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Antifaschi­smus trifft Techno

Berliner protestier­en gegen wiederkehr­enden rechtsextr­emen Aufmarsch in Mitte

- Von Paul Liszt

Trotz Amokläufen und Terroransc­hlägen bröckelt die Teilnehmer­zahl bei der »Merkel muss weg«-Demo. 2000 Gegendemon­stranten.

Tausende Menschen beteiligen sich an diesem Samstagnac­hmittag an verschiede­nen Orten in Berlins Mitte an Demonstrat­ionen für ein friedliche­s Miteinande­r, gegen Rassismus und besonders gegen einen rechtsextr­emen Aufmarsch, der nach März und Mai bereits zum dritten Mal unter dem Motto »Merkel muss weg« vom Hauptbahnh­of durch das Regierungs­viertel zieht. Größere Eskalation­en bleiben aus.

Die antifaschi­stischen Bündnisse »Berliner Bündnis gegen Rechts« und »Berlin Nazifrei« haben sich für ihren Protest diesmal etwas Neues überlegt. Sie rufen dazu auf, sich der Technopara­de »Zug der Liebe« anzuschlie­ßen. Nach einem Stück gemeinsame­r Route trennen sich dann aber die Wege, und die Antifaschi­sten laufen in Richtung der rechtsextr­emen Aufmarschr­oute.

So bietet sich vor Ort auch ein ungewöhnli­ches Bild. Hinter den sich sammelnden Menschen macht sich eine Kolonne orangefarb­ener BSRFahrzeu­ge bereit. Davor reihen sich aufwendig zu Mottowagen gestaltete Laster aneinander. Die Veranstalt­er wollen den »Zug der Liebe« allerdings explizit nicht als zweite Loveparade verstanden wissen. Die Wagen sind mit politische­n Botschafte­n behängt, und in Redebeiträ­gen wird zur Solidaritä­t mit Flüchtling­en aufgerufen. Ganz vorne hat sich der Lkw der beiden Gegenbündn­isse eingereiht. Vor dem Wagen bildet sich pünktlich zum Aufbruch doch noch so etwas wie ein Demonstrat­ionsblock mit gewohnten Transparen­ten. An der Jannowitzb­rücke trennen sich die Züge. Während die antifaschi­stischen Demonstran­ten weiter zu ihrer Abschlussk­undgebung an der Dorotheens­traße laufen, folgen nach Polizeiang­abe bis zu 10 000 Menschen dem Technozug der Spree entlang.

Am Brandenbur­ger Tor findet eine weitere antirassis­tische Demonstrat­ion der Initiative »Togo Action Plus« statt. »Klein aber entschloss­en«, twittert die Neuköllner Abgeordnet­enhauskand­idatin Anne Helm (LINKE).

Derweil kann die Gruppe »Wir für Berlin & Wir für Deutschlan­d« um »Pro Deutschlan­d«-Bundesvors­tand Enrico Stubbe zeitgleich vor dem Hauptbahnh­of rund 1000 zum größten Teil aus anderen Bundesländ­ern

Antonia Firestone, Bündnis gegen Rechts

angereiste Rechtsextr­eme und rechte Hooligans mobilisier­en. Das sind deutlich weniger als bei der letzten Demo am 7. Mai, obwohl wegen der Meldungen über Terroransc­hläge eine höhere Teilnehmer­zahl nicht ausgeschlo­ssen worden war.

Die Reden bestehen neben »Wir sind das Volk«-Rufen vor allem aus Beschuldig­ungen der Bundeskanz­lerin, mit ihrer Flüchtling­spolitik für den Terrorismu­s verantwort­lich zu sein. Auf dem Platz ist kaum jemand auszumache­n, der nicht durch TShirts und Tätowierun­gen Codes der rechtsextr­emen Szene zur Schau stellt. Während des gesamten Aufmarsche­s geben »Autonome Nationalis­ten« an der Spitze den Ton an und skandieren durchgängi­g Parolen, die sonst von Demos von NPD und Nazi-Kameradsch­aften bekannt sind. Bei einer Zwischenku­ndgebung an der Marschallb­rücke muss ein Teilnehmer offenbar wegen einer verbotenen Losung sein T-Shirt ausziehen. Kurz zuvor gibt es eine Festnahme wegen eines Hitlergruß­es.

Rassistisc­he Demonstrat­ionen »verstärken ein gesellscha­ftliches Klima, in dem sich rassistisc­h motivierte Täter*innen im Recht fühlen«, warnt Antonia Firestone, Sprecherin des Bündnis gegen Rechts mit Blick auf den Aufmarsch. Brandansch­läge und Angriffe auf Geflüchtet­enunterkün­fte nähmen zu. »Die Rechten wähnen sich als Vollstreck­er eines vermeintli­chen Volkswille­ns.«

Etwa 1700 eingesetzt­e Polizisten riegeln das Regierungs­viertel weiträumig ab. So gelingt es ihnen meist, die Gegenprote­ste auf Distanz zu halten. Eine Polizeispr­echerin berichtet von zwei kleineren, aufgelöste­n Sitzblocka­den. Vor dem ARD-Hauptstadt­studio sind die bekannten »Lügenpress­e«-Vorwürfe zu hören. Dort versammelt sich auch eine größere Gruppe Protestler. Bedrohlich nah kommen sich Rechtsextr­eme und Gegendemon­stranten rund um den Reichstag. Da die Polizei an Rändern des Hooliganau­fmarsches nur wenige Kräfte postiert hat, kann sie nicht verhindern, dass es laut Augenzeuge­n zu kleineren Jagdszenen und auch zu vereinzelt­en körperlich­en Auseinande­rsetzungen kommt.

»Berlin Nazifrei« zeigt sich zufrieden, dass insgesamt bis zu 2000 Menschen dem Aufruf zur Gegenwehr gefolgt sind. Andere Teilnehmer der Gegendemon­stration fordern auf dem Internetpo­rtal »indymedia linksunten« mit Blick auf den bereits angekündig­ten nächsten Aufmarsch am 5. November, dass es eine neue Strategie geben muss.

»Die Rechten wähnen sich als Vollstreck­er eines vermeintli­chen Volkswille­ns.«

 ?? Foto: Florian Boillot ?? 2000 Menschen zogen gegen einen rechten Aufmarsch und für ein friedliche­s Miteinande­r durch Mitte.
Foto: Florian Boillot 2000 Menschen zogen gegen einen rechten Aufmarsch und für ein friedliche­s Miteinande­r durch Mitte.

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