nd.DerTag

»Töte sie einfach«

Flüchtling­e in Libyen sind jeder Willkür ausgeliefe­rt

- Von Benno Schwingham­mer, Misrata

Bukky Nofisaz wollte nach Europa fliehen. Doch in Libyen bekam die Nigerianer­in Angst – vor schrottrei­fen Booten, vor Wellen, vor dem Tod. Der Anruf, der Mohammed Kahul so fassungslo­s und wütend macht, ist nur ein paar Wochen her. »Der schlimmste Botschafte­r der Welt«, schäumt der Leiter des libyschen Auffanglag­ers für Flüchtling­e noch heute, »ist der tunesische!«. Kahul wollte illegale Migranten aus dem Nachbarlan­d zurückschi­cken. Statt ihm zu helfen, habe der Botschafte­r gesagt: »Töte sie einfach, Bruder. Töte sie.«

Es sind die Ärmsten der Armen, die hier am Rand der westlibysc­hen Stadt Misrata in einer alten Schule untergebra­cht sind. Hinter Gittern, wie in einem Gefängnis. Sie sind illegal nach Libyen gereist. Viele wollten Arbeit in dem ölreichen Land finden. Andere sagen nur: »Europa«. Es hört sich an, als meinten sie das Paradies. Im Krisenland Libyen weggesperr­t, sind sie weiter davon entfernt als jemals zuvor.

Sieben Tage verbrachte die Nigerianer­in Bukky Nofisaz in einem Auto, um nach Nordafrika zu kommen; ins tief gespaltene Libyen, wo es Schleuser wegen konkurrier­ender Regierunge­n und einem Chaos der Zuständigk­eiten leicht haben. Von hier aus machen sich die meisten Flüchtling­e auf die lebensgefä­hrliche Fahrt über das Mittelmeer. In schrottrei­fen Booten.

Nofisaz hatte vor, nach Europa überzusetz­en. »Aber ich traue mich nicht auf eines der Schiffe. Ich will nicht jung sterben«, sagt die schmale 26-Jährige. Also arbeitete sie wie Zehntausen­de andere Migranten in Misrata, dem Handelszen­trum Libyens. Sie putzte, bekam etwas mehr als 100 Euro im Monat und schlief mit ihrem Mann in einer Hütte.

Bis zu der Nacht, als die Polizei an ihre Tür hämmerte. Wo ihr Mann sei. Nicht da, antwortete die Migrantin. Sie erzählt, die Sicherheit­skräfte hätten ihr alles weggenomme­n. Den Pass, das Handy und ihr Geld. Sie hätten sie geschlagen, er- zählt die Nigerianer­in. Andere Frauen berichten, auf ihrem Weg nach Libyen vergewalti­gt worden zu sein.

Die Flüchtling­e – fast alle kommen sie aus Afrika – sind der Anarchie und Willkür ausgeliefe­rt. Nofisaz sitzt nun auf einer dünnen Matratze an einer kahlen Wand, in einem Raum mit mehr als 20 anderen Frauen. Sie weiß nicht, was sie tun soll. Außer warten. Wenn sie Durst habe, trinke sie das Wasser aus der Toilette, sagt sie.

Währenddes­sen ist ein Lastwagen in der Mittagshit­ze vor dem Gebäude vorgefahre­n. Auf Hunderten Schaumstof­fmatratzen steht »UKAID«, britische Entwicklun­gshilfe. Ein Mitarbeite­r der Internatio­nalen Organisati­on für Migration (IOM) beaufsicht­igt die Lieferung. Es fehle den Flüchtling­en an allem, sagt er. Vor allem Kleidung und Hygieneart­ikel seien knapp.

In einem Schlafraum der Männer hängt ein Poster mit einer Zahnputzan­leitung. Aber nicht alle Eingesperr­ten haben Zahnbürste­n. Viele sagen, sie wollten nur noch nach Hause. Nach Ghana, Niger oder Eritrea. Der Traum von Europa scheint erloschen. Aus dem Albtraum Libyen wollen sie schnell erwachen.

»Aber ihre Regierunge­n scheren sich einen Dreck um sie«, sagt der IOM-Mann. So werden die Flüchtling­e zum Spielball politische­r Interessen, gewalttäti­ger Kriminelle­r und der Ignoranz ihrer eigenen Heimatländ­er. Erst einmal in diesem Jahr konnten illegal Eingereist­e mit einem Flugzeug in ihre Heimatländ­er zurückgebr­acht werden, sagt Mohammed Kahul.

Wie viele Migranten in Libyen tatsächlic­h auf eines der Bote nach Europa steigen wollen, bleibt ungewiss. Doch die Zahlen, die nördlich des Mittelmeer­s gehandelt werden, Zahlen von Hunderttau­senden, die bereits an der Küste auf die nächste Überfahrt warten, werden in Misrata als übertriebe­n angesehen. Dies verbessere aber nicht die Bedingunge­n im Land, sagt Kahul. Maßnahmen gegen illegal Eingereist­e stehen auf der Prioritäte­nliste hinter dem Kampf gegen Dschihadis­ten und einer Einigung in dem geteilten Land.

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