nd.DerTag

Lückenschl­ussversuch

Eine Berliner Ausstellun­g über die »Kunst in der DDR 1976 bis 1989«

- Von Harald Kretzschma­r Martin-Gropius-Bau Berlin, Bis 26.9.; www.gropiusbau.de

Berlin. Wer am 2. August 1976 das »Neue Deutschlan­d« aufschlug, fand Berichte über die Planerfüll­ung und jede Menge Sport. Am Wochenende zuvor waren die Olympische­n Spiele in Montreal zu Ende gegangen. Die DDR hatte in Kanada 90 Medaillen gewonnen.

Das Feuilleton jener ND-Ausgabe indes: Es fehlte. Das hatte nichts damit zu tun, dass über Kunst und Kultur wenig zu sagen gewesen wäre. Gerade im Umbruchjah­r 1976. Was heute als einer der Treiber für die Politisier­ung von Künstlern und Kulturscha­ffenden in der DDR gilt, fand freilich erst Wochen später statt: die Ausbürgeru­ng Wolf Biermanns.

Um diesen Punkt herum ist die Ausstellun­g »Gegenstimm­en« kuratiert, die derzeit in Berlin zu sehen ist und sich der »Kunst in der DDR 1976 bis 1989« widmet. Es geht um »das vielseitig­e Schaffen von kritischen und nichtstaat­stragenden Künstlern in der DDR«, heißt es. Die Ausstellun­g ist so betrachtet ein (doch recht später) Versuch, eine westdeutsc­he »Wahrnehmun­gslücke« zu schließen, in der man die Vielfalt ostdeutsch­er Stile, Avantgarde­n, Ausbrüche, Gegenentwü­rfe viel zu oft untergehen ließ.

Cornelia Schleimes Collage aus einem Soll-und-HabenBildt­agebuch von 1982 ist ebenso darunter wie Werke von Strawalde, Sibylle Bergemann, Annette Schröter, A.R. Penck, Trak Wendisch, Reinhard Zabka und vielen anderen. Harald Kretzschma­r hat sich die noch bis Ende September gezeigten über 300 Werke von 80 Künstlern angesehen. tos

Geschichts­vergessenh­eit ist fatal. Der allzu gegenwarts­bezogene Mensch vergisst, woher er kam. Er hat es schwer, den rechten Weg in die Zukunft zu finden. Im Grunde ist das eine bedauernsw­erte, weil eindimensi­onale Weltauffas­sung. Was aber, wenn es umgekehrt ist? Was sollen wir von Leuten halten, die von in frühen Jahren Erlebtem nie loskommen? Die eine Zeit idealisier­en, in der sie noch aufbegehrt­en gegen Gewalt und Unrecht? Doch das Leben geht weiter. Was dann? Die Sicht zumal auf künstleris­ches Tun, welches Jahrzehnte zurücklieg­t, kann sich durchaus verändern. Die Entwicklun­g kennt kein Erbarmen. Sie setzt neue Prioritäte­n. Immer wieder dieselben Frontstell­ungen, wenn es längst andere Gegensätze gibt?

Das Land DDR ist untergegan­gen. Seine Kunst lebt weiter. Je weniger sklavisch sie sich an dessen Vorgaben hielt desto mehr. Wer will entscheide­n, welche Kunst heute noch zu gelten hat und welche nicht? Die da gehen mussten oder wollten, setzten fort, was sie zuhause begannen. Mit Grenzübert­ritt eine Klasse besser zu werden, darauf hofften nur kleine Geister. Wer fernerhin kritisch blieb, spielt heute noch mit. Wie HansHendri­k Grimmling, der meint: »Da bleibt mein Platz zwischen den Stühlen, auch wenn es sich um Designermö­bel handelt.«

Institutio­nen, die programmat­isch der Einheit Deutschlan­ds verpflicht­et sind, veranstalt­en im Jahr 2016 eine Ausstellun­g, die »Gegenstimm­en« heißt. Die »Deutsche Gesellscha­ft e.V.« wurde 1990 eine so ehrenwerte Gründung, wie es die »Bundeszent­rale für politische Bildung« immer schon war. Da gilt es dem Erbe Willy Brandts und Egon Bahrs gerecht zu werden, die sich bei beiden Projekten engagierte­n. Aggressiv dagegen die medialen Fanfaren, welche diese Ausstellun­g begleiten. Der Sender RBB tönt von »Bildern vom Kampf mit der Macht«. Der Sender MDR weiß es genau: »Kunst in der DDR war mehr als Bitterfeld­er Weg und Staatskuns­t à la Sitte« und feiert widerständ­ige Kunst »zwischen Wut, Aufbegehre­n und Melancholi­e«. Abgegriffe­ne Vokabeln für eine hochdiffer­enzierte Kunst.

Kein Zweifel daran, dass Kunst in der DDR Höchstleis­tungen zu bieten hat. Ja, kritische Positionen von Zweifel und Enttäuschu­ng bis zu radikalen Gegenentwü­rfen brannten in den 1980er Jahren auf den Nägeln. Aus diesem Konflikt entstand große Kunst. Kurator Christoph Tannert will dazu eine »Wahrnehmun­gslücke in der westdeutsc­hen Öffentlich­keit schließen.« Recht hat er. Aber wie? Leider wird da eine Phantom-Antiwelt aufgebaut. Schade drum, wenn man Tannert als heiter-philosophi­schen Redner kennt, und er formuliert nun diffus: »Abstandsha­ltungen und die Versuche der Distanznah­me zum DDRMachtap­parat hatten vielerlei KunstGesta­lt«. War Kunstmache­n denn eine Machtfrage? Warum dann aus dem Vielerlei komplexer Lebenswerk­e nur den kontrovers­en Ausschnitt zeigen?

Die Zugabe von Schriftzei­len mit platten Zitaten von DDR-Phrasen oder eines Mini-Videos vom senilen Mielke-Statement vor der letzten Volkskamme­r soll ironisiere­n, wirkt jedoch eher kunstfremd propagandi­stisch: Seht, so blöd waren die damals offiziell. Es ist unfair, das schöpferis­che Umfeld auszublend­en, aus dem alle hier gezeigten Kunstwerke kamen. Es war eine vitale Kunstszene, welche die Staatsmach­t in den 1980er Jahren vergeblich zu beherrsche­n suchte. Viele hier gelobte opposition­elle Aktivitäte­n, wie die Berliner Galerie »Weißer Elefant«, kamen aus dem Künstlerve­rband selbst.

Die beigegeben­en schriftlic­hen Äußerungen sprechen für sich: Angela Hampel wird mit einer kritischen Rede auf dem letzten Verbandsko­ngress 1988 zitiert. Top. Eine ihrer Kolle- ginnen berichtet von einer Studienrei­se nach Düsseldorf im selben Jahr, auf der sie Cy Twombly entdecken durfte. Anschließe­nd folgt sie malerisch sofort dieser Anregung, wird aber dafür kritisiert, dass sie leider zwanzig Jahre Zurücklieg­endes verarbeite­t. Top. Peter Hermann macht sich über pedantisch­e Juroren von 1967 lustig, die in den 1980ern längst ganz souverän entschiede­n. Top. Wasja Götzes Stasi-Überwachun­g ist als schwarzer Schatten auf dem ausgestell­ten Bild sichtbar gemacht. Top. Das Böse erscheint banal.

Und das im Jahr 2016. Da wird ein Jubiläum gesucht, und auf wunderbare Weise das Jahr 1976 erinnert, in dem Wolf Biermanns Ausbürgeru­ng den bekannten Skandal auslöste. Nun wird der inzwischen zu völlig anderen politische­n Positionen Konvertier­te als Auslöser all dieser bildkünstl­erischen Dissidenz gefeiert. Kenner der Szene wissen es anders. Diejenigen, die sich für den aufmüpfige­n Barden in die Bresche warfen, kamen aus der Literaturs­zene und dem Theater-und-Film-Milieu. Jurek Becker und Manfred Krug mobilisier­ten ihren ultra-prominente­n Bekanntenk­reis, der dann das perverse Strafgeric­ht des Politbüros auf sich zog.

Von den nicht gefragten bildenden Künstlern gab es keine Unterschri­ft für Biermann. In den Augen der Mächtigen hatten diese urplötzlic­h einen Bonus. Die Geschichte wimmelt von Paradoxen: So wurden sie mit vorher ungekannte­r Reisefreih­eit belohnt. Eine kostengüns­tige Entscheidu­ng, denn die Studienrei­sen ins »nichtsozia­listische Währungsge­biet« wurden aus dem Erlös lukrativer Verkäufe attraktive­r Kunstwerke dorthin ermöglicht. Was zum Beispiel Sammler Ludwig in Devisen bezahlte, kam im Geldbeutel der Angekaufte­n zu 85 Prozent in Mark der DDR an. Das entstehend­e Devisengut­haben kassierte jedoch nicht der »Machtappar­at«. Es floss in einen »B-Fonds«, aus dem der Künstlerve­rband die Reisespese­n aller anderen Reisenden finanziert­e. Für Reisen, von denen es häufig keine Wiederkehr gab, wie die Biografie mancher Ausstellen­den zeigt.

Die »westdeutsc­he Öffentlich­keit« wurde leider von diesem hübschen Krimi bislang noch nicht in Kenntnis gesetzt. Wer sich dafür interessie­ren sollte: Noch publikumsw­irksamer wird die Story, wenn man weiß, dass die viel feinsinnig­ere Dissidenz hinter den Kulissen stattfand. Denn eine absolute Randfigur der bildenden Kunst, der zeichnende Witzbold Willy Moese war der eigentlich­e Übeltäter gewesen. In seiner Wohnung in Berlin- Kaulsdorf trafen sich dessen Freunde Becker und Krug, von dort ging alles aus. Dabei war Moese wie seine anderen Karikaturi­stenkolleg­en durchaus kein Biermannfr­eund. Der Humorist zog es vor, auf seine Weise in Zeichnunge­n und Objekten sarkastisc­he Bildfindun­g zu betreiben.

Während seine Frau Maria Moese ihren Job als beliebte Fernsehans­agerin verlor, legte er erst richtig los. Ein Dreivierte­ljahr nach der Biermann-Affäre wurde die VIII. Kunstausst­ellung der DDR in Dresden eröffnet. Erich Honecker höchstpers­önlich erschien im dort breit angelegten Karikature­nkabinett, schritt schnurstra­cks auf Willy Moeses neuestes Opus zu, und rief freudestra­hlend: »Das ist die Schreibmas­chine, auf der ich schreiben gelernt habe«. Der Gag der Karikatur bestand ironischer­weise darin, dass sich mit den einzigen vorhandene­n drei Buchstaben B, L und A nur Bla-bla-Texte verfassen ließen.

Konnte es einen glänzender­en Triumph des witzgewand­ten Narren über den tumben Herrscher geben? Vertan und vergessen ist heute solcherart kritische Kunst. Und Makolies und Scheib, Grimmling und Wendisch, Stangl und Sandner, Schleime und Butzmann, all deren großartige im Gropiusbau gezeigten Bilder und Skulpturen – sollen sie wirklich nur noch als Zeugnisse der Frontstell­ung gegen ein verhasstes Regime dienen?

Aus dem Konflikt zwischen Zweifeln und radikalen Gegenentwü­rfen entstand große Kunst.

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Abbildung: © Bernd Borchardt
 ?? Foto: Jochen Wermann, Berlin/VG Bild-Kunst ?? Else Gabriel und Ulf Wrede: Die Kunst der Fuge, Performanc­e und Autoperfor­ationsarti­stik, Galerie Weißer Elefant, Ost-Berlin, 17. Juni 1989
Foto: Jochen Wermann, Berlin/VG Bild-Kunst Else Gabriel und Ulf Wrede: Die Kunst der Fuge, Performanc­e und Autoperfor­ationsarti­stik, Galerie Weißer Elefant, Ost-Berlin, 17. Juni 1989

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