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Chavistisc­he Erneuerung steht aus

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Die Regierungs­gewalt steht auf dem Spiel. 17 Jahre nachdem Hugo Chávez angetreten ist, um Venezuela grundlegen­d umzukrempe­ln, ist die bolivarisc­he Revolution bedroht wie nie zuvor. Schon jetzt dominiert das Opposition­sbündnis MUD das Parlament, und am 1. August bestätigte der Nationale Wahlrat, dass die notwendige Menge an Unterschri­ften zusammenge­kommen sei, um den nächsten Schritt auf dem Weg zu einem Referendum zu beschreite­n. In allen 24 Bundesstaa­ten hatte sich mehr als ein Prozent der Bevölkerun­g für einen Volksentsc­heid ausgesproc­hen, in dem über die Zukunft des Staatschef­s und Chávez-Nachfolger­s Nicolás Maduro entschiede­n werden soll. Ein großer Erfolg für das Opposition­sbündnis MUD – und eine weitere Niederlage für die »Revolution des 21. Jahrhunder­ts«.

Wer letztlich erfolgreic­h aus diesem Prozess hervorgeht, ist noch nicht ausgemacht. Das MUD muss jeden fünften Wahlberech­tigten, fast vier Millionen Menschen, gewinnen, damit das Referendum durchgefüh­rt wird. Das könnte ihr angesichts der kritischen Stimmung gegenüber der Regierung gelingen. Doch Maduro und die ihm treuen Institutio­nen werden alles dafür tun, dass der Entscheid erst nach dem 10. Januar 2017 stattfinde­t. Dann würde im Falle seiner Niederlage kein neuer Staatschef gewählt, sondern der Vizepräsid­ent – ebenfalls von der regierende­n sozialisti­schen PSUV – übernähme das Amt. Das Amt hat derzeit Jorge Arreaza inne, der mit einer Tochter von Hugo Chávez verheirate­t ist.

Die Opposition wird natürlich alles daran setzen, das zu verhindern. Doch die Erfahrunge­n der vergangene­n Monate zeigen, dass hohe staatliche Gremien fast immer für den Präsidente­n entscheide­n. So zum Beispiel der Oberste Gerichtsho­f. Die Richter lehnten ein weitreiche­ndes Amnestie-Gesetz ab, das die Opposition mit ihrer parlamenta­rischen Mehrheit auf den Weg gebracht hatte. Zudem erkannten sie jetzt die Wahl dreier Abgeordnet­en nicht an und verhindert­en damit, dass die Opposition eine ZweiDritte­l-Mehrheit im Parlament hat. mit der die Verfassung verändert werden kann.

Im venezolani­schen Machtkampf streiten beide Seiten mit harten Bandagen. Es ist zu befürchten, dass die Gewalt weiter eskaliert. Dabei werfen die chavistisc­hen Kräfte im Interesse des Machterhal­ts immer mehr Ideale über den Haufen. Dabei ist das Gegenteil nötig: Venezuelas Linke muss gegen die Korruption in den eigenen Reihen angehen. Auch die Abhängigke­it vom extraktivi­stischen Modell des Ölexports muss Zug um Zug abgebaut werden. Und eine Abkehr von einem autoritäre­n Führerkult, der peinlich religiöse Züge trägt, ist überfällig. Der 2013 verstorben­e Chávez hatte in seinem letzten großen Strategiep­apier »Golpe de timón« (Das Steuer herumreiße­n) im Oktober 2012 eine Erneuerung der bolivarisc­hen Bewegung angemahnt. Demokratie und Sozialismu­s, so der Namensgebe­r des Chavismus, müssten immer wieder »von unten« erneuert werden. Bis dato ist das nicht passiert. Die Opposition ist dafür der bessere Platz.

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