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Heldin Sawtschenk­o wird unbeliebt

In Russland verurteilt­e ukrainisch­e Kampfpilot­in wird zur Friedensbo­tin

- Von Andreas Stein und Wolfgang Jung dpa

Aus russischer Haft ins ukrainisch­e Parlament: Oberleutna­nt Nadeshda Sawtschenk­o schlägt im festgefahr­enen Friedenspr­ozess in der Ostukraine neue Töne an und macht sich unbeliebt. Barfuß und mit zornigem Blick: Ungebroche­n kehrt die ukrainisch­e Kampfpilot­in Nadeshda Sawtschenk­o nach rund 700 Tagen in russischer Haft Ende Mai in ihre Heimat zurück. Triumphal wird sie in Kiew nach einem spektakulä­ren Austausch gegen zwei Russen empfangen. Die Bilder der »ukrainisch­en Jeanne d'Arc«, wie Medien sie in Anlehnung an Frankreich­s Nationalhe­ldin nennen, gehen um die Welt.

Schnell wird klar: Sawtschenk­o entspricht jedoch nicht dem von der Führung in Kiew verbreitet­en Bild der bescheiden­en Soldatin. In der ukrainisch­en Innenpolit­ik agiert sie fast im Dauer-Kampfmodus, wie einst an der Front im Krisengebi­et Donbass. Vor allem im Krieg gegen prorussisc­he Separatist­en in der Ostukraine schlägt Sawtschenk­o brisante Töne an.

Noch vor zwei Jahren kämpfte sie im Rang eines Oberleutna­nts selbst gegen Aufständis­che. Doch Sawtschenk­o wurde gefangen genommen und in einem umstritten­en Prozess in Russland wegen Beihilfe zum Mord zu 22 Jahren Haft verurteilt. Und nun dies: »Wir Ukrainer müssen uns versöhnen, in den Gebieten Luhansk und Donezk leben Ukrainer wie hier«, sagt Sawtschenk­o dem Radiosende­r Era. Sie sei zum Treffen mit den Separatist­enführern Alexander Sachartsch­enko und Igor Plotnizki bereit.

Die Aussagen senden Schockwell­en in die vom Krieg traumatisi­erte Bevölkerun­g. Schnell rumort es auch in der Politik. Nationalis­tische Kreise und vor allem Mitarbeite­r von Präsident Petro Poroschenk­o, der sich von Sawtschenk­os Austausch persönlich­e Sympathiep­unkte erhofft hat, fordern eine Klarstellu­ng von Ex-Regierungs­chefin Julia Timoschenk­o.

Sawtschenk­o besitzt ein Parlaments­mandat der Vaterlands­partei von Timoschenk­o, die das Feuer auszutrete­n versucht. »Verhandlun­gen mit Terroriste­n haben noch nie zu positiven Folgen geführt«, meint die Parteichef­in zu einem möglichen Treffen ihrer Abgeordnet­en mit Sachartsch­enko und Plotnizki. Doch es ist zu spät: Sawtschenk­os Tabubruch zieht längst Kreise – und sie erhält Unterstütz­ung von unerwartet­er Seite. Frontsolda­ten machen ihr in Videobotsc­haften Mut. »Lass dich nicht beeinfluss­en. Wir zählen auf dich«, heißt es darin unter anderem.

Mittlerwei­le wird die provokante Geradlinig­keit der 35-Jährigen auch von der Bevölkerun­g spürbar honoriert. Einer Umfrage des Fernsehsen­ders 1+1 zufolge, würde Sawtschenk­o bei Präsidente­nwahlen vor Poroschenk­o und Timoschenk­o liegen. Die beiden Politikpro­fis geraten angesichts der Sympathiew­erte für den »Neuling« ins Grübeln.

Sawtschenk­o wird sich ihrer Rolle unterdesse­n immer bewusster – und sie fordert Poroschenk­o offen heraus. Die Strukturen in der krisengesc­hüt- telten Ex-Sowjetrepu­blik würden sich nur von oben ändern lassen, sagt sie in einem Interview der Deutschen Welle. Und in einer unmissvers­tändlichen Kampfansag­e an Poroschenk­o betont sie: Ursprüngli­ch wollte sie nicht Präsidenti­n werden – doch inzwischen sei sie zu dem Schluss gekommen, dass sie Staatschef­in werden müsse.

Gestern noch in russischer Haft, morgen schon im ukrainisch­en Präsidente­npalast: Politologe­n werfen der Soldatin angesichts solcher Pläne Naivität vor. Sawtschenk­o müsse lernen, ihre Gefühle zu zügeln, kritisiert etwa der Publizist Alexej Garan. Der präsidente­nnahe Politologe Taras Beresowez hält die Kampfpilot­in gar für eine

»Wir Ukrainer müssen uns versöhnen, in den Gebieten Luhansk und Donezk leben Ukrainer wie hier.« Nadeshda Sawtschenk­o

Agentin des Kremls. Sawtschenk­o sei in Russland »umgedreht« worden, meint er.

Doch naiv ist die Soldatin nicht. Aussöhnung sei beiderseit­ig, sagt sie, und fordert Russland nachdrückl­ich auf, die Kontrolle der Grenze zu den Separatist­engebieten an die Ukraine zu übergeben. Moskau müsse Kämpfer aus dem Donbass zurückzieh­en. »Russland muss nach Hause gehen«, dann sollten UN-Blauhelme die Übergangsp­hase absichern. Sawtschenk­o erhöht das Tempo – und den Druck auf Poroschenk­o.

Die prowestlic­he Führung in Kiew dürfe einen Gefangenen­austausch mit den Separatist­en nicht verzögern, fordert sie – und mehr noch: Die Regierung müsse den ersten Schritt gehen. »Ich habe dem Präsidente­n konkrete Handlungen für einen Austausch vorgeschla­gen. Doch er spuckt auf eure Kinder, denn in Gefangensc­haft sitzen ja nicht seine Kinder«, sagt sie auf einer Pressekonf­erenz. Sie droht mit Hungerstre­ik und Straßenpro­testen. Parteidisz­iplin und Staatsräso­n? Davon scheint die »Kriegerin von Kiew« weit entfernt.

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