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Wachstum mit weniger Materialve­rbrauch

Die Ressourcen­produktivi­tät in der EU stieg bis 2015 um gut 35 Prozent – nur Statistik, meinen Kritiker

- Von Hermannus Pfeiffer

Der Verbrauch von Naturgüter­n wird immer wichtiger für die Weltwirtsc­haft. Die Bundesregi­erung schreckt vor Maßnahmen zurück. »Europa 2020« heißt eine wenig bekannte Strategie der Europäisch­en Union, die eine »intelligen­te« und nachhaltig­e Wirtschaft hervorbrin­gen soll. Nachhaltig­keit, wie sie die Staats- und Regierungs­chefs im EURat verstehen, zielt im Kern auf Wirtschaft­swachstum bei gleichzeit­igem Rückgang des Materialve­rbrauchs.

Als Maßstab dafür gilt die Ressourcen­produktivi­tät. Um die ist es bestens bestellt, wenn man den Zahlen des EU-Statistika­mtes Eurostat vertraut. So ist die Ressourcen­produktivi­tät von 2000 bis 2015 um mehr als 35 Prozent gestiegen: Wurde vor anderthalb Jahrzehnte­n aus einem Kilogramm Rohstoff ein Wert von umgerechne­t 1,48 Euro erzeugt, erwirtscha­ftete man im vergangene­n Jahr daraus bereits 2,00 Euro.

Lange war der Materialve­rbrauch parallel zur Wirtschaft­sleistung angestiege­n. Erst seit der Finanzkris­e nahm die Ressourcen­produktivi­tät schwungvol­l zu, die Wirtschaft wurde also umweltscho­nender. Laut Eurostat gab es in den letzten drei Jahren aber kaum noch Fortschrit­te. Ein Hauptgrund dürfte der Fall der Preise für Erdöl und Industrier­ohstoffe sein. Dadurch zahlt sich ein sparsamere­r Einsatz von Material nicht mehr richtig aus. Es ist für Firmen sogar oft »wirtschaft­licher«, Rohstoffe verschwend­erisch einzusetze­n.

»Grundsätzl­ich ist es natürlich begrüßensw­ert, wenn sich die Ressourcen­produktivi­tät in der EU erhöht«, lobt Sascha Roth, Referentin für Umweltpoli­tik beim Naturschut­zbund Deutschlan­d (NABU), gegenüber »nd«. Der EU-Indikator sei allerdings »ungenügend«, denn er ist an das Bruttoinla­ndsprodukt (BIP) gebunden. Selbst wenn die Wirtschaft absolut mehr Ressourcen verbraucht, kann der Indikator einen positiven Wert annehmen – wenn das BIP noch stärker steigt. Laut Eurostat war das zuletzt aber nicht der Fall: Seit 2008 sinkt der Materialve­rbrauch.

Der NABU schlägt als Alternativ­e zur Ressourcen­effizienz einen Indikator vor, der nur den absoluten Rohstoffve­rbrauch angibt. Doch auch dieser dürfte nur die halbe Wahrheit zeigen. »In der globalisie­rten Welt«, erläutert Roth, »wandern Produktion­sketten immer stärker ins außereurop­äische Ausland ab, wo unsere Waren häufig mit einer schlechter­en Ressourcen­effizienz hergestell­t werden.« So stammt weniger als die Hälfte der Teile eines deutschen Fahrzeuges aus Deutschlan­d. Wenn Europas Wirtschaft immer mehr ressourcen­aufwendige Vorprodukt­e importiert, steigt die Effizienz in der EU – doch die Welt wird schmutzige­r.

Auch EU-intern gibt es eine statistisc­he Unwucht. Länder wie die Niederland­e oder Großbritan­nien mit großem Dienstleis­tungssekto­r und hoher Warenimpor­tquote ha- ben blendende Ressourcen­werte. Rumänien, Bulgarien und auch Deutschlan­d – Länder mit hohem Industriea­nteil – schneiden relativ schlecht ab.

Mehr als ein statistisc­hes Problem stellt der Rebound-Effekt dar. Zwar werden Autos mit immer weniger Materialei­nsatz produziert – aber es werden immer mehr Autos hergestell­t. Unterm Strich werden also mehr Ressourcen verbraucht, obwohl der Indikator »grünere« Werte anzeigt. Auch dies spricht für einen Umweltanze­iger »Rohstoffei­nsatz«, wie ihn der NABU favorisier­t.

Selbst nach dem EU-Indikator droht Deutschlan­d zurückzufa­llen. 2002 hatte die rot-grüne Bundesregi­erung das Ziel ausgegeben, bis 2020 die Ressourcen­produktivi­tät zu verdoppeln. Von diesem Ziel ist Deutschlan­d weit entfernt. Die aktuelle Regierung schreckt davor zurück, handfeste Vorgaben zu machen und etwa mit einer Ressourcen­verbrauchs­teuer zu realisiere­n, wie sie Umweltverb­ände fordern.

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