Fruchtbarer Boden für Islamisten
Georg Klute über den Ausnahmezustand, französischen Neokolonialismus und die EU-Ausbildungsmission in Mali
In Mali herrscht seit knapp zwei Wochen wieder Ausnahmezustand. Grund für die Verhängung war ein Überfall auf ein Militärlager in Nampala mit 17 Todesopfern. Nampala liegt in Zentralmali, bisher galt der Norden als die Unruheregion. Hat sich die Konfliktzone ausgeweitet? Das war schon vorher der Fall. Nampala liegt zwar stärker im Zentrum, ist aber eine Stadt an der Grenze zu Mauretanien. Ein Teil der Angreifer soll aus Mauretanien gekommen sein, zumindest aber aus der Grenzregion. Dass islamistische Gruppen auch im Niger-Binnendelta, der Region, an deren Rand auch Nampala liegt, Anhängerschaft finden, war bekannt. Diese Region, das Massina, reicht von Segou im Zentrum Malis bis zu Timbuktu im Norden und hat eine Vergangenheit als muslimische Theokratie in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts unter Führung der Ethnie der Fulbe. Es gibt in der Region viele Konfliktlinien um Ressourcen, beispielsweise um Land zwischen nomadisierenden Pastoralisten der Fulbe und Ackerbauern der Bambara. Diese Konflikte, verbunden mit der Tradition der Theokratie, die dort einem fundamentalen Islam entsprach und in der Rückschau harmonisch verklärt wird, bilden einen fruchtbaren Boden für dschihadistische Gruppen, wie sie in Mali in mehrfacher Ausfertigung ihr Unwesen treiben. Wer ist in Zentralmali aktiv? Zum Beispiel die Massina-Befreiungsfront, die der von Tuareg dominierten Ansar al-Dine aus Nordmali nahesteht. In der Timbuktu-Gegend siedeln seit langem Tuareg, die verwandtschaftliche Bande oder Ver- bindungen in den Norden haben, auch nach Kidal, der Hochburg von Ansar al-Dine. Ansar al-Dine hat Anhängerschaft in Zentralmali gefunden: Sie vertreten ja einen ethnienübergreifenden Islam, der nicht an Herkunft gebunden ist, sodass sie auch unter Nicht-Tuareg und NichtArabern erfolgreich rekrutiert haben. Wie stabil ist Mali derzeit? Nach dem Putsch im Frühjahr 2012 und dem darauffolgenden Aufstand im Landesnorden wurden der französischen Militärintervention Anfang 2013 und der ab Mitte 2013 folgenden Multidimensionalen Integrierten Stabilisierungsmission der Vereinten Nationen in Mali (MINUSMA) eine gewisse Beruhigung der Lage zugesprochen. Zu Unrecht? Mali ist nicht besonders stabil. In der Regierung von Präsident Ibrahim Boubacar Keïta gibt es zwei Tendenzen: Falken und Tauben. Die Falkenseite hat sich mit dem von damaligen Ministerpräsidenten Moussa Mara im Mai 2014 provozierten Angriff auf Kidal gezeigt, bei dem Dutzende Menschen ums Leben kamen. Damals wurden circa 2000 Soldaten nach Kidal geschickt, um die Stadt von den Tuareg zurückzuerobern. Die Armee verlor und musste sich zurückziehen. Am 20. und 21. Juli 2016 gab es einen ähnlichen Versuch. Dieses Mal waren es keine regulären Armee-Einheiten, sondern eine Miliz unter Führung des malischen Generals Al-Haji ag Gamou, bekannt als Gamou. Laut meinen Quellen gab es dabei 56 Tote, darunter drei Zivilisten. Wohlgemerkt: bei einem Konflikt zwischen einer Pro-Regierungs-Tuareg-Miliz und Kämpfern des Tuareg-Dachverbands CMA (Koordination der Azawad-Bewegungen), der für die Unabhängigkeit des Nordens steht. Daran wird klar, dass Teile der Regierung in Bamako die Rückeroberung des Nordens mit militärischen Mitteln noch nicht aufgegeben haben, auch wenn Präsident Keita selbst diese Option nach dem Fehlschlag von 2014 verworfen zu haben scheint. Wie wirksam waren die französischen Militärinterventionen »Serval« und »Barkhane«? Frankreichs innenpolitisch geschwächter Präsident François Hol- lande wollte mit den Interventionen außenpolitische Stärke zeigen. Aus den befristeten Interventionen hat sich ein Dauereinsatz entwickelt: Aus der Operation »Barkhane« wurde einer internationale Sicherheitstruppe für den Sahel entwickelt, um die französischen Wirtschaftsinteressen dort abzusichern: Mali, Niger, Tschad. Das ist eine Form von Neokolonialismus. So werden die Uranminen in Niger nicht zuletzt von der französischen Armee beschützt. Diese Entwicklung ist beunruhigend. Zwar ist klar, dass Länder wie Mali, Niger und Burkina Faso alleine mit der Herausforderung durch den Dschihadismus nicht klarkommen, womit Frankreich Vorwand für Militärpräsenz hat. Dennoch wäre eine engere Kooperation der afrikanischen Länder eine bessere Lösung als das Eingreifen von externen Schutzmächten. Das bedroht längerfristig eher die Stabilität. Was hat die seit 2013 laufende EUAusbildungsmission EUTM, an der die Bundeswehr mit bis zu 700 Soldaten beteiligt ist, bisher gebracht? 8000 Soldaten, zwei Drittel der malischen Armee, sind darin bisher ausgebildet worden. Gewappnet scheint die malische Armee den Herausforderungen aber noch immer nicht, oder? Aus militärischen Kreisen der EUTM kommen die Klagen, wie viel Geld die EU und andere schon in die Ausbildung von malischen Soldaten gesteckt haben. Richtig viel hat das nicht gebracht. Die malischen Soldaten sind nun besser ausgebildet, aber wer will es jungen Männern, die nur mangels anderer Ausbildungs- und Einkommensperspektiven bei der Armee gelandet sind, verdenken, dass sie nicht hoch motiviert gegen bestens ausgerüstete Tuareg-Milizen oder Dschihadisten im weit entfernten Norden kämpfen – faktisch für nicht viel mehr als ein Stück Wüste? Was ist aus dem Friedensabkommen von Algier 2015 geworden? Formal gilt das immer noch. Eine Woche nach den Auseinandersetzungen in Kidal mit an den 60 Toten zwischen zwei Parteien, die das Abkommen unterschrieben hatten, soll in Bamako weiter über die Umsetzung geredet werden. Das Problem ist, dass die malische Regierung nicht an einem Strang zieht. Es gibt immer wieder Versuche der Torpedierung. Geplant war, im Norden übergangsweise neue Regierungsstrukturen aufzubauen, die auch das regionale Gewaltmonopol haben sollten. Dies wird aber von Teilen der südmalischen Eliten nicht gewollt und deshalb hintertrieben. Und es gibt nach wie vor keinen verheißungsvollen Ansatz, wie man die große Zahl von bewaffneten Gruppen in den Griff bekommen könnte. Viele Kämpfer haben ohne Waffe keine Beschäftigung und Einkommen. Es gibt ganze Generationen von Männern, die nichts anderes gelernt haben, als mit der Waffe zu kämpfen. Und jedes Jahr kommen viele Jugendliche auf den Arbeitsmarkt, auf dem es so gut wie keine Arbeit gibt. Dieser Herausforderung müssten sich die gesellschaftlichen Eliten – also Arbeitgeber, Regierung, Intellektuelle, Mediengestaltende in Mali – annehmen. Und dafür sollten sie Unterstützung von den reichen Staaten im Norden bekommen, einschließlich vorteilhafter Handelsbedingungen.
»Teile der Regierung in Bamako haben die Rückeroberung des Nordens mit militärischen Mitteln noch nicht aufgegeben.« Professor Georg Klute