Dialektik der Demokratie
Zehntausende Menschen demonstrieren in Köln gegen Freiheitsrechte in der Türkei
Erdogan ließ in Köln von Ankara aus die Muskeln spielen: Zehntausende rechte Türken demonstrierten gegen demokratische Freiheiten in ihrem Heimatland. Der Gegenprotest war erheblich schwächer. Der gestrige Protesttag in Köln war nicht frei von Ironie. Sowohl Erdogan-Anhänger wie ihre Gegner demonstrierten angeblich für Demokratie und gegen den Militärputsch in der Türkei – jedenfalls ausweislich ihrer Demo-Motti. »Ja zur Demokratie, nein zum Staatsstreich« stand auf dem Transparent der Rednertribüne der Pro-Erdogan-Demonstration, flankiert von einer großen türkischen und je einer erheblich kleineren deutschen und europäischen Fahne.
»Für Demokratie und Meinungsfreiheit in der Türkei« demonstrierte derweil die Parteijugend von SPD, Grünen, Linkspartei und FDP. Auch sie sind durchaus keine Freunde des Putsches. Doch trotz ähnlich wirkender Parolen liegen Welten dazwischen: In der Einschätzung des türkischen Staatspräsidenten scheiden sich die Geister. Für die rechten Türken ist Recep Tayyip Erdogan Garant der Demokratie, für die linken Deutschen ist »Erdowahn« deren Totengräber. In der Türkei ließ er seit dem Putsch-Versuch 18 000 Menschen festnehmen.
In Köln wurde am Sonntag ein Volksfest des Nationalismus zelebriert. Tausende rote Fahnen mit Stern und Halbmond wehten bereits zu Beginn der Veranstaltung am Versammlungsort im Deutzer Hafen. Die ersten Reden der Pro-Erdogan-Kundgebung wurden konsequenterweise auf Türkisch gehalten und nur zum Teil übersetzt. Inbrünstig wurde die türkische Nationalhymne gesungen und die deutsche instrumental abgespielt. Laut Medienberichten sollen sich Tausende türkische Rechtsextremisten unter den Demonstranten befunden haben.
Die Pro-Erdogan-Kundgebung begann um 15 Uhr, sie sollte bis 20 Uhr und damit weit nach nd-Redaktionsschluss andauern. Organisiert wurde sie von der AKP-nahen Union Europäisch-Türkischer Demokraten. Mit Dutzenden Reisebussen waren die Anhänger des umstrittenen türkischen Staatspräsidenten nach Köln gebracht worden. Organisator Bülent Bilgi sagte, dass von der Versammlung die Botschaft für ein »friedliches harmonisches Miteinander« ausgehe. In den sozialen Netzwerken tobte derweil der Hass: »Jetzt ein paar Bömbchen in die Menschenmenge«, postete ein Youtube-Nutzer. Am Rande der Kundgebung schrien sich Freunde und Feinde Erdogans an. Ein biodeutscher Journalist mit angeblich sehr guten Kontakten zu salafistischen Gotteskriegern pries das »wehrhafte türkische Volk« vom Rednerpult aus und wetterte gegen die angebliche Hetze deutscher Medien wider Erdogan und Islam.
Der Kabarettist Jürgen Becker brachte die Dialektik der Demokratie auf den Punkt: Er gönne »den Türken« die Meinungsfreiheit und das Demonstrationsrecht. Selbst wenn »die Türken« dafür demonstrierten, dass die Meinungsfreiheit und das Demonstrationsrecht in der Türkei eingeschränkt werden, sagte der Künstler. »Diese Absurdität muss man aushalten«, so Becker mit Blick auf die massive Repression gegen ErdoganGegner in der Türkei.
Rufe nach einem Verbot der Großdemonstration waren im Vorfeld laut geworden. Untersagt wurde schließ-
Für die rechten Türken ist Recep Tayyip Erdogan Garant der Demokratie, für die linken Deutschen ist »Erdowahn« deren Totengräber.
lich nur die Liveübertragung einer Erdogan-Rede per Leinwand und Lautsprecher von Ankara nach Köln. So wollte die Polizei eine »hochemotionalisierte Lage« verhindern. Das Bundesverfassungsgericht hatte dies am Vortag für rechtens erklärt. Ein Erdogan-Sprecher kommentierte dies als »inakzeptabel«. Die Behörden hätten versucht, die »Demokratie-Veranstaltung« zu verhindern.
Rund 20 000 Menschen sollen auf der Demo gewesen sein, nachdem die Polizei zuletzt mit 50 000 Teilnehmern gerechnet hatte – und mit Gewalt. 2700 Polizisten und acht Wasserwerfer waren im Einsatz. Eine Gegendemo der rechtspopulistischen Partei »Pro Köln« nebst Nazi-, Hogesa- und Pegida-Anhang und eine linke Gegendemo von »Köln gegen rechts« hielten sich gegenseitig im Schach. Mit ihren paar Dutzend Teilnehmern hätten sie gegen die vielen Jünger Erdogan eh wenig ausrichten können. Stattdessen griff ein Nazi im Hauptbahnhof einen Journalisten ein. Sein Tag endete in einer Polizeizelle.