Schwere Beschuldigung gegen Gaza-Helfer
Israel wirft der Organisation Zweckentfremdung von Hilfsgeldern vor, aber die Beweislage ist unklar
Israels Regierung wirft einem Mitarbeiter der Hilfsorganisation World Vision vor, Gelder an die Hamas weitergeleitet zu haben. Andere Organisationen befürchten nun den Generalverdacht. Durch ein ausgeklügeltes System an Scheinbuchungen soll Projektmanager Mohammad al-Halabi in mehr als fünf Jahren umgerechnet rund 22,5 Millionen Dollar von der internationalen Hilfsorganisation World Vision an den militärischen Flügel der Hamas umgeleitet haben, wirft Israels Inlandsgeheimdienst Schin Beth dem 38-Jährigen in der Anklageschrift vor. Die Essedin-al-Kassam-Brigaden hätten damit Waffen gekauft, Tunnel und eine Basis gebaut. Halabi sei 2005 gezielt in die Organisation eingeschleust worden und habe sich dann dort hochgearbeitet. Seit 2010 habe er so insgesamt 60 Prozent des Jahresbudgets der Organisation für Gaza in den schwarzen Kassen der Hamas verschwinden lassen.
»Die Vorwürfe haben uns in höchstem Maße schockiert«, sagt Silvia Holten, Sprecherin von World Vision in Deutschland. Gut 1,1 Millionen Euro sind im vergangenen Jahr aus Deutschland an Projekte im Gazastreifen gegangen; ein Teil des Geldes stammte aus Mitteln des Auswärtigen Amtes sowie vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit. Geprüft wird intern, sowie durch die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PriceWaterhouseCoopers. Zurzeit überprüfe man die Bücher des Gaza-Büros noch einmal ganz genau; bis ein Ergebnis vorliegt, habe man die Zahlungen aus Deutschland eingefroren.
Darüber hinaus erhält World Vision von einer Reihe von Regierungen Geld, die dessen Verwendung eben- falls prüfen; in Deutschland ist dafür unter anderem das Bundesverwaltungsamt zuständig.
Bislang berufen sich Ermittler und Politik auf ein Geständnis, das Halabi in der Haft abgelegt haben soll: Ende Juni hatte der Schin Beth Halabi festgenommen und ihn über einen längeren Zeitraum verhört, ohne ihm Zugang zu einem Anwalt zu erlauben. Einige Wochen später wurde dann das Büro von World Vision in Jerusalem durchsucht: Hinweise darauf, dass andere Mitarbeiter beteiligt gewesen seien, habe man nicht.
Für Israels Rechts-Religiös-Koalition ist der Fall dennoch klar: »Die Ermittlungen zeigen, dass die Hamas internationale Hilfsorganisationen als Geldquelle missbraucht«, sagt Verteidigungsminister Avigdor Lieberman; viele Hilfsorganisationen in Ga- za fühlen sich deshalb unter Generalverdacht gestellt: »Es ist nur sehr schwer vorstellbar, dass die Hamas einen Mitarbeiter eingeschleust und der dann über Jahre Geld gestohlen hat, ohne dass das alles jemand mitbekommen haben soll«, sagt ein Sprecher des UNO-Flüchtlingshilfswerks: »Kein Mitarbeiter kann allein einfach Geld überweisen, und wenn jemand Projekte oder Hilfsempfänger erfindet, dann fällt das auf.«
Ismail Hanijeh, De-facto-Regierungschef der Hamas in Gaza, bestreitet die Vorwürfe entschieden: »Es ist nicht in unserem Interesse, Hilfsorganisationen durch Skandale wie diesen zu vertreiben. Damit schaden wir uns doch selbst.« Denn zwei Jahre nach dem Ende des letzten Krieges liegt der Gazastreifen immer noch vielerorts in Trümmern; schon jetzt sorgen Korruptionsfälle innerhalb der Kassam-Brigaden, einer militanten Gruppe in Gaza, für großen Unmut in der dortigen Bevölkerung.
Bei der linksliberalen israelischen Partei Meretz vermutet man, dass die Ermittlungen genau das bewirken sollen: »Man will wohl den Menschen im Gazastreifen zeigen, dass die Hamas Geld lieber in die Kriegsvorbereitungen steckt, als in die Verbesserung der Lebensumstände, um damit die Hamas weiter zu schwächen«, sagt die Parteivorsitzende Zehawa Gal-On. Im Gazastreifen nutzte jedenfalls Welajat Sinai, der örtliche, in letzter Zeit an Zuspruch gewinnende Ableger des Islamischen Staats, die Gunst der Stunde: Die Hamas kümmere sich nicht um den »kleinen Mann«, heißt es in Pamphleten, die am Freitag verteilt wurden.