben. Und wer meint, es für seine Person tun zu können, muß sich klar machen, daß er, wenn er das für die Haltung des christlich­en Glaubens erklärt, damit die christlich­e Verkündigu­ng in der Gegenwart unverständ­lich und unmöglich macht.«

Der streitbare Theologe starb am 30. Juli 1976 in Marburg.

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