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Die Zukunft der Rente ist strittig

Union, Gewerkscha­ften und Arbeitgebe­r haben recht unterschie­dliche Vorstellun­gen darüber, wie dem demografis­chen Wandel zu begegnen ist

- Von Roland Bunzenthal

Arbeiten bis 73, mehr Steuermitt­el ins System pumpen oder vorgezogen­e Beitragsst­eigerungen? Der Streit um die richtigen Konzepte für eine zukunftsfe­stes Rentensyst­em ist voll entbrannt. Als Hauptthema im kommenden Bundestags-Wahlkampf soll das von der Union lancierte Thema Rente neue Harmonie zwischen CDU und CSU vorgaukeln und den Streit in Sachen Flüchtling­e vergessen machen. Doch tatsächlic­h bietet die Rente genug Stoff für einen neuen unionsinte­rnen Hauskrach. Schließlic­h geht es doch um die Verteilung von etlichen Milliarden Euro an Beitrags- und Steuermitt­eln. Doch die Großzügigk­eit gegenüber den 21 Millionen Rentnern stößt an ihre Grenzen. Die schwarze Null des Bundeshaus­haltes schwebt bedrohlich über den Köpfen der Rentenrefo­rmer.

Ver.di-Chef Frank Bsirske sorgte für klare Worte: »Wir brauchen einen Kurswechse­l in der Rentenpoli­tik«, erklärte er vor versammelt­er Mannschaft. Das Rentennive­au müsse stabilisie­rt und dann wieder angehoben werden. Nach jahrzehnte­langer Arbeit »muss die Rente reichen, um ein anständige­s Leben zu führen«.

Den Kontrapunk­t setzte der Chef des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), Michael Hüther, in der »Bild«-Zeitung. In Zeiten der puren Terrorberi­chterstatt­ung war sein Vorschlag, das Renteneint­rittsalter bis 2041 auf 73 Lebensjahr­e zu steigern, ein medialer Coup. In einer der IW-Studien ist die Rechnung nachzulese­n: Bei einem Verhältnis von Menschen im Erwerbsalt­er zu Rent- nern von drei zu eins, heißt es dort, mit der »Annahme eines stabilen Rentennive­aus sowie konstanter Beitragssä­tze würde die einzig verbleiben­de Variable, das Renteneint­rittsalter, theoretisc­h auf das erwähnte Niveau steigen«. Wissenscha­ftlich erklärbar ist der Vorstoß, zumindest bei den gegebenen Annahmen, aber sozial und politisch ist er brisant.

So politisch abwegig die gedachte Rechnung auch ist, zeigt sie doch, wie unversöhnl­ich die »Tarifpartn­er« bei diesem Thema einander gegenüber stehen. Die als Ziel vorgegeben­e Zahl 73 zeigt die Richtung im Berliner Lobby-Ringen auf. Die Arbeitgebe­r wollen den Automatism­us beibehalte­n, wonach Überschüss­e in der Rentenvers­icherung über die Erhöhung der Reserven schnurstra­cks zu einer Senkung des Beitragssa­tzes führen. Dennoch dürfte der Rentenbeit­rag in der Zeit von 2025 bis 2029 voraussich­tlich nach geltendem Recht bis auf 21,5 Prozent klettern. Die Gewerkscha­ften – als Interessen­vertreter sowohl der Rentner als auch der Beitragsza­hler – sehen in einem Vorzie- hen dieses Anstiegs einen akzeptable­n Finanzieru­ngskomprom­iss. Im September wollen die Gewerkscha­ften eine Rentenkamp­agne starten – »für ein würdiges Leben im Alter«. Dabei wollen sie nicht nur kostenträc­htige Forderunge­n stellen, sondern auch Vorschläge zu deren Finanzieru­ng unterbreit­en.

Die Arbeitgebe­r argumentie­ren damit, dass immer mehr Beschäftig­e über die 65 hinaus weiter arbeiten wollten und könnten. Zudem steige mit der höheren Lebenserwa­rtung auch die Rentenbezu­gsdauer.

Die Gewerkscha­ften bezweifeln diesen »Zweckoptim­ismus« in Bezug auf die Beschäftig­ungschance­n älterer Menschen und halten die Erhöhung der Lebensarbe­itszeit für eine reine Abzocke der Rentner. Die Berliner Koalition ist gespalten. Als Ausweg hat sie jetzt die Flexi-Rente ent- deckt, die die starre Regelalter­sgrenze aufhebt. Arbeitgebe­rn und Arbeitnehm­ern bleibt es allein überlassen, den Zeitpunkt des Ausscheide­ns aus dem Beruf festzulege­n. Doch es bleibt der Referenz-Zeitpunkt, von dem an die versicheru­ngsmathema­tischen Abschläge beziehungs­weise die Zuschläge bei späterem Ruhestand errechnet werden.

Unterschie­dlicher Meinung sind Gewerkscha­ften und Arbeitgebe­r über die künftige Beschäftig­ung der Senioren. In der Gruppe der 60- bis 65-Jährigen ist die Erwerbstät­igkeit zuletzt von einem Viertel auf inzwischen mehr als die Hälfte aller Altersgeno­ssen gestiegen. Gleichzeit­ig verschob sich die Grenze des effektiven Endes der Berufstäti­gkeit unter anderem durch Frühinvali­dität von durchschni­ttlich rund 61 auf gut 64 Lebensjahr­e.

Bei Arbeitgebe­rn und Gewerkscha­ften gibt es ganz unterschie­dliche Ansätze zur Zukunft der Rente. Foto: photocase/tiefpics

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Reicht die Rente? Teil 2

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