Freibrief für Holocaust-Leugner
Klammheimlich hat das Oberlandesgericht Naumburg Justizgeschichte geschrieben
Das Oberlandesgericht Naumburg hat den NPD-Politiker Hans Püschel bereits im Oktober vergangenen Jahres vom Vorwurf der Volksverhetzung freigesprochen. Kann das wahr sein? Püschel, Hans, geboren 1948 in Weißenfels, Kommunalpolitiker der NPD in Sachsen-Anhalt. Die Nennung des Namens reicht vielen, um sich genervt oder angewidert abzuwenden. Doch der Mann hat offenkundig Rechtsgeschichte geschrieben. Exakt 70 Jahre nachdem das Grauen, das das Hitler-Regime über Europa und die Welt gebracht hatte, beendet wurde, hat er erreicht, dass die Leugnung des Holocaust möglich ist. Freilich hat Püschel diesen Meilenstein der kriminellen Anstandsverweigerung nicht alleine bewegt. Er hatte die Unterstützung des Oberlandesgerichts Naumburg.
Drei Richter des 2. Strafsenats befanden darüber, ob das Urteil, das gegen Püschel vor dem Amtsgericht Weißenfels 2013 ergangen und vom Landgericht in Halle 2014 bestätigt wurde, rechtens ist. Püschel war wegen Volksverhetzung zu 100 Tagessätzen à 30 Euro verurteilt worden. Grundlage ist Paragraf 130 des Strafgesetzbuches. Ihm gemäß wird mit Geld- oder Haftstrafe belegt, wer »eine unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangene Handlung« wie Völkermord »billigt, leugnet oder verharmlost«. Die Richter der unteren Instanzen hatten genau so Texte und Aussagen gewürdigt, die Püschel öffentlich von sich gegeben hatte. Doch die drei Juristen, die am Oberlandesgericht über die Revision befanden, hatten gegen die vom Landgericht vorgenommene Auslegung der Äußerung des Angeklagten »durchgreifende rechtliche Bedenken«.
Durchgreifende Bedenken? Die OLG-Richter bemerken »mehrdeutige Äußerungen«, reden von »verschiedenen Deutungsmöglichkeiten«. Zwar betonen sie, Grundlage für die Bewertung jeder Meinungsäußerung »ist die Ermittlung ihres Sinns«, doch gerade da versagt die richterliche Fähigkeit. Die Richter betonen, dass Volksverhetzung »ein ausdrückliches quantitatives oder qualitatives Bagatellisieren von Art, Ausmaß, Folgen oder Wertigkeiten einzelner oder der Gesamtheit nationalsozialistischer Gewaltmaßnahmen« ist. Doch ihre Bewertung der Püschel-Texte lässt nicht erkennen, dass sie sich daran hielten. Was anderes versucht Püschel? Er bezeichnet den Holocaust als »Mythos«, behauptet, dass der Nazi-Rassenwahn nicht sechs Millionen jüdische Opfer gefordert hat. Der NPD-ler verweist darauf, dass es im Vernichtungslager Birkenau »(in der Nähe der Krematorien) einen Sportplatz, ein modernes Krankenhaus mit 60 Ärzten, 300 Krankenschwestern« gab. Er palavert über die »Wahl-Entscheidung« von KZ- Insassen, die sich aussuchen konnten, ob sie sich der Evakuierung durch die SS anschließen wollten.
Derartige Beispiele lassen sich in Fülle finden. Und alles ist keine Volksverhetzung? Im Zweifel für den Angeklagten? Die Naumburger Richter billigen Püschel in allen Fällen das Grundrecht der freien Meinungsäußerung, also eines der höchsten Güter der Demokratie zu. Im Freispruch-Urteil sind Passagen wie diese zu finden: »Soweit der Angeklagte im Fall Auschwitz mit seinen Opferzahlen deutlich unter den heute offiziellen Opferzahlen bleibt, kann hierin kein verharmlosendes Herunterrechnen gesehen werden.« Die Richter werden nicht einmal stutzig, wenn Püschel schreibt: »Die seit Kindesbeinen gelernten deutschen Verbrechen sind Lügen!«
Auch wenn man sich Püschels Biografie anschaut, so kann man dessen Hetze nicht einfach durch ein Fingerzeig an die Stirn abtun. Der Mann war zu DDR-Zeiten als Ingenieur tätig, solidarisierte sich mit den Solidarność-Kollegen in Polen, wurde gemaßregelt. Er half zu Wendezeiten der regionalen SPD auf die Füße, regierte als Bürgermeister eine kleine Gemeinde, strebte nach höheren Ämtern, wurde von seinen Ge- nossen geblockt, gab nach 20 Jahren Mitgliedschaft sein Parteibuch ab – und lief über zur NPD.
Ex-Parteigenossen bezeichneten Püschel bereits damals als »politischen Geisterfahrer«, der nun als einer von drei rechtsextremistischen Bürgervertretern im Naumburger Kreistag sitzt. Rechtsextreme Provokation ist sein Lebensinhalt.
Püschel beschwert sich dennoch, wenn man ihn als Nazi-Propagandisten bezeichnet, findet aber nichts dabei, Deutschland die Hauptschuld am Zweiten Weltkrieg abzunehmen. Und dass die Familienpolitik unter Hitler nicht schlecht war, »wird man wohl noch sagen können«. In Pü- schels Welt sind die Deutschen die wirklichen Opfer, doch das dürfe man ja nicht aussprechen. Die Propagandalügen der Siegermächte überdeckten alles: »Wenn wir tausend Betonklötze in die Mitte Berlins stellen für ermordete Juden, dann gehörten doch mindestens dreitausend daneben für ermordete Deutsche.«
Die Äußerungen des Kommunalpolitikers zur Terrortruppe NSU sind mehr als nur indiskutabel. Dass man auf Püschel stößt, wenn man im NPDVerbotsantrag, den der Bundesrat im Namen aller Bundesländer bei den höchsten Verfassungsrichtern in Karlsruhe abgab, liest, kann nicht verwundern.
Man kommt kaum umhin, den Naumburger Freispruch als Skandal zu bezeichnen. Nicht nur, dass so der unteren Richterschaft die Windrichtung mitgeteilt wird. Die OLG-Richter unterließen jegliche Gesamtwürdigung der Aussagen des Angeklagten und billigen damit letztlich dessen revisionistische Grundhaltung.
Das Urteil habe »enorme Sprengkraft«, sagt David Begrich von der Arbeitsstelle Rechtsextremismus bei Miteinander e.V., im »nd«-Gespräch. Fortan, so warnt er, könne sich jeder ideologische Parteigänger Püschels auf diese Urteil berufen, wenn er den Völkermord an den Juden Europas oder andere Naziverbrechen leugnet. Begrich wundert sich sehr, dass es kaum politische Empörung und ebenso wenig juristische Bewertungen zu dem Urteil gibt. Kann man das möglicherweise auf die Parlamentsferien oder sonstige Urlaubsverpflichtungen zurückführen? Nicht nur.
Das Urteil ist nicht taufrisch, es erging bereits am 22. Oktober vergangenen Jahres. Still und heimlich. »Wir haben es nicht von uns aus publiziert«, bestätigte Gerichtspressesprecher Henning Haberland gegenüber »nd«. Auch, dass die Entscheidung bewusst nicht im Facharchiv Juris veröffentlicht wurde. Warum?
Gegenüber dem MDR hatte Haberland noch davon gesprochen, dass das Urteil ja nur »örtliche« Bedeutung habe. Gegenüber »nd« relativierte er die Aussage, betonte, man wollte »dem Angeklagten keinen Vorschub leisten« und »Missbrauch« nicht die Tür öffnen. Doch den kann es eigentlich gar nicht geben, folgt man dem Gericht, das behauptet, alles sei ja nur »eine Einzelfallentscheidung«.
Es gibt in Deutschland 24 Oberlandesgerichte. Das in Naumburg bewertete Volksverhetzung als freie Meinungsäußerung. Nicht nur in SachsenAnhalt hat man den Skandal verschlafen.