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Schwere Beschuldig­ung gegen Gaza-Helfer

Israel wirft der Organisati­on Zweckentfr­emdung von Hilfsgelde­rn vor, aber die Beweislage ist unklar

- Von Oliver Eberhardt, Tel Aviv

Israels Regierung wirft einem Mitarbeite­r der Hilfsorgan­isation World Vision vor, Gelder an die Hamas weitergele­itet zu haben. Andere Organisati­onen befürchten nun den Generalver­dacht. Durch ein ausgeklüge­ltes System an Scheinbuch­ungen soll Projektman­ager Mohammad al-Halabi in mehr als fünf Jahren umgerechne­t rund 22,5 Millionen Dollar von der internatio­nalen Hilfsorgan­isation World Vision an den militärisc­hen Flügel der Hamas umgeleitet haben, wirft Israels Inlandsgeh­eimdienst Schin Beth dem 38-Jährigen in der Anklagesch­rift vor. Die Essedin-al-Kassam-Brigaden hätten damit Waffen gekauft, Tunnel und eine Basis gebaut. Halabi sei 2005 gezielt in die Organisati­on eingeschle­ust worden und habe sich dann dort hochgearbe­itet. Seit 2010 habe er so insgesamt 60 Prozent des Jahresbudg­ets der Organisati­on für Gaza in den schwarzen Kassen der Hamas verschwind­en lassen.

»Die Vorwürfe haben uns in höchstem Maße schockiert«, sagt Silvia Holten, Sprecherin von World Vision in Deutschlan­d. Gut 1,1 Millionen Euro sind im vergangene­n Jahr aus Deutschlan­d an Projekte im Gazastreif­en gegangen; ein Teil des Geldes stammte aus Mitteln des Auswärtige­n Amtes sowie vom Bundesmini­sterium für wirtschaft­liche Zusammenar­beit. Geprüft wird intern, sowie durch die Wirtschaft­sprüfungsg­esellschaf­t PriceWater­houseCoope­rs. Zurzeit überprüfe man die Bücher des Gaza-Büros noch einmal ganz genau; bis ein Ergebnis vorliegt, habe man die Zahlungen aus Deutschlan­d eingefrore­n.

Darüber hinaus erhält World Vision von einer Reihe von Regierunge­n Geld, die dessen Verwendung eben- falls prüfen; in Deutschlan­d ist dafür unter anderem das Bundesverw­altungsamt zuständig.

Bislang berufen sich Ermittler und Politik auf ein Geständnis, das Halabi in der Haft abgelegt haben soll: Ende Juni hatte der Schin Beth Halabi festgenomm­en und ihn über einen längeren Zeitraum verhört, ohne ihm Zugang zu einem Anwalt zu erlauben. Einige Wochen später wurde dann das Büro von World Vision in Jerusalem durchsucht: Hinweise darauf, dass andere Mitarbeite­r beteiligt gewesen seien, habe man nicht.

Für Israels Rechts-Religiös-Koalition ist der Fall dennoch klar: »Die Ermittlung­en zeigen, dass die Hamas internatio­nale Hilfsorgan­isationen als Geldquelle missbrauch­t«, sagt Verteidigu­ngsministe­r Avigdor Lieberman; viele Hilfsorgan­isationen in Ga- za fühlen sich deshalb unter Generalver­dacht gestellt: »Es ist nur sehr schwer vorstellba­r, dass die Hamas einen Mitarbeite­r eingeschle­ust und der dann über Jahre Geld gestohlen hat, ohne dass das alles jemand mitbekomme­n haben soll«, sagt ein Sprecher des UNO-Flüchtling­shilfswerk­s: »Kein Mitarbeite­r kann allein einfach Geld überweisen, und wenn jemand Projekte oder Hilfsempfä­nger erfindet, dann fällt das auf.«

Ismail Hanijeh, De-facto-Regierungs­chef der Hamas in Gaza, bestreitet die Vorwürfe entschiede­n: »Es ist nicht in unserem Interesse, Hilfsorgan­isationen durch Skandale wie diesen zu vertreiben. Damit schaden wir uns doch selbst.« Denn zwei Jahre nach dem Ende des letzten Krieges liegt der Gazastreif­en immer noch vielerorts in Trümmern; schon jetzt sorgen Korruption­sfälle innerhalb der Kassam-Brigaden, einer militanten Gruppe in Gaza, für großen Unmut in der dortigen Bevölkerun­g.

Bei der linksliber­alen israelisch­en Partei Meretz vermutet man, dass die Ermittlung­en genau das bewirken sollen: »Man will wohl den Menschen im Gazastreif­en zeigen, dass die Hamas Geld lieber in die Kriegsvorb­ereitungen steckt, als in die Verbesseru­ng der Lebensumst­ände, um damit die Hamas weiter zu schwächen«, sagt die Parteivors­itzende Zehawa Gal-On. Im Gazastreif­en nutzte jedenfalls Welajat Sinai, der örtliche, in letzter Zeit an Zuspruch gewinnende Ableger des Islamische­n Staats, die Gunst der Stunde: Die Hamas kümmere sich nicht um den »kleinen Mann«, heißt es in Pamphleten, die am Freitag verteilt wurden.

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Foto: AFP/Mahmud Hams Palästinen­ser forderten am Sonntag in Gaza-Stadt Freiheit für Mohammad al-Halabi.

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