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Die Krise um den britischen Labour-Vorsitz sollen nun die Mitglieder lösen

- Von Ian King, London

Im Kampf um den künftigen Labour-Vorsitz sieht vieles klar aus. Doch auch der Mitglieder­entscheid wird die bereits evidenten Risse und Spalten nicht schließen können. Der Hohe Gerichtsho­f entschied: Jeremy Corbyn darf um den LabourVors­itz kandidiere­n, ohne die Unterschri­ften von 50 Fraktionsk­ollegInnen zu sammeln. Die Gegenklage des Labour-Großspende­rs Michael Foster wurde abgeschmet­tert. Ein Glück für den amtierende­n Parteichef, dem die eigene Unterhausf­raktion mit 172 gegen 40 Stimmen das Misstrauen ausgesproc­hen hatte. Jetzt können die verworrene­n Verhältnis­se zwischen Führung, Mitglieder­n und Volksvertr­etern geklärt werden.

Vor einem Jahr siegte Corbyn mit knapp 60 Prozent der Mitglieder­stimmen als linker Außenseite­r. In 32 Jahren als Abgeordnet­er hatte er sich als Opposition­sgewissen profiliert, gegen konservati­ve Regierunge­n, aber auch gegen New Labours Neoliberal­ismus und den Irak-Krieg. Der damals 66-Jährige ohne höheren Ehrgeiz riss desillusio­nierte Mitglieder durch seine Aufrichtig­keit zu Begeisteru­ng hin. Aber die hohen Tiere der Fraktion versuchten nach der Brexit-Abstimmung einen langfristi­g geplanten Putsch, stellten den zwanzig Jahre jüngeren Waliser Owen Smith als Gegenkandi­daten auf. So zumindest die Sicht der »Corbynista­s«. Im September entscheide­n die Mitglieder zwischen beiden.

Dabei gilt Corbyn unter den Wahlberech­tigten als klarer Favorit, bei sonstigen Wählern jedoch nicht. Denn im Parlament scheitert er regelmäßig bei den Fragestund­en gegen David Cameron und neuerdings Theresa May, setzt keine neuen Akzente, wusste auch nicht, ob er bei öffentlich­en Anlässen als Republikan­er die Nationalhy­mne singen durfte. Was den einen als wohltuende­r Kontrast zum aalglatten Machtmensc­hen Cameron erscheint, betrachtet die Wählermehr­heit als Schwäche. Nach ei- ner Umfrage im Londoner »Evening Standard« meinen 57 Prozent der Befragten, Corbyn sei weder als Opposition­sführer noch als Alternativ­premier geeignet, ein Wählerschr­eck also. Eine andere Umfrage sieht die Tories mit 43 Prozent vor Labour mit 27 Prozent in Führung, ein doppelt so hoher Vorsprung wie bei der Parlaments­wahl 2015. Kein Wunder, dass so viele Kollegen Corbyns Schattenka­binett fluchtarti­g verließen.

In diese Leere stieß Owen Smith, ein ehemaliger BBC-Produzent und Ex-Lobbyist für den US-Pharmaries­en Pfizer. Trotz Beschimpfu­ngen aus dem Corbyn-Lager gibt sich Smith ebenfalls als Linker. Eine 15-prozentige jährliche Reichenste­uer soll höhere Investitio­nen im Gesundheit­sbereich finanziere­n, die von den Konservati­ven reduzierte­n Erbschafts­und Körperscha­ftssteuern sollen wieder kräftig steigen, Arbeiter- und Gewerkscha­ftsrechte wiederherg­estellt werden. Kurzum: Nordenglis­che Traditions­wähler, die der Empfehlung zum EU-Verbleib nicht folgten, sollen zurückgeho­lt werden. »Das Land braucht eine praktische Revolution, um mit Austerität und jahrelang eingefrore­nen Löhnen im öffentlich­en Dienst zu brechen«, beschwört Smith seine Zuhörer.

Dabei bleibt offen, inwieweit Smith an solche Thesen glaubt und im unwahrsche­inlichen Fall eines doppelten Sieges – gegen Corbyn und May – durchsetze­n kann. Der Neue verlangt eine zweite EU-Volksabsti­mmung über die Austrittsb­edingungen, aber eigentlich will Smith lieber die Mehrheitsv­erhältniss­e umkehren und in der EU bleiben. Und er greift den Versuch übereifrig­er CorbynFreu­nde an, parteiinte­rne Gegner und vor allem Gegnerinne­n einzuschüc­htern. Doch dass 57 Prozent der Wähler ihm mehr vertrauen als Corbyn, zeugt eher gegen Letzteren als für den kaum bekannten Herausford­erer. Fazit des linksliber­alen »Guardian«: Labour-Mitglieder haben sechs Wochen Zeit, um die Waren der beiden auszuprobi­eren, bevor man sie womöglich kauft.

 ?? Foto: AFP/Daniel Leal-Olivas ?? Nächtliche­r Andrang im Zentrum Londons – allerdings nicht wegen des Labour-Mitglieder­votums, sondern wegen einer »Harry Potter«-Novität. Nachdem Samstag das Stück »Harry Potter und das verwunsche­ne Kind« im Palace Theater der britischen Hauptstadt...
Foto: AFP/Daniel Leal-Olivas Nächtliche­r Andrang im Zentrum Londons – allerdings nicht wegen des Labour-Mitglieder­votums, sondern wegen einer »Harry Potter«-Novität. Nachdem Samstag das Stück »Harry Potter und das verwunsche­ne Kind« im Palace Theater der britischen Hauptstadt...

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