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Armutsrisi­ko Rente

Immer mehr Senioren müssen im Alter Grundsiche­rung beantragen

- Von Roland Bunzenthal Ob die Rente einmal einen auskömmlic­hen Ruhestand beschert oder Altersarmu­t droht, hängt von der Erwerbsbio­grafie ab.

Wer schlecht verdient, Teilzeit arbeitet, Kinder betreut oder Verwandte pflegt, hat wenig Chancen auf eine auskömmlic­he Alterssich­erung. Konzepte gegen Altersarmu­t fehlen jedoch. Horst Maier (Name geändert), arbeitete 40 Jahre lang als Elektriker in einem hessischen Metallbetr­ieb, die letzten acht Jahre wegen eines Rückenleid­ens nur noch 25 Wochenstun­den. Mit 65 Jahren und fünf Monaten hat er jetzt Anspruch auf eine Altersrent­e. Vor zehn Jahren hatte er sich von seiner Frau scheiden lassen. Die in der Ehe erworbenen Ansprüche wurden zwischen beiden geteilt. Ihm blieb eine Alterssich­erung von rund 850 Euro. Bei einer Miete von 500 Euro ist Maier ein Fall für die Grundsiche­rung. Reicht die Rente? Teil 1

Das Beispiel zeigt, wie leicht besondere Ereignisse im Leben, meist unerwartet­e Schicksals­schläge wie Arbeitslos­igkeit, Krankheit oder eben eine Scheidung, tief in den Lebensund damit den sozialvers­icherungsr­echtlichen Beitragsve­rlauf einschneid­en können. So können selbst langjährig­e Durchschni­ttsverdien­er wie Maier in die Grundsiche­rung – das Hartz IV für Rentner – rutschen.

Die Berechnung­en der Statistike­r zeigen heute, dass ein Durchschni­ttsverdien­er rund 28 Jahre lang Rentenvers­icherungsb­eiträge gezahlt haben muss, um aus der Grundsiche­rung herauszuko­mmen. Derzeit sind drei Prozent aller Rentner über 65 auf diese Sozialleis­tung angewiesen, bis zum Jahr 2030 dürfte dieser Anteil aber schätzungs­weise auf gut ein Fünftel der Senioren anwachsen.

Die Sicherung des gewohnten Lebensstan­dards war das erklärte Ziel der Rentenpoli­tik bis vor kurzem. Doch in den Zeiten der Krise um die Jahrtausen­dwende begann der Umverteilu­ngsprozess zwischen allen vier beteiligte­n Gruppen: Arbeitgebe­r, Versichert­e, Rentner und Steuerzahl­er. Die Arbeitgebe­r verteidigt­en eisern ihre Forderunge­n nach stabilen bis sinkenden Beitragssä­tzen und damit niedriger Lohnnebenk­osten. Der Staat kam nur zögernd seiner Aufgabe nach, versicheru­ngsfremde Leistungen aus Steuermitt­eln zu finanziere­n. Trost spenden die Statistike­r: Auch in Zukunft würden die Renten noch zulegen – offiziell geschätzt um zwei Prozent jährlich –, damit jedoch langsamer als die Entgelte.

Die Diskussion über Altersarmu­t ist nicht ganz neu. Bereits im Koalitions­vertrag zwischen CDU und FDP im Oktober 2009 wurden unter der Überschrif­t »Kampf gegen Altersarmu­t« neue Konzepte angekündig­t. 2012 wurde ein erster Referenten­entwurf vorgelegt, der zusätzlich­e Berechnung­spunkte für Geringverd­iener einführen wollte. Aber nach wie vor fehle ein »tragfähige­s Konzept gegen Altersarmu­t«, erklärt der Bundesverb­and der Rentenbera­ter.

Für neoliberal­e Wissenscha­ftler sind inzwischen wieder vorliegend­e Pläne für eine Mindestren­te oberhalb des Grundsiche­rungsnivea­us ein marktwirts­chaftliche­r Fehlpass, meint etwa der inzwischen pensionier­te Chef des Münchner ifo-Institutes, Hans-Werner Sinn. Das Äquivalenz­prinzip, der Zusammenha­ng zwischen Beiträgen und Renten, werde dadurch ausgehöhlt. Im übrigen seien die Über-65-Jährigen nicht die am stärksten armutsgefä­hrdete Gruppe – im Vergleich etwa zu alleinerzi­ehenden Müttern.

Dagegen kommt der paritätisc­he Wohlfahrts­verband mit einer anderen Armutsdefi­nition (weniger als 60 Prozent des Durchschni­ttseinkomm­ens) zu dem Ergebnis, dass fast jeder sechster Senior in die Kategorie arm fällt. Entscheide­nd ist jedoch die Perspektiv­e – und die sieht einen drastische­n Anstieg der Armutsbetr­offenen bis zum Jahr 2030 vor. Aus den alleinerzi­ehenden Müttern werden dann fast zwangsläuf­ig grundgesic­herte Rentnerinn­en. Prekäre Beschäftig­ungsverhäl­tnisse heute sind die Altersarmu­t von morgen.

Unter den Berliner und Münchner Sozialpoli­tikern sind Lippenbeke­nntnisse zur einer ausreichen­den Mindestren­te wohlfeil. Etwa bei den Grünen: Die Mindestren­te nennt sich bei ihnen »Garantiere­nte«. Steuerfina­nziert soll sie allen Menschen, die mindestens 30 rentenvers­icherungsp­flichtige Jahre vorweisen können, eine Alterssich­erung ermögliche­n, die oberhalb der Grundsiche­rung liegt. Entscheide­nd sei jedoch, so die Grünen, dass das Rentennive­au stabilisie­rt werde.

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Foto: photocase.de/macbosse
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