nd.DerTag

Kein Bleiben ohne Perspektiv­e

Viele Flüchtling­e wollen zurück in ihre alte Heimat, obwohl sie in Deutschlan­d Asyl bekommen würden

- Von Sebastian Haak, Erfurt

Flüchtling­e nehmen oft unglaublic­he Gefahren auf sich, um nach Deutschlan­d zu kommen. Erfahrunge­n eines Thüringer Hilfsproje­kts zeigen aber: Nicht wenige wollen wieder zurück. Warum? Bis vor etwa zwei, drei Monaten war es so, wie man es wohl erwartet: Die Mehrzahl der Menschen, die zu Sabine-Maria Kuchta oder Patricia Joukisch gekommen sind, hatten vom Bundesamt für Migration und Flüchtling­e die Nachricht erhalten, dass ihr Asylantrag abgelehnt worden ist. Es war also klar: Sie würden Deutschlan­d wohl wieder verlassen müssen – und wollten nun von den Frauen wissen, wie sie denn zurückkehr­en könnten, ohne abgeschobe­n zu werden. Seit et- wa zwei, drei Monaten, sagen die beiden Mitarbeite­rinnen der Caritas, ist das nicht mehr so.

Joukisch arbeitet als Beraterin in der einzigen Rückkehrbe­ratungsste­lle für Flüchtling­e, die es in Thüringen gibt. Kuchta hat dort bis vor Kurzem als Beraterin gearbeitet. Getragen wird die Stelle vom katholisch­en Wohlfahrts­verband Caritas, in dessen Räumlichke­iten in Erfurt die Einrichtun­g auch ihren Sitz hat. Das, was beide aus dem Alltag der Rückkehrbe­ratung erzählen, ist ein Beweis dafür dass es »den Flüchtling« so nicht gibt. Und dass viele Flüchtling­e inzwischen ernüchtert sind.

Etwa fünf Erstberatu­ngen pro Woche, sagen Kuchta und Joukisch, würden aktuell in der Beratungss­telle geführt. Auf die meisten von ihnen folgen weitere Besprechun­gen. Rechnet man das auf ein Jahr hoch, heißt das, dass etwa 250 bis 300 Flüchtling­en jährlich in der seit 2008 bestehende­n Einrichtun­g geholfen wird. Eine Hilfe, die Thüringens Migrations­minister Dieter Lauinger (Grüne) für so wichtig hält, dass er der Beratungss­telle nicht nur für dieses Jahr etwa 60 000 Euro freistaatl­iches Fördergeld zugesicher­t hat, sondern auch sagt, er könne sich »kaum vorstellen, dass es Gründe geben wird, diese Unterstütz­ung nicht auch im nächsten Jahr fortzuführ­en«. Die Caritas finanziert damit zwei halbe Stellen für die Rückkehrbe­rater und arbeitet damit gleichsam auf eine Art und Weise, die Lauingers politische Überzeugun­gen stützt – hat Lauinger doch von seinem ersten Ministerta­g an auf die freiwillig­e Rückkehr von Flüchtling­en statt auf Abschiebun­gen gesetzt.

Die freiwillig­e Ausreise, sagt Lauinger, sei erstens viel humaner »als wenn Sie von Polizei abgeholt und dann unter Zwang in ein Flugzeug gesetzt und in ihrem Heimatland wieder ausgekippt werden«. Zweitens sei die freiwillig­e Rückkehr billiger als die Abschiebun­g von Flüchtling­en. Lauinger kann auf Zahlen verweisen, die zeigen, wie viele Flüchtling­e den Freistaat in diesem Jahr bisher unter Zwang verlassen und wie viele freiwillig ausgereist sind. Aus Thüringen abgeschobe­n wurden nach den Daten des Thüringer Migrations­ministeriu­ms 2016 bislang etwas mehr als 300 Menschen. Etwa 1300 Männer, Frauen und Kinder sind im gleichen Zeitraum freiwillig ausgereist. Ob der Freistaat die Transportk­apazitäten hätte beschaffen und genug eigene Polizeikrä­fte mobilisier­en können, um auch diese etwa 1300 Menschen unter Zwang außer Landes zu bringen, darf bezweifelt werden. Bundesweit wurden nach Zahlen der Bundespoli­zei 2016 bislang etwa knapp 14 000 Flüchtling­e aus Deutschlan­d abgeschobe­n.

Wobei der Zwang zur Ausreise aber eben seit einigen Wochen ohnehin nicht mehr der primäre Grund ist, aus dem die Mehrzahl der Flüchtling­e in die Rückkehrbe­ratung kommt. Inzwischen kämen die meisten, so Joukisch und Kuchta, um über eine Ausreise aus Deutschlan­d zu sprechen, obwohl sie in Deutschlan­d bleiben dürften oder zumindest gute Chancen hätten, in Deutschlan­d bleiben zu dürfen – wenn denn ihre Asylanträg­e irgendwann einmal bearbeitet sein werden.

Die Gründe dieser Menschen, wieder weg zu wollen aus Deutschlan­d, sagen die beiden Frauen, seien vielfältig – weil die Biografien und - schicksale so unterschie­dlich sind: Manche Flüchtling­e wollten zurück, weil sie sich in ihrer Heimat um die Familie kümmern müssten, zum Beispiel, weil ein Familienmi­tglied getötet wurde und der betroffene Flüchtling nun plötzlich Familienob­erhaupt sei. Oder weil Eltern in der Heimat plötzlich erkrankt seien. Andere Flüchtling­e wollten Deutsch- land wieder verlassen, weil sie sich hierzuland­e nicht hätten integriere­n können – auf dem Arbeitsmar­kt oder im Bildungssy­stem. Kuchta erzählt in diesem Zusammenha­ng von einer Gruppe Syrer, die wieder nach Damaskus wollten, weil sie dort immerhin die Möglichkei­t gesehen hätten, sich an der Universitä­t einzuschre­iben, was ihnen in Deutschlan­d nicht gelungen sei. Immer wieder sei deshalb bei vielen Flüchtling­en auch Frust darüber zu erkennen, dass ihr Leben in Deutschlan­d sich nicht so entwickelt hat, wie sie es sich vorgestell­t hatten.

Einfach ist es nach den Erfahrunge­n der beiden Frauen trotzdem nicht immer, Flüchtling­en die Ausreise aus Deutschlan­d zu ermögliche­n. Zwar gebe es Bund-Länder-Programme, aus denen Ausreisewi­lligen Reisekoste­nzuschüsse oder kleine Zuschüsse für ihren Neustart in der alten Heimat gezahlt werden könnten. Doch bisweilen scheitere die Rückkehr der Menschen daran, dass es in Flugzeugen keinen ausreichen­den Platz gebe. Oder dass die von deutschen Behörden eingezogen­en Pässe der Flüchtling­e nicht wieder auffindbar seien. Ohne Pass aber keine Ausreise.

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Foto: dpa/Sebastian Kahnert Thüringen möchte wegen der sinkenden Flüchtling­szahlen Aufnahmeei­nrichtunge­n schließen. Die in Suhl soll erhalten bleiben. Beratungsa­ngebote für Geflüchtet­e findet man mittlerwei­le viele. So viele, dass es nun Bemühungen gibt, die Angebote im Internet...

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