Treuhand wird Geschichte
Die Wahrheit über die Treuhandanstalt ist umstritten – und nun Thema von Historikern in Bochum
Historiker sollen »Meinungsbild« zum Wirken der Behörde erarbeiten.
Die Treuhand ist ein heißes Eisen. Um Ihre Finger fürchten Sie aber nicht? Das ist nicht mein erstes Projekt zu gesellschaftlich umstrittenen Themen. Die Stiftung zur Zwangsarbeiter entschädigung gehörte dazu oder auch der Verfassungsschutz. Dafür sind Zeithistoriker da: Streit zu versachlichen und neue Perspektiven zu ermöglichen. Also: nein, keine Scheu. Der Auftrag kommt von der Bundesregierung. Haben Sie eine Treuhand forschungs ausschreibung gewonnen? Es gab eine Ausschreibung, ja. Was interessiert Sie an dem Thema? Es sind historische Umbruchzeiten, die mich interessieren und die auch einen Forschungsschwerpunkt unseres Instituts bilden. Das Thema Treuhand hat mein Mitarbeiter Marcus Böick in einer Dissertation behandelt, so habe auch ich mich genauer damit beschäftigt. Spannend sind die Zeiten, wenn plötzlich nicht mehr gilt, was bis gestern als richtig galt. Können Sie ein Stück weit nachvollziehen, dass Ostdeutsche bis heute nicht emotionsfrei über die Treuhand reden? Natürlich habe ich Verständnis. Aber auch Westdeutsche sprechen nicht emotionsfrei über dieses Thema. Ist es ein Nachteil, wenn ein Westdeutscher diese Studie verantwortet? Herr Böick kommt aus Ostdeutschland, so ist für Ausgewogenheit gesorgt. Er ist auch Bearbeiter der Studie. Sie wollen eine Art Meinungsbild über die Treuhand ermitteln. Wird das Pferd damit nicht von hinten aufgesattelt? Kann ein Meinungsbild über die Treuhand eine Bewertung der Treuhand ersetzen? Wir nehmen keine Bewertung vor, werden nicht Erfolg oder Misserfolg der Treuhand beurteilen. Wir erstellen eine erfahrungsgeschichtliche Inventur, wollen damals hochumstrittene Erfahrungen wie die spätere Auseinandersetzung sortieren und analysieren. Das kann Vorarbeit für eine künftige materielle Auswertung der Treuhandarbeit sein. Wenn es dann um die Auswertung der Treuhandakten geht, um einzelne Fälle der Privatisierung zum Beispiel. In dem von Ihnen zu erstellenden Meinungsbild sollen die Auffassungen über die Treuhand gleichberechtigt nebeneinanderstehen. Wie soll man sich so einer realistischen Beurteilung nähern? Wir werden keinen Sieger küren, nicht urteilen, wer Recht gehabt hat. Wir wollen Erklärungen liefern. Aber gibt es nicht tatsächlich so etwas wie die Wahrheit über die Treuhand? Als Historiker bin ich vorsichtig mit dem großen Begriff der Wahrheit. Wir suchen intersubjektiv überprüfbare Erklärungen für Handlungen und Erfahrungen von Menschen, ohne uns zum Richter aufzuschwingen. Die eine verbindliche große Erklärung gibt es nicht – so etwas bildet für uns eher den Stoff der Untersuchung. Wenn der Treuhandchef einst das DDR-Vermögen auf 600 Milliarden DM schätzte und die Treuhand am Ende mit 200 Milliarden DM verschuldet war, liegt dann hier nicht eine faktische Diskrepanz, die einen Schluss auf die Qualität der Treuhandarbeit erlaubt? Welchen Wert die DDR-Wirtschaft 1990 tatsächlich hatte, lässt sich nicht als ökonomisches Faktum feststellen, sondern ist Gegenstand hochkontroverser Interpretationen, und genau diese Auseinandersetzungen und ihre Auswirkungen interessieren uns in unserem Projekt. Fakten sind noch keine historischen Erklärungen. Aber erklären wollen Sie schon? Wir wollen sehen, welche unterschiedlichen Perspektiven es in diesem Prozess gab und diese systematisch darstellen. Wollen Sie die Erfahrungen, die Sie ermitteln, gegeneinander aufwiegen, um zu einer Aussage über die Wahrheit zu gelangen? Nein, natürlich nicht. Die Wahrheit ist keine statistische Größe. Wie wollen Sie sich der Erklärung nähern? Zum Beispiel der Frage: War die Treuhand ein angemessenes Instrument, die DDR-Wirtschaft zu retten? Diese Frage werden wir mit unserer Studie nicht beantworten. Wir untersuchen, welche Überzeugungen welcher Akteure standen sich gegenüber, welche Wege präferierten sie, um Betriebe zu retten, welche Maßnahmen galten als angemessen, welche als unangemessen? Die Dinge lagen ja nicht sonnenklar auf der Hand, und sie sind bis zum heutigen Tage umstritten. Mit welchen Erwartungen gingen die verschiedenen Seiten vor, was ist daraus geworden? Sollte man die Treuhand nicht mit der Abwicklung des Staatsvermögens in anderen sozialistischen Ländern vergleichen? Das wäre perspektivisch sicher eine spannende Aufgabe. Aber das würde uns überfordern. Wir haben ein Jahr zur Verfügung, ein Mitarbeiter wird sich vornehmlich mit dem Projekt beschäftigen. Könnte Forschung über die Treuhand vielleicht die Eurokrise bewältigen helfen – Stichwort: unterschiedliche Reifestufen der Produktion und der Lebensverhältnisse in den Mitgliedsstaaten bei gleicher Währung ...? Bei der Frage nach der Nutzbarkeit solcher Forschungen sehe ich eher einen anderen Aspekt im Vordergrund. Interessant dürfte sein, welche Erfahrungen Menschen in Umbruchsituationen machen, die ihr Verhältnis zum politischen System beeinflussen. Dieser Zusammenhang liegt doch im Osten ganz offensichtlich auf der Hand. Das kann man vermuten, aber eine wissenschaftliche Untersuchung ist etwas anderes. So rebellieren Menschen nicht automatisch dann, wenn es ihnen am schlechtesten geht. Wie die Zusammenhänge sind, sollte man nicht vorschnell schlussfolgern. Aber dass das Vertrauen in die Institutionen im Osten betroffen ist, diesen Zusammenhang kann man sicher herstellen, ohne vorschnell zu sein.