Armutsrisiko Rente
Immer mehr Senioren müssen im Alter Grundsicherung beantragen
Wer schlecht verdient, Teilzeit arbeitet, Kinder betreut oder Verwandte pflegt, hat wenig Chancen auf eine auskömmliche Alterssicherung. Konzepte gegen Altersarmut fehlen jedoch. Horst Maier (Name geändert), arbeitete 40 Jahre lang als Elektriker in einem hessischen Metallbetrieb, die letzten acht Jahre wegen eines Rückenleidens nur noch 25 Wochenstunden. Mit 65 Jahren und fünf Monaten hat er jetzt Anspruch auf eine Altersrente. Vor zehn Jahren hatte er sich von seiner Frau scheiden lassen. Die in der Ehe erworbenen Ansprüche wurden zwischen beiden geteilt. Ihm blieb eine Alterssicherung von rund 850 Euro. Bei einer Miete von 500 Euro ist Maier ein Fall für die Grundsicherung. Reicht die Rente? Teil 1
Das Beispiel zeigt, wie leicht besondere Ereignisse im Leben, meist unerwartete Schicksalsschläge wie Arbeitslosigkeit, Krankheit oder eben eine Scheidung, tief in den Lebensund damit den sozialversicherungsrechtlichen Beitragsverlauf einschneiden können. So können selbst langjährige Durchschnittsverdiener wie Maier in die Grundsicherung – das Hartz IV für Rentner – rutschen.
Die Berechnungen der Statistiker zeigen heute, dass ein Durchschnittsverdiener rund 28 Jahre lang Rentenversicherungsbeiträge gezahlt haben muss, um aus der Grundsicherung herauszukommen. Derzeit sind drei Prozent aller Rentner über 65 auf diese Sozialleistung angewiesen, bis zum Jahr 2030 dürfte dieser Anteil aber schätzungsweise auf gut ein Fünftel der Senioren anwachsen.
Die Sicherung des gewohnten Lebensstandards war das erklärte Ziel der Rentenpolitik bis vor kurzem. Doch in den Zeiten der Krise um die Jahrtausendwende begann der Umverteilungsprozess zwischen allen vier beteiligten Gruppen: Arbeitgeber, Versicherte, Rentner und Steuerzahler. Die Arbeitgeber verteidigten eisern ihre Forderungen nach stabilen bis sinkenden Beitragssätzen und damit niedriger Lohnnebenkosten. Der Staat kam nur zögernd seiner Aufgabe nach, versicherungsfremde Leistungen aus Steuermitteln zu finanzieren. Trost spenden die Statistiker: Auch in Zukunft würden die Renten noch zulegen – offiziell geschätzt um zwei Prozent jährlich –, damit jedoch langsamer als die Entgelte.
Die Diskussion über Altersarmut ist nicht ganz neu. Bereits im Koalitionsvertrag zwischen CDU und FDP im Oktober 2009 wurden unter der Überschrift »Kampf gegen Altersarmut« neue Konzepte angekündigt. 2012 wurde ein erster Referentenentwurf vorgelegt, der zusätzliche Berechnungspunkte für Geringverdiener einführen wollte. Aber nach wie vor fehle ein »tragfähiges Konzept gegen Altersarmut«, erklärt der Bundesverband der Rentenberater.
Für neoliberale Wissenschaftler sind inzwischen wieder vorliegende Pläne für eine Mindestrente oberhalb des Grundsicherungsniveaus ein marktwirtschaftlicher Fehlpass, meint etwa der inzwischen pensionierte Chef des Münchner ifo-Institutes, Hans-Werner Sinn. Das Äquivalenzprinzip, der Zusammenhang zwischen Beiträgen und Renten, werde dadurch ausgehöhlt. Im übrigen seien die Über-65-Jährigen nicht die am stärksten armutsgefährdete Gruppe – im Vergleich etwa zu alleinerziehenden Müttern.
Dagegen kommt der paritätische Wohlfahrtsverband mit einer anderen Armutsdefinition (weniger als 60 Prozent des Durchschnittseinkommens) zu dem Ergebnis, dass fast jeder sechster Senior in die Kategorie arm fällt. Entscheidend ist jedoch die Perspektive – und die sieht einen drastischen Anstieg der Armutsbetroffenen bis zum Jahr 2030 vor. Aus den alleinerziehenden Müttern werden dann fast zwangsläufig grundgesicherte Rentnerinnen. Prekäre Beschäftigungsverhältnisse heute sind die Altersarmut von morgen.
Unter den Berliner und Münchner Sozialpolitikern sind Lippenbekenntnisse zur einer ausreichenden Mindestrente wohlfeil. Etwa bei den Grünen: Die Mindestrente nennt sich bei ihnen »Garantierente«. Steuerfinanziert soll sie allen Menschen, die mindestens 30 rentenversicherungspflichtige Jahre vorweisen können, eine Alterssicherung ermöglichen, die oberhalb der Grundsicherung liegt. Entscheidend sei jedoch, so die Grünen, dass das Rentenniveau stabilisiert werde.