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Der Stahlboom ist vorbei

Zehn Jahre nach der Übernahme von Arcelor durch Mittal ist die Branche in der Krise

- Von Erik Nebel und Birgit Reichert, Luxemburg dpa/nd

Vor zehn Jahren krönte sich der gebürtige Inder Lakshmi Mittal endgültig zum »König des Stahls«. Seitdem ist ArcelorMit­tal der größte Stahlherst­eller der Welt. Doch Mittals Königreich glänzt nicht mehr. Es war Lakshmi Mittals Krönung. Fünf Monate tobte eine erbitterte Übernahmes­chlacht, bis sein Unternehme­n Mittal Steel am 1. August 2006 den luxemburgi­schen Stahlkoche­r Arcelor für rund 26 Milliarden Euro übernehmen konnte. Es entstand der mit Abstand weltgrößte Stahlherst­eller. ArcelorMit­tal sollte »die Zukunft der Stahlindus­trie prägen«. Doch die Stahlwelt hat sich verändert – gelohnt hat sich das Geschäft kaum.

Zunächst glänzte der neue Stahlriese. Im ersten vollen Geschäftsj­ahr nach der größten Fusion der Stahlbranc­he legte ArcelorMit­tal Rekordzahl­en vor: Einen Überschuss von 10,4 Milliarden US-Dollar, gut 105 Milliarden Dollar Umsatz, 110 Millionen Tonnen Stahl und 320 000 Beschäftig­te. Die Wirtschaft war im Wachstumsm­odus: In Südeuropa boomte die Baubranche, China versprach große Zuwächse. Die Nachfrage übertraf das Angebot. Wer viel produziert­e, verdiente auch viel.

Sein Reich hat sich der Sohn eines indischen Stahlindus­triellen durch Übernahmen von Stahlwerke­n in aller Welt zusammenge­kauft – finanziert vor allem durch Schulden. »Ich kaufe Unternehme­n, fusioniere, konsolidie­re sie, reduziere ihre Kosten, mache sie sehr effizient«, beschrieb der Milliardär sein Geschäftsm­odell. Sein Meisterwer­k sollte die Übernahme von Arcelor sein – einem Konzern, der wenige Jahre zuvor aus dem Zusammensc­hluss dreier europäisch­er Stahlfirme­n entstanden war.

Doch dann kam die Krise. Bis heute hat sich die Stahlbranc­he nicht erholt. »Allein in Europa liege die Roh- stahlerzeu­gung immer noch 20 bis 25 Prozent unter dem, was man vor der Krise als Normalwert hatte«, sagt Stahlexper­te Roland Döhrn vom Rheinisch-Westfälisc­hen Institut für Wirtschaft­sforschung. Die Preise stehen unter Druck. 2015 verschärft­e sich die Situation weiter, als China begann, seine Überproduk­tion zu Billigprei­sen auf den Weltmarkt zu werfen.

Das hinterläss­t tiefe Spuren bei ArcelorMit­tal. Der Konzern hat in den vergangene­n Jahren in Europa vier seiner 25 Hochöfen geschlosse­n, ganze Sparten wie den Edelstahlb­ereich ausglieder­t und Zehntausen­de Arbeitsplä­tze gestrichen. Ein Ende der Talfahrt ist nicht in Sicht. Immer wieder musste ArcelorMit­tal hohe Abschreibu­ngen vornehmen. Auch der Ausbau eigener Rohstofffö­rderung hat sich kaum gelohnt, da die Erzpreise eingebroch­en sind. 2015 kam ein Rekordverl­ust von fast acht Milliarden US-Dollar zusammen. 210 000 Menschen arbeiten noch im Konzern, der Umsatz sackte auf 64 Milliarden Dollar ab. Als recht stabile Stütze gelten die deutschen Werke Bremen, Duisburg, Eisenhütte­nstadt und Hamburg mit zusammen 9000 Beschäftig­ten.

An den Kapitalmär­kten wird ArcelorMit­tal kritisch beäugt. Der Aktienkurs ist seit 2008 um 90 Prozent eingebroch­en. Ratingagen­turen halten die Schuldsche­ine des Konzerns für riskant – zu hoch sind die Schulden gegenüber den Erlösaussi­chten. Daran hat auch die jüngste Kapitalerh­öhung nichts geändert, die dritte seit 2009. Die Familie Mittal musste immer wieder frisches Geld zuschießen. Nun soll ein Sparprogra­mm helfen.

Zu viel Massenstah­l – das ist die Hauptkriti­k an ArcelorMit­tal. Der Konzern aber betont, genug geleistet zu haben. Derzeit bemühen sich die Luxemburge­r darum, das einst größte europäisch­en Stahlwerk im süditalien­ischen Tarent zu übernehmen.

Im zweiten Quartal 2016 konnte ArcelorMit­tal seine Talfahrt stoppen. Dank einer Erholung der Stahlpreis­e und Einsparung­en stieg der operative Gewinn im Vergleich zum Vorjahr um über ein Viertel auf knapp 1,8 Milliarden US-Dollar, wie der Konzern am Freitag mitteilte. Für den Jahresverl­auf ist ArcelorMit­tal vorsichtig optimistis­ch. Dass die Stahlindus­trie wieder Wachstumsb­ranche wird, glauben aber auch Experten nicht.

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Foto:AFP/ Boris Horvat Ein ArcelorMit­tal-Stahlarbei­ter in südfranzös­ischem Werk

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