Ziemlich skeptisch
Nach dem Brexit: Auf der Suche nach Befürwortern und Gegnern in Irland und in Cornwall
Nach dem Brexit: Auf Spurensuche in Irland und Cornwall.
»Man kann nur etwas verändern, wenn man sich einmischt und drin bleibt in der Europäischen Union.«
Der Brexit ist nach den Anschlägen in Nizza und der Gewalt in Bayern fast in den Hintergrund getreten. In Irland und im englischen Cornwall wird das Votum der Briten für den EU-Austritt weiter hart diskutiert. Die Duke Street ist eine kurze, enge Straße, die im Herzen von Dublin die Grafton und die Dawson Street verbindet. Sie wäre eigentlich überhaupt nicht bemerkenswert, wenn es in ihr nicht das »Duke« gäbe. »The Duke« ist zwischen Stephens Green und Trinity College eine Attraktion. Für Jung und Alt, für Einheimische und Touristen, die sich hierher verirren. Eine lange Bar. Bier und Cidre werden gezapft, Whiskey nachgeschenkt. Die beiden großen Räume im Erdgeschoss und in der ersten Etage werden an diesem Freitagnachmittag immer voller, auch immer lauter. Das ist auf der schmalen Terrasse nicht anders. Laute Eltern mit sehr lauten Kindern und nachsichtigen Großeltern lachen und trinken sich in den frühen Abend hinein, machen einen ziemlichen Lärm, singen »I see fries in my eyes!«. Reden über ihre Fußballnationalmannschaft, die sich bei der EM in Frankreich so toll geschlagen hat, über ein Picknick am bevorstehenden Wochenende.
Über die Abstimmung in Großbritannien, die EU zu verlassen, sprechen sie nicht, zucken mit den Schultern. Ihnen geht es wie offenbar den meisten Menschen in Irland: Sie schauen mit einer Art verzweifelter Ungläubigkeit auf die Briten.
In Irland würde es sicher keine Mehrheit geben, aus der EU auszutreten, obwohl die wirtschaftlichen wie die politischen Probleme evident sind. Das Land ist teuer, vor allem die Hauptstadt ist es. In ihr gibt es eine massive Wohnungsnot. Viele Obdachlose, die sich in die Seitenstraßen und die Hafengegend verdrücken. Dublin ist eine der teuersten Hauptstädte Europas. Die Preise für Lebensmittel, für Bücher sind hoch. Getränke sind noch erschwinglich. Ein Pint (0,57 Liter) Cidre kostet im »Duke« 5,50 Euro. Ein kleines Glas irischer Whiskey 4,80 Euro.
Carl Magnus ist emeritierter Professor der Universität Lund nahe Malmö. Er macht im »Duke« einen Zwischenstopp, hat noch einen Platz auf der Terrasse gefunden und ist auf dem Weg zu seinem Freund John in Gorwey. Beide kennen sich lange, waren zusammen jahrelang in Berlin, haben an der damaligen Hochschule der Künste (HdK) im Stadtteil Charlottenburg gearbeitet und im nicht weit entfernten »Zwiebelfisch« am Savignyplatz gezecht. Auch er zuckt über die Brexit-Abstimmung nur mit den Schultern. John sei ein irischer, er ein schwedischer Europäer. In der irischen Presse wird das Abstimmungsergebnis intensiv behandelt.
Roger
Irland ist bei einem Austritt des United Kingdom von nicht EU-Gebiet umgeben. Die offene Grenze zu Nordirland könnte nicht mehr offen bleiben. Das ist umso mehr ein Problem, als die Nordiren mehrheitlich in der EU bleiben wollen. Wie auch die Schotten. Ganz anders als die Mehrheit der Engländer und Waliser. Was daraus werden soll? Carl Magnus befürchtet nichts Gutes. Aber so richtig wissen kann es keiner.
Auch nicht nebenan bei Hodges und Figgis in der Dawson Street. Das ist der große, sich über mehrere Etagen verteilende Buchladen in Dublin. Viel Literatur über Europa gibt es nicht. »Wir haben 2016«, sagt der junge Verkäufer schmunzelnd und zeigt auf eine große Menge von Büchern, die sich alle mit der irischen Rebellion 1916 gegen die Engländer befassen, während auf dem Kontinent Iren und Engländer gegen die Deutschen kämpften. Hundert Jahre ist das her. Die Rebellen wurden von britischen Einheiten besiegt. Noch einmal ein paar Jahre bevor sich Irland unabhängig vom britischen Königreich erklärte. Carl Magnus ver- abschiedet sich. Er hat sich noch »Young skin« des jungen Autors Colin Barrett gekauft, ein Buch über Menschen in Irland, das in Deutschland unter dem Titel »Junge Wölfe« erschienen ist. Carl Magnus will im August in Berlin sein. Seine alte Hochschule, Freunde besuchen und vorher nach Hause fahren. Mit einem Zwischenaufenthalt in England.
Der Süden Englands ist vor allem in diesen Sommertagen voll mit internationalen Touristen. Das gilt besonders für Cornwall. Mehrheitlich hat die Bevölkerung hier für das Verlassen der Europäischen Union gestimmt. Nur in Falmouth nicht. Das ist die über 350 Jahre alte Hafenstadt an der südwestlichen Ecke Großbritanniens. Die kleine Stadt ist voller Geschichte. Seefahrergeschichte. Hier baute Heinrich VIII. seine beiden großen Festungen Pendennis und St. Mawes Castle, die bis heute die Einfahrt in einen der schönsten Naturhäfen der Welt überragen. Hier erreichte die Nachricht vom Tod Admiral Nelsons das Vereinigte Königreich.
Der 75 Jahre alte Roger lebt mit seiner deutschen Frau in der Arwenack Avenue nahe am Hafen. In Falmouth ist eigentlich alles nahe am Hafen. Roger hat ein Boot, was in Falmouth nichts Ungewöhnliches ist. Er hat mit seiner Frau die Küsten Europas abgesegelt bis hinein in die Ostsee. Er meint, England sei »völlig durch den Wind«. »Ich bin ein englischer Europäer und wir haben natürlich gegen den Brexit gestimmt als einzige Stadt in Cornwall.« Als faul und selbstgefällig bezeichnet er seine Landsleute, die sich haben verführen lassen. »Sie sind über Europa belogen worden«, schimpft er auf die in Westminster, die das Land gegen Europa aufgestachelt hätten.
Der schlanke, sehr lebhafte, grauhaarige Mann steht am Hafen, da, wo die Kreuzfahrtschiffe anlegen und schaut hinüber auf das neue National Maritime Museum, auf das alte Zollhaus daneben und auf den Jachthafen für die vielen Segel- und Motorboote, die vom europäischen Fest- land nach Falmouth kommen. »Gucken Sie sich das an, Seefahrt, Seewirtschaft ist international und diese cornische Bevölkerung stimmt gegen die EU. Nicht zu fassen.« Er muss los: »Bis später.«
Ein paar Schritte die Market Street hinunter, fast am sehr übersichtlichen Zentrum der Stadt, ist die Prince of Wales Pier. Von hier aus geht alle 30 Minuten die Motorfähre auf die andere Seite der Bucht nach St. Mawes. Die Fahrt hin und zurück kostet knapp 10 britische Pfund und dauert pro Weg etwa 25 Minuten. Der enge Hafen hat einen Anleger für die Fähre. Die kleinen Fischerboote sind an Bojen vertäut. Die Jachten ankern auf der Reede, die sich vor dem Ort erstreckt. Der hängt fast an einem zuweilen sehr steilen Hang. Die Waterside Gallery stellt hauptsächlich Bilder mit cornischen Motiven von einheimischen Malern aus. Darauf ist die Eigentümerin, eine freundliche, blonde, ältere Dame, sehr stolz. »Wir pflegen unsere Traditionen«, erklärt sie, verweist auf die vielen Motive, die Künstler wie James Wood gemalt haben: Austernfischer, natürlich den Hafen, die Arbeits- und die Segelboote, die Regatten.
Anders als der 75-jährige Roger in Falmouth, redet sie über Politik nicht so gerne, lächelt das Thema Brexit sozusagen charmant weg und meint nur: »Wir sind hier doch international.« Das ist auch so. Der über 800 Jahre alte frühere Fischereihafen ist ein sehr attraktiver und sehr teurer Ort für britische und europäische Touristen geworden. Mit engen Gassen, die sich den Hang hinaufschlängeln, mit sehr britischen Hotels und einer sehr alten Zapfsäule unten an der Pier an der einzigen Tankstelle im Ort.
Oberhalb der Pier liegt die St. Mawes Church, die örtliche Kirche. Von hier aus ist der Blick über die Bucht hinüber nach Falmouth atemberaubend und Priester Ken Boullier erzählt, das an dieser Stelle schon immer eine Kirche gestanden habe. »Die jetzige allerdings ist erst aus dem Jahr 1882.« Pater Boullier ist ein großer, kräftiger Mann, Mitte vierzig mit vollem dunklen Haar und einer beruhigenden Stimme. Wie die Galeristin will er über den Brexit nicht reden, er sei »ein Mann der Kirche«. Wer war eigentlich St. Mawes? »Das war ein keltischer Mönch, der im 6. Jahrhundert aus Irland nach Britannien kam, um zu missionieren«, erklärt der Pater. Seine Nachfolger und Nachnachfolger hätten sich dann hier angesiedelt und bereits im 14. und 15. Jahrhundert sei St. Mawes ein wich- tiger Hafen in Cornwall gewesen, lange bevor auf der anderen Seite der Bucht sich die ersten Siedler und Seefahrer dort niedergelassen hätten, wo heute Falmouth liegt.
Das, was die kleine Kirche für St. Mawes ist, ist die Pfarrkirche King Charles der Märtyrer für Falmouth. Sie ist ungleich größer, ungleich prachtvoller und liegt da, wo die Arwenack Street endet und die Church Street beginnt. Diese Kirche aus der Mitte des 17. Jahrhunderts ist fast so alt wie die Stadt und dokumentiert ihre Geschichte. Generationen von Marineoffizieren, Handelsschiffkapitänen haben hier geheiratet, wurden hier betrauert. Der sehr alte Schriftsteller Larry Reeman hat ihnen unter dem Pseudonym Alexander Kent mit der Romanfigur des Navy-Offiziers Richard Bolitho ein literarisches Denkmal gesetzt. 1958 erschien das erste Buch von Alexander Kent, der als Offizier der Royal Navy im Zweiten Weltkrieg im Mittelmeer und im Atlantik gekämpft hat. Auch in der Normandie. Jedes Kind in Falmouth kennt Richard Bolitho. Roger auch. »Die Familie Bolitho, übrigens, gibt es wirklich«, erzählt er. Seit Jahrhunderten lebe sie hier.
Falmouth sei keine reiche Stadt sagt Roger und das ist auch bei einem Gang durch High Street zu sehen. Die Hausfassaden sind herausgeputzt, es gibt viele kleine Geschäfte, doch viele sind eben auch leer. Das gilt auch für manche Pubs. Im sehr geräumigen »Prince of Wales« an der gleichnamigen Pier spielen vier Männer Karten und zwei Billard. Die junge Frau hinter dem Tresen langweilt sich. Telefoniert mit ihrem Freund. Sie hat nicht abgestimmt.
Die vier alten Männer ja. Sie hätten sich nicht belügen lassen, gegen den Brexit gestimmt. Roger will mit seiner Frau am Abend in ein Fischrestaurant am Customs House Quay essen gehen. Der Weg von der Anlegestelle der Fischer zum Wirtshaus ist etwa 80 Meter kurz. Sie wollen einen kühlen deutschen Weißwein trinken, den es da gibt, meint Roger. Für das nächste Frühjahr planen sie wieder eine Reise nach Europa, auch nach Deutschland. »Dann sind wir ja wahrscheinlich noch in der EU«, sagt der alte Mann lächelnd und schüttelt noch einmal energisch den Kopf über das Abstimmungsergebnis. »Man kann nur etwas verändern, wenn man sich einmischt und drin bleibt in der Europäischen Union.« Alles andere ginge doch nicht. »Und an der EU ist wirklich genug zu verändern und zu reformieren und demokratischer zu machen.«