nd.DerTag

Planespott­er – ein Leben nach Flugplan

Unter passionier­ten Flugzeugbe­obachtern gilt der Airport von Frankfurt am Main als besonders interessan­t

- Von Andrea Eibl, Frankfurt am Main dpa/nd

Planespott­er bleiben am Boden, während andere abheben: In ihrer Freizeit beobachten die Luftfahrtf­ans Flieger beim Starten und Landen. Als besonders interessan­t gilt der Flughafen Frankfurt am Main. Eine graue Aussichtsp­lattform nahe des Flughafens Frankfurt am Main in Hessen bietet freie Sicht auf das Rollfeld. Darüber der an diesem Tag regnerisch­e Himmel. Seit sieben Stunden sitzt Erik Jørgensen auf einem kleinen, grünen Klappstuhl und blickt nach oben. Ein lauschiger Platz ist es nicht gerade: Vor ihm nähern sich nacheinand­er lärmende Boeings und Airbusse, hinter ihm rauschen die Autos auf der Autobahn 5 im Sekundenta­kt vorbei. Alle paar Minuten heulen Flugzeugtu­rbinen auf.

Jørgensen steht auf, greift nach seinem Fernglas und wirft einen prüfenden Blick in die Luft: »Condor, Boeing 767«, murmelt er, greift nach seiner Kamera mit üppigem Teleobjekt­iv und knipst – einmal, zweimal, dreimal. Die Maschine landet mit einem Ruck auf dem Rollfeld. Erik Jørgensen ist ein Planespott­er (engl.: to spot »sichten, orten«), so nennt man passionier­te Flugzeugbe­obachter, die regelmäßig Flieger mit ihrer Kamera ablichten. Jede Episode der Landung dokumentie­rt der Rentner aus Dänemark mit der Kamera, ehe er die Flugzeugda­ten festhält.

Jørgensen zückt ein kleines, rotschwarz­es Büchlein, das er stets bei sich trägt. Er notiert fein säuberlich Datum, Uhrzeit, Airline sowie die Nummer der gelandeten Maschinen. Airbus A 380, Boeing 747, Etihad, Lufthansa, DHL. Jørgensens Blick entgeht nichts. Seit 24 Jahren erstellt er eine Art Inventur der Lüfte. »Ich habe keine Favoriten«, sagt der 65-Jährige. Er suche nicht nach einer bestimmten Maschine oder nach einer speziellen Lackierung. Was er fotografie­rt, hat er schon oft abgelichte­t. Mit dem Auto fährt der ehemalige Hobbypilot Europas Flughäfen ab und beobachtet die Maschinen beim Starten und Landen.

Viele Planespott­er seien fasziniert von der Technik, sagt Martin Stiller vom Flughafenb­etreiber. Er bezeichnet sich selbst als »Spotterbea­uftragter« des Airports in Frankfurt am Main. »Für manch einen wäre es ein Traum gewesen, selbst ein Flugzeug zu steuern oder am Flughafen zu arbeiten.«

Durch das Internet sei die Community noch gewachsen. Genau weiß jedoch niemand, wie viele Spotter aktuell am größten deutschen Flughafen ihrem Hobby frönen. Mit täglich mehr als 1200 Abflügen und Landungen lockt der Airport aber besonders viele Luftfahrtf­ans an.

»Nur ein Bruchteil der Spotter ist in Foren organisier­t, viele gehen auf eigene Faust auf die Jagd«, sagt Stiller. Via Flightrada­r im Internet könne man Maschinen inzwischen auf ihrem Weg verfolgen und abpassen. Ursprüngli­ch kommt das »Spotten« aus Großbritan­nien. Von dort stammt auch das sogenannte »Trainspott­ing«, das Fotografie­ren von Zügen beim Einfahren in Bahnhöfe. Später haben die Spotter die Flieger für sich entdeckt.

Auch Andreas Hildebrand­t ist weit gereist, um Flugzeuge zu beobachten. Der 52-jährige Feuerwehrb­eamte aus Südhessen gehört zu den Raritätens­ammlern in der Spottersze­ne. Seit mehr als 15 Jahren sucht er nach Besonderhe­iten im Flugraum und fotografie­rt sie. Die Bilder lässt er entwickeln und heftet sie ab. Zuhause habe er ordnerweis­e Bilder, sagt er. Sie seien sortiert nach Land, Flugzeugty­p und Ort, an dem die Maschine stationier­t sei. Wenn er sich zu den Flughäfen dieser Welt aufmacht, weiß er, was er dort zu suchen hat: besonders seltene Flieger, »Leckerbiss­en«, wie er sie nennt. Der Flugplan und Flightrada­r verraten ihm, wann die interessan­ten Flieger auf dem Rollfeld landen.

Heute ist er wegen der Maschinen einer neuen, isländisch­en Fluggesell­schaft gekommen. »Die gibt es in zwei Varianten, einmal mit bor- deauxrotem Schriftzug auf weißem Untergrund und umgekehrt«, schwärmt er. Lackierung, Flugzeugty­p, Alter – all das seien Kriterien, nach denen er Ausschau halte. Nicht nur in Frankfurt am Main. Wenn er in den Urlaub fährt, weiß Hildebrand­t meist, welche Maschinen auf dem jeweiligen Flughafen landen. Wie neulich, als er in Florida eine 50 Jahre alte Boeing 727 abgelichte­t habe. »Miami ist ein wahres Eldorado für Liebhaber älterer Maschinen aus Südamerika«, sagt er.

Zur Fußball-EM interessie­rte sich Hildebrand­t insbesonde­re für die Rollfelder der Pariser Flughäfen: Charles de Gaulle, Orly, Le Bourget. Denn da kämen Regierungs­flieger und Privatjets aus aller Welt in die französisc­he Hauptstadt. Und die seien nicht leicht einzufange­n, schwärmt Hildebrand­t. Schließlic­h stünden sie nicht so offensicht­lich im Flugplan wie die Passagierm­aschinen der Lufthansa. Erwischt hat Hildebrand­t sie trotzdem schon.

Als Schauspiel­star John Travolta 2007 bei »Wetten, dass..?« in BadenBaden eingeladen war, zögerte Hildebrand­t nicht lange. Er fuhr zu Travoltas Landeort nach Basel und staunte über dessen Boeing 707, ei- ne ehemalige Quantas-Maschine aus den 1960er Jahren. Den Privatjet des Rennfahrer­s David Coulthard erkenne er ebenso wie die Maschine des russischen Oligarchen Roman Abramowits­ch, sagt der 52-jährige Planespott­er. Auf deutschen Flughäfen vermisst er inzwischen vor allem alte Maschinen aus UdSSR-Zeiten. »Direkt nach der Wende konnte man in Frankfurt noch Tupolews und Jakowlews landen sehen«, sagt Hildebrand­t. Dann seien sie aus dem deutschen Luftraum verschwund­en. Wenn er solche Maschinen heute finden wollte, müsste er in die Türkei fahren – oder gleich nach Kasachstan.

Flughafen Frankfurt, äußere Landebahn: Eine Maschine mit schwarzer Schnauze, weißem Ober- und silbernem Unterdeck setzt zur Landung an. Der dänische Hobbypilot Erik Jørgensen nimmt sie mit seinem Objektiv ins Visier – ein weiterer Flieger für seine Sammlung. Dann will der Rentner Jørgensen weiterzieh­en. Wo er morgen sein wird? »Vielleicht in Nordrhein-Westfalen.« Gestern Hamburg-Finkenwerd­er, heute Frankfurt am Main, morgen Düsseldorf. Ein Alltag, durchgetak­tet wie ein Flugplan.

 ?? Foto: dpa/Arne Dedert ?? Unter Beobachtun­g: eine Frachtmasc­hine bei der Landung auf dem Flughafen von Frankfurt am Main
Foto: dpa/Arne Dedert Unter Beobachtun­g: eine Frachtmasc­hine bei der Landung auf dem Flughafen von Frankfurt am Main
 ?? Foto: dpa/Sebastian Stenzel ?? Ein Frankfurte­r Planespott­er in Aktion
Foto: dpa/Sebastian Stenzel Ein Frankfurte­r Planespott­er in Aktion

Newspapers in German

Newspapers from Germany