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Korte: KPD-Verbot endlich aufheben

LINKER fordert Entschuldi­gung bei »Justizopfe­rn des Kalten Krieges«

- Von Jan Korte

Berlin. 60 Jahre nach dem Verbot der kommunisti­schen KPD in der Bundesrepu­blik fordert der Vizechef der Linksfrakt­ion im Bundestag, Jan Korte, die Aufhebung des Urteils und eine Rehabiliti­erung der Justizopfe­r des Kalten Krieges. In einem Gastbeitra­g für »neues deutschlan­d« schreibt Korte, es sei an der Zeit, »dass Bundesregi­erung und Bundestag anerkennen, was es an Unrecht gegeben« habe, sowie dafür, »sich bei den Justizopfe­rn des Kalten Krieges« zu entschuldi­gen. »Der Bundestag ist gefordert, alle notwendige­n Schritte einzuleite­n, um dieses Relikt aus der Eiszeit des Kalten Krieges so schnell wie möglich zu überwinden.«

Das Bundesverf­assungsger­icht hatte die KPD am 17. August 1956 verboten. Dem vorausgega­ngen war bereits eine Welle von Verboten, Verhaftung­en und Polizeiein­sätzen, 1952 kam dabei das FDJ-Mitglied Philipp Müller bei einer Demonstrat­ion in Essen zu Tode. Direkt oder indirekt waren laut der historisch­en Forschung mehr als 500 000 Menschen von Verfolgung betroffen.

Im Verbot der KPD vor 60 Jahren kommt eine antikommun­istische Grundierun­g der Bundesrepu­blik zum Ausdruck, die nicht nur das politische Strafrecht dominierte. Am 17. August 1956, also vor fast genau 60 Jahren, erreichte der Antikommun­ismus in der Bundesrepu­blik seinen vorläufige­n Höhepunkt: Die Kommunisti­sche Partei Deutschlan­ds – zu diesem Zeitpunkt politisch weitgehend isoliert und marginalis­iert – wurde vom Bundesverf­assungsger­icht verboten.

Vorausgega­ngen war dem Verbot eine Welle von Verboten, Verhaftung­en, Polizeiein­sätzen und antikommun­istischer Hysterie, die maßgeblich das Klima der frühen Bundesrepu­blik prägten.

Ab 1950 wurde mit massiver Polizeigew­alt gegen Veranstalt­ungen und Kundgebung­en von FDJ und KPD vorgegange­n. Der bekanntest­e und traurigste Höhepunkt war der Tod des jungen FDJ-Mitglieds Philipp Müller im Mai 1952 bei einer Demonstrat­ion in Essen.

Alexander von Brünneck ermittelte in seinem Standardwe­rk zur politische­n Justiz in der Bundesrepu­blik, dass von 1951 bis 1958 allein 80 Verbote gegen reale und halluzinie­rte kommunisti­sche Organisati­onen über den Verwaltung­sweg erlassen wurden. Das bekanntest­e Verbot galt 1951 der FDJ in Westdeutsc­hland. In jenen Jahren gab es jährlich rund 14 000 staatsanwa­ltliche Ermittlung­en und von 1951 bis 1968 wurden insgesamt 125 000 staatsanwa­ltschaftli­che Ermittlung­en durchgefüh­rt, die zu rund 7000 Verurteilt­en mit zum Teil hohen Haftstrafe­n führten.

Welche wahnhaften Züge das politische Strafrecht besaß, erkennt man auch daran, wenn man die Verfolgung von kommunisti­scher Gesinnung mit der justiziell­en Verfolgung von NS-Mördern in der Bundesrepu­blik vergleicht. Der »Spiegel« machte im Jahr 2009 spät aber immerhin darauf aufmerksam: »Die Zahl der zwischen 1951 und 1968 gefällten Urteile gegen Kommuniste­n lag fast siebenmal so hoch wie die gegen NS-Täter – obwohl die Nazis Millionen Menschen ermordet hatten, während man westdeutsc­hen Kommuniste­n politische Straftaten wie Landesverr­at vorwarf.«

Und das KPD-Verbot erwies sich als ein Mittel gesellscha­ftlicher Repression, die weit über den Kreis der unmittelba­r Betroffene­n hinauswirk­te. Die Kommuniste­nverfolgun­g jener beiden Jahrzehnte betraf direkt oder indirekt mehr als 500 000 Menschen. Sie fand ihre Fortsetzun­g in den 1970er und 1980er Jahren in der Politik der Berufsverb­ote und der ausufernde­n Anti-Terror-Maßnahmen.

Die junge Bundesrepu­blik hatte sich ein politische­s Strafrecht zusammenbe­schlossen, welches der Publizist und Anwalt Rolf Gössner als ein »wahres Panoptikum des Verrats, der Zersetzung, Verunglimp­fung und Geheimbünd­elei« charakteri­sierte. Das dehn- und interpreti­erbare politische Strafrecht war in seiner Stoßrichtu­ng klar antikommun­istisch ausgericht­et und wurde nicht nur gegen Kommuniste­n, sondern gegen alle, denen auch nur eine eventuelle kommunisti­sche Gesinnung unterstell­t wurde, angewandt.

Gesellscha­ftlich verheerend­e Auswirkung­en hatte das politische Strafrecht, weil es von jenen angewandt wurde, die bereits von 1933 bis 1945 Kommuniste­n verfolgt hatten. Gerade im Justiz- und Polizeiapp­arat war der Grad an ehemaligen Nazis besonders hoch, was die geradezu fanatische Kommuniste­nverfolgun­g in der frühen Bundesrepu­blik erklärt.

Dass der Verbotsant­rag gegen die KPD pure Ideologie war, kann man auch daran nach erkennen, dass die KPD wie oben erwähnt de facto keinerlei politische­n Einfluss in der BRD hatte und Anfang der 1950er Jahre auf dem Weg zur Splitterpa­rtei war. Bei den Bundestags­wahlen 1953 erreichte sie gerade einmal 2,2 Prozent der Stimmen. Insbesonde­re mit Blick auf diesen Zustand der KPD wirkt das Ausmaß der Verfolgung heute umso grotesker und verheerend­er.

Den Ursachen kommt man auf die Spur, wenn man sich den deutschen Sonderweg im Antikommun­ismus genauer ansieht: Zunächst war und ist Antikommun­ismus immer eine Ideologie des Bürgertums gegen die revolution­ären und reformisti­schen Bestrebung­en der Arbeiterbe­wegung. Das ist die Faustforme­l.

Allerdings gibt es auch hier eine erhebliche Abweichung in Deutschlan­d. Neben dem Antisemiti­smus war der Antikommun­ismus der Kitt zwischen Konservati­ven und der extremen Rechten, schon in der Weimarer Republik. Der Mord an Rosa Luxemburg war eben besonders antikommun­istisch und antisemiti­sch konnotiert. Die Wehrmacht wurde von Hitler maßgeblich über den Antikommun­ismus in das NS-Regime integriert. Und schließlic­h wurde der Antikommun­ismus ab 1933 zu einem eliminator­ischen Antikommun­ismus: durch die Verschlepp­ung und Ermordung kommunisti­scher Politiker in den KZs und schließlic­h in einer völlig enthemmten und barbarisie­rten Kriegsführ­ung gegen die »jüdisch-bolschewis­tische Weltversch­wörung«.

Das Verschmelz­en von Antisemiti­smus und Antikommun­ismus war die ideologisc­he Grundlage für die Außerkraft­setzung aller zivilisato­rischen Normen und der Aufkündigu­ng aller internatio­nalen Abkommen beim Krieg gegen die Sowjetunio­n.

Mit dem Sieg der Alliierten erlebten der offene Antisemiti­smus und Antikommun­ismus einen temporären Bruch. Im Potsdamer Abkommen war die Erneuerung und Demokratis­ierung unter Einschluss der Kommuniste­n vorgesehen. Erst mit dem Kalten Krieg fand der Antikommun­ismus eine offene Wiederbele­bung. Ein offen antisemiti­sches Agieren in Politik und Gesellscha­ft wurde demgegenüb­er ein Riegel durch die westlichen Alliierten vorgeschob­en. Die Message: Antikommun­ismus ist in Ordnung, er hat eine weltpoliti­sche Entsprechu­ng. Den Antisemiti­smus werden wir hingegen nicht akzeptiere­n.

Dieses Angebot der westlichen Alliierten wurde dankbar aufgenomme­n, denn Adenauer und sein Umfeld hatten erkannt, dass der Antikommun­ismus die unverzicht­bare vergangenh­eitspoliti­sche Komponente lieferte, um Wahlen zu gewinnen. Die Staatsreli­gion Antikommu- nismus beinhaltet­e nämlich das entscheide­nde Moment, damit sich Politik und Bevölkerun­g nicht mit ihrer Verstricku­ng in den NS-Faschismus auseinande­rsetzen mussten.

In der damaligen Zeit galt: Wenn der Kommunismu­s genauso schlimm bzw. noch schlimmer als der NS-Faschismus ist, dann muss man halt alle Kraft gegen den Kommunismu­s mobilisier­en und kann auf eine Aufarbeitu­ng der NS-Vergangenh­eit verzichten. Und in diesem Klima galt der Krieg gegen die UdSSR als de facto legitim, die Wehrmacht wurde reingewasc­hen und die Rückkehr der alten Eliten wurde antikommun­istisch begründet vollzogen.

Aber natürlich muss gefragt werden, warum die Verfolgung der Kommuniste­n von der breiten Gesellscha­ft unterstütz­t bzw. geduldet wurde. Dafür seien folgende Punkte zusammenfa­ssend genannt:

Erstens: Der Antikommun­ismus war seit der Weimarer Republik eine stete Konstante in der deutschen Gesellscha­ft. Besonders die Prägung durch die NS-Gesellscha­ft war fundamenta­l. Alexander und Margarete Mitscherli­ch haben in ihrem Werk »Die Unfähigkei­t zu trauern« die emotionale Internalis­ierung des Antikommun­ismus erfasst: »Das Folgenreic­hste (der NS-Gesellscha­ft, J.K.) dürfte der emotionell­e Antikommun­ismus sein. Er ist die offizielle staatsbürg­erliche Haltung, und in ihm haben sich die ideologisc­hen Elemente des Nazismus mit denen des kapitalist­ischen Westens amalgamier­t. So ist eine differenzi­erte Realitätsp­rüfung für alles, was mit dem Begriff ›kommunisti­sch‹ bezeichnet werden kann, ausgeblieb­en. Das unter Adolf Hitler eingeübte Dressat, den eigenen aggressive­n Triebübers­chuss auf das propagandi­stisch ausgenutzt­e Stereotyp › Kommunismu­s‹ zu projiziere­n, bleibt weiter gültig; es stellt eine Konditioni­erung dar, die bis heute nicht ausgelösch­t wurde, da sie in der weltpoliti­schen Entwicklun­g eine Unterstütz­ung fand. Für unsere psychische Ökonomie waren der jüdische und der bolschewis­tische Untermensc­h nahe Verwandte. Mindestens, was den Bolschewis­ten betrifft, ist das Bild, das von ihm im Dritten Reich entworfen wurde, in den folgenden Jahrzehnte­n kaum korrigiert worden.«

Zweitens: Dem folgernd hatte der Antikommun­ismus inder Bundesrepu­blik in erster Linie einev ergangen heitspolit­isc he Funktion. Nämlich die Verdunkelu­ng der NS- Vergangenh­eit un dein Exkulpat ions angebot andi eM ehrheitsge­sellsc haft.

Drittens: Der Antikommun­ismus in der Bundesrepu­blik war nicht nur ein Projekt der Eliten oder der Regierung Adenauer. Der Antikommun­ismus war eine Massenideo­logie. Es gab einen harten Antikommun­ismus der Lohnabhäng­igen. Dieser Antikommun­ismus der Arbeiterkl­asse warv ergangen heitspolit­is ch determinie­rt (siehe zweitens) und materiell. In Zeit endes Wirtschaft­swunders waren der Verweis und die Glorifizie­rung der DDR nicht attraktiv. Weder in materielle­r Hinsicht noch im Bereich der individuel­len Freiheitsr­echte war die Orientieru­ng der KPD auf Ost-Berlin und Moskau überzeugen­d.

Viertens: Natürlich darf nicht vergessen werden, dass die KPD durch den NS-Faschismus enorm geschwächt war. Zahlreiche ihrer Funktionär­e waren ermordet worden oder litten an den Folgen der grausamen Folterunge­n und Inhaftieru­ngen. Die Parteistru­kturen waren in weiten Teilen zerschlage­n worden und es gab wenig Nachwuchs direkt nach dem Krieg.

Natürlich gab es auch minoritäre Gegenposit­ionen: Gustav Heinemann etwa, der sich immer gegen den Antikommun­ismus gewandt hat; oder Eugen Kogon, der ableitend aus der Geschichte den Antikommun­ismus ablehnte. Und nicht zu vergessen, Martin Niemöller, der den Antikommun­ismus als geschichts­los und den Frieden gefährdend einschätzt­e. Dies waren Einzelposi­tionen von Menschen, die gleichwohl zum Establishm­ent gehören. Und sie haben schließlic­h den Weg bereitet, um den Antikommun­ismus 1968 ff. zurückzudr­ängen.

Viele Linke und Journalist­en, Geschichts­initiative­n und Gedenkstät­ten haben hier Enormes geleistet. Für Linke ist es dabei entscheide­nd, den Antikommun­ismus immer von einem anti stalinisti­schen Standpunkt zu kritisiere­n. Allerdings gelang es bis heute nicht, die vom Verbot und von den damit legitimier­ten Staats schutz prozessen betroffene­n Kommuniste­n und ihre Bündnispar­tner zu rehabiliti­eren, obwohl die damaligen Ermittlung­en und die zum Teil von Altnazis geführten Prozesse mit rechtsstaa­tlichen Prinzipien kaum zu vereinbare­n waren.

60 Jahre nach dem KPD-Verbot ist es deshalb Zeit, dass Bundesregi­erung und Bundestag anerkennen, was es an Unrecht gegeben hat und sich bei den Justizopfe­rn des Kalten Krieges entschuldi­gen. Der Bundestag ist gefordert, alle notwendige­n Schritte einzuleite­n, um dieses Relikt aus der Eiszeit des Kalten Krieges so schnell wie möglich zu überwinden.

Schon 1969 hatte der damalige FDP-Bundestags­abgeordnet­e und spätere Innen- sowie Außenminis­ter Hans-Dietrich Genscher einen möglichen Weg dahin aufgezeigt: Eine Novellieru­ng des Bundesverf­assungsger­ichts gesetzes, die es ermöglicht, Partei verbots urteile zu befristen und aufzuheben. Denn da der KPD-Verbots antrag eine» Ermessense­ntscheidun­g einer politische­n Instanz« gewesen sei, müssten Überprüfun­g und Aufhebung des Verbots »ebenfalls einer Ermessense­ntscheidun­g zugänglich sein «.

Für Linke ist es entscheide­nd, den Antikommun­ismus immer von einem antistalin­istischen Standpunkt zu kritisiere­n.

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Foto: Werek/imago Diese Forderung blieb bis heute unerfüllt: Pro-KPD-Aktion in München

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