Planespotter – ein Leben nach Flugplan
Unter passionierten Flugzeugbeobachtern gilt der Airport von Frankfurt am Main als besonders interessant
Planespotter bleiben am Boden, während andere abheben: In ihrer Freizeit beobachten die Luftfahrtfans Flieger beim Starten und Landen. Als besonders interessant gilt der Flughafen Frankfurt am Main. Eine graue Aussichtsplattform nahe des Flughafens Frankfurt am Main in Hessen bietet freie Sicht auf das Rollfeld. Darüber der an diesem Tag regnerische Himmel. Seit sieben Stunden sitzt Erik Jørgensen auf einem kleinen, grünen Klappstuhl und blickt nach oben. Ein lauschiger Platz ist es nicht gerade: Vor ihm nähern sich nacheinander lärmende Boeings und Airbusse, hinter ihm rauschen die Autos auf der Autobahn 5 im Sekundentakt vorbei. Alle paar Minuten heulen Flugzeugturbinen auf.
Jørgensen steht auf, greift nach seinem Fernglas und wirft einen prüfenden Blick in die Luft: »Condor, Boeing 767«, murmelt er, greift nach seiner Kamera mit üppigem Teleobjektiv und knipst – einmal, zweimal, dreimal. Die Maschine landet mit einem Ruck auf dem Rollfeld. Erik Jørgensen ist ein Planespotter (engl.: to spot »sichten, orten«), so nennt man passionierte Flugzeugbeobachter, die regelmäßig Flieger mit ihrer Kamera ablichten. Jede Episode der Landung dokumentiert der Rentner aus Dänemark mit der Kamera, ehe er die Flugzeugdaten festhält.
Jørgensen zückt ein kleines, rotschwarzes Büchlein, das er stets bei sich trägt. Er notiert fein säuberlich Datum, Uhrzeit, Airline sowie die Nummer der gelandeten Maschinen. Airbus A 380, Boeing 747, Etihad, Lufthansa, DHL. Jørgensens Blick entgeht nichts. Seit 24 Jahren erstellt er eine Art Inventur der Lüfte. »Ich habe keine Favoriten«, sagt der 65-Jährige. Er suche nicht nach einer bestimmten Maschine oder nach einer speziellen Lackierung. Was er fotografiert, hat er schon oft abgelichtet. Mit dem Auto fährt der ehemalige Hobbypilot Europas Flughäfen ab und beobachtet die Maschinen beim Starten und Landen.
Viele Planespotter seien fasziniert von der Technik, sagt Martin Stiller vom Flughafenbetreiber. Er bezeichnet sich selbst als »Spotterbeauftragter« des Airports in Frankfurt am Main. »Für manch einen wäre es ein Traum gewesen, selbst ein Flugzeug zu steuern oder am Flughafen zu arbeiten.«
Durch das Internet sei die Community noch gewachsen. Genau weiß jedoch niemand, wie viele Spotter aktuell am größten deutschen Flughafen ihrem Hobby frönen. Mit täglich mehr als 1200 Abflügen und Landungen lockt der Airport aber besonders viele Luftfahrtfans an.
»Nur ein Bruchteil der Spotter ist in Foren organisiert, viele gehen auf eigene Faust auf die Jagd«, sagt Stiller. Via Flightradar im Internet könne man Maschinen inzwischen auf ihrem Weg verfolgen und abpassen. Ursprünglich kommt das »Spotten« aus Großbritannien. Von dort stammt auch das sogenannte »Trainspotting«, das Fotografieren von Zügen beim Einfahren in Bahnhöfe. Später haben die Spotter die Flieger für sich entdeckt.
Auch Andreas Hildebrandt ist weit gereist, um Flugzeuge zu beobachten. Der 52-jährige Feuerwehrbeamte aus Südhessen gehört zu den Raritätensammlern in der Spotterszene. Seit mehr als 15 Jahren sucht er nach Besonderheiten im Flugraum und fotografiert sie. Die Bilder lässt er entwickeln und heftet sie ab. Zuhause habe er ordnerweise Bilder, sagt er. Sie seien sortiert nach Land, Flugzeugtyp und Ort, an dem die Maschine stationiert sei. Wenn er sich zu den Flughäfen dieser Welt aufmacht, weiß er, was er dort zu suchen hat: besonders seltene Flieger, »Leckerbissen«, wie er sie nennt. Der Flugplan und Flightradar verraten ihm, wann die interessanten Flieger auf dem Rollfeld landen.
Heute ist er wegen der Maschinen einer neuen, isländischen Fluggesellschaft gekommen. »Die gibt es in zwei Varianten, einmal mit bor- deauxrotem Schriftzug auf weißem Untergrund und umgekehrt«, schwärmt er. Lackierung, Flugzeugtyp, Alter – all das seien Kriterien, nach denen er Ausschau halte. Nicht nur in Frankfurt am Main. Wenn er in den Urlaub fährt, weiß Hildebrandt meist, welche Maschinen auf dem jeweiligen Flughafen landen. Wie neulich, als er in Florida eine 50 Jahre alte Boeing 727 abgelichtet habe. »Miami ist ein wahres Eldorado für Liebhaber älterer Maschinen aus Südamerika«, sagt er.
Zur Fußball-EM interessierte sich Hildebrandt insbesondere für die Rollfelder der Pariser Flughäfen: Charles de Gaulle, Orly, Le Bourget. Denn da kämen Regierungsflieger und Privatjets aus aller Welt in die französische Hauptstadt. Und die seien nicht leicht einzufangen, schwärmt Hildebrandt. Schließlich stünden sie nicht so offensichtlich im Flugplan wie die Passagiermaschinen der Lufthansa. Erwischt hat Hildebrandt sie trotzdem schon.
Als Schauspielstar John Travolta 2007 bei »Wetten, dass..?« in BadenBaden eingeladen war, zögerte Hildebrandt nicht lange. Er fuhr zu Travoltas Landeort nach Basel und staunte über dessen Boeing 707, ei- ne ehemalige Quantas-Maschine aus den 1960er Jahren. Den Privatjet des Rennfahrers David Coulthard erkenne er ebenso wie die Maschine des russischen Oligarchen Roman Abramowitsch, sagt der 52-jährige Planespotter. Auf deutschen Flughäfen vermisst er inzwischen vor allem alte Maschinen aus UdSSR-Zeiten. »Direkt nach der Wende konnte man in Frankfurt noch Tupolews und Jakowlews landen sehen«, sagt Hildebrandt. Dann seien sie aus dem deutschen Luftraum verschwunden. Wenn er solche Maschinen heute finden wollte, müsste er in die Türkei fahren – oder gleich nach Kasachstan.
Flughafen Frankfurt, äußere Landebahn: Eine Maschine mit schwarzer Schnauze, weißem Ober- und silbernem Unterdeck setzt zur Landung an. Der dänische Hobbypilot Erik Jørgensen nimmt sie mit seinem Objektiv ins Visier – ein weiterer Flieger für seine Sammlung. Dann will der Rentner Jørgensen weiterziehen. Wo er morgen sein wird? »Vielleicht in Nordrhein-Westfalen.« Gestern Hamburg-Finkenwerder, heute Frankfurt am Main, morgen Düsseldorf. Ein Alltag, durchgetaktet wie ein Flugplan.