Unangemessene Schärfe
Zu »Wagenknecht löst parteiintern Empörung aus«, 27.7., S. 1
Sarah Wagenknecht polarisiert. Als sie 2010 demonstrativ bei der Rede von Israels Präsident Shimon Peres im Bundestag sitzen blieb, erntete sie mit Recht scharfe Kritik aus der eigenen Partei. Diesmal aber ist, so meine ich, die Schärfe der Kritik, die bis zu Rücktrittsforderungen als Fraktionsvorsitzende geht, unangemessen.
Sarah Wagenknecht hat gesagt, »dass die Aufnahme und Integration von Flüchtlingen und Zuwanderern mit erheblichen Problemen verbunden und schwieriger ist, als Merkels leichtfertiges ›Wir schaffen das‹ uns im letzten Jahr einreden wollte.«
Über die Wortwahl wird man streiten können, klingt doch ein Element von Schadenfreude darüber an, dass die großzügige Aufnahme von Flüchtlingen vor allem aus Syrien – die ein Gebot der Humanität war – Probleme mit sich bringt, die mittelfristig jeden Staat und jede Gesellschaft überfordern, so sie nicht gelöst werden.
An keiner Stelle hat Sarah Wagenknecht gesagt, dass sie die Aufnahme von Flüchtlingen ablehnt. Dies aber unterstellen ihr manche Kritiker, und dies behaupten wahrheitswidrig auch Politiker der AfD.
Die Aufnahme der Flüchtlinge war eine richtige Entscheidung, die allerdings mit dem Problem behaftet ist, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel sich über rechtliche Grundsätze der Bundesrepublik und auch der EU hinweggesetzt hat. Politikwissenschaftler bezeichnen eine solche Selbstermächtigung der Exekutive als illiberale Demokratie.
Die Alternative wäre jedoch gewesen, die Flüchtlinge im Mittelmeer und an den Grenzen sterben zu lassen. Angela Merkel hatte hier nur die Wahl zwischen zwei Übeln, und sie hat verantwortungsbewusst das kleinere Übel gewählt.
Jedoch hat die Bundesregierung versagt, als sie darauf verzichtete, die Normen des Zusammenlebens auch von Flüchtlingen klar einzufordern oder andernfalls jenen Asylsuchenden, die diese Normen bewusst verletzen, das Asylrecht zu entziehen und sie in die Herkunftsländer zurückzuschicken. Genau darauf wies Sarah Wagenknecht hin, als sie nach den Kölner sexuellen Angriffen sagte, dass der sein Gastrecht verwirke, der es missbrauche.
Was ist an dieser Aussage falsch? Wer die Scharia über das Gesetz des Staates stellt, wer Frauen als Freiwild oder als minderwertig betrachtet und sie entsprechend behandelt, verdient hier keine Aufnahme. Dies auszusprechen, ist ebenso bitter wie selbstverständlich. Das hat Sarah Wagenknecht getan.
Noch ist Zeit, über diese Dinge im demokratischen Diskurs zu reden. Doch bekommt der Staat – auch ein eventuell von der LINKEN mitregierter Staat – das Problem des Terrorismus mitsamt des Sympathisantenumfelds nicht in den Griff, wird er sich dereinst zwischen der Aufrechterhaltung der Demokratie und der Aufrechterhaltung des Schutzes der Bürger entscheiden müssen. So schrecklich diese Alternative ist, so real ist sie. Prof. Dr. Mario Keßler, Berlin Ich stelle mir seit Tagen die Frage, wann ich erstmals Sarah Wagenknecht, Dietmar Bartsch oder einen anderen LINKEN-Politiker vor einem Mikrofon stehen sehe, der einen Zettel in die Kamera hält: »Danke für ihre Frage. Wenn ich meine Antwort durch alle Parteigremien hindurch abgestimmt habe, lasse ich wieder von mir hören.«
Ich halte die Art und Weise, wie man auf eine Antwort von Sarah Wagenknecht zur Flüchtlingsfrage in der Partei reagiert, für völlig daneben. Was hat sie denn gesagt? Dass die Aufnahme und Integration einer großen Zahl von Flüchtlingen mit erheblicheren Problemen verbunden sei, als es die Kanzlerin mit »Wir schaffen das!« uns weismachen wollte.
Wagenknecht hat nicht die Flüchtlingsaufnahme in Deutschland kritisiert oder gar infrage gestellt, sie hat nicht eine Obergrenze gefordert, sie hat keinen Asylbewerber kriminalisiert. Sie hat nur darauf verwiesen, dass die Aufnahme und Integration nicht ohne Probleme vonstattengeht und gehen kann. Und dass die Kanzlerin im September vergangenen Jahres vielleicht hätte sagen sollen: »Wenn wir uns alle anstrengen, werden wir es schaffen, aber problemlos wird es nicht abgehen.«
Dass Sahra Wagenknecht anspricht, dass nicht alles einfach abgeht, ist nicht nur ihr gutes Recht, es stimmt auch. Ihren Rücktritt zu fordern, ist schäbig. Es ist wie immer: Kurz vor wichtigen Wahlen zerlegt sich die LINKE wieder mal selbst. Wer so miteinander umgeht, der wird die Wähler nicht für sich einnehmen. Dietmar Berger, Chemnitz Ich mache mir ernsthaft Sorgen um die LINKE, denn zum wiederholten Male zerfleischt man sich verbal in der Partei wegen angeblich rechtspopulistischer Äußerungen von Sahra Wagenknecht. Ich höre immer genau zu, was sie sagt und in welchen Kontext sie ihre Ausführungen stellt. Und da hat sie mit ihrer Kritik an Angela Merkel doch völlig zu Recht argumentiert.
Die leichtfertige Flüchtlingspolitik der Kanzlerin (»Wir schaffen das«) darf kritisiert werden, auch wenn man hierfür den Beifall von der falschen Seite bekommt. Das muss man einfach aushalten können. Es kann doch nicht sein, dass man Kritik bei SPD, LINKEN und Grünen an der Politik von Angela Merkel tunlichst zurückhält, weil man nicht als Rechtspopulist diffamiert werden möchte. Im Gegenteil: Wenn man schweigt, wie z. B. zum sogenannten Flüchtlingsdeal mit der Türkei, spielt man der AfD doch erst so richtig in die Hände.
Deshalb rate ich, dass man die differenzierten Einschätzungen und Äußerungen von Frau Wagenknecht erst einmal richtig verstehen lernen sollte, ehe man über sie herfällt. »Wer sein Gastrecht missbraucht, hat sein Gastrecht verwirkt«, ist für mich keine rechtspopulistische Äußerung, sondern eine Tatsache, die den gesunden Menschenverstand auszeichnet, und hat nichts, aber überhaupt nichts, mit einem allgemeinen Generalverdacht gegen Flüchtlinge oder gar mit Ausländerfeindlichkeit zu tun! Die LINKE wäre gut beraten, wenn sie sich mehr mit den gesellschaftlichen Schwierigkeiten der Integration von Flüchtlingen auseinandersetzen würde, statt sich in innerparteilichen Querelen und Kämpfen auseinanderzudividieren. Thomas Henschke, Berlin Parteiinternes der LINKEN – ob von Sahra Wagenknecht oder durch andere hervorgebracht – gehört meines Erachtens nicht breit ausgeschlachtet in die Öffentlichkeit, denn darauf haben die uns keinesfalls freundlich Gesonnenen nur gewartet. Die »Begrüßungsreaktion« der AfD folgte ja auch unverzüglich.
Dagegen sollten kritische Bemerkungen zu Merkels »Wir schaffen das« durchaus legitim sein und keinesfalls einfach so als »Kritik von rechts« stigmatisiert werden. Charles Dukes, Berlin