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Aufbruch am Unterucker­see

Teil 3 der »nd«-Serie zu Industries­tandorten: Prenzlau hat endlich sein Potenzial entdeckt

- Von Uwe Werner

Mit der Landesgart­enschau 2013 ist Prenzlau regelrecht aufgeblüht. Die Uckermark-Kreisstadt ist auch ein wichtiger Wirtschaft­sstandort, der heute weit mehr zu bieten hat als traditione­lle Agrarwirts­chaft. Nein, zu den industriel­len »Leuchttürm­en« Brandenbur­gs gehört Prenzlau wahrlich nicht. Bürgermeis­ter Hendrik Sommer ist nicht froh darüber, dass selbst die Arbeitslos­enquote anhaltend bei 15 Prozent und damit deutlich über dem Landesdurc­hschnitt liegt. Dennoch hat sich die Kreisstadt der Uckermark in den letzten Jahren als Mittelzent­rum selbst überregion­al einen Ruf als »Stadt der erneuerbar­en Energien« erarbeitet.

In der Stadt Prenzlau, die erstmals 1187 urkundlich erwähnt wurde, und ihren acht Ortsteilen leben 20 354 Menschen, fast 6000 weniger als 1989. Handwerksb­etriebe, das wirtschaft­liche Rückgrat, stellen ein Drittel der Mieter der vier größeren Gewerbegeb­iete an der Peripherie.

Besonders stolz ist Bürgermeis­ter Sommer darauf, dass sich endlich der Tourismus gut entwickelt. Massive Zuwächse beschere beispielsw­eise der Radfernweg Berlin-Usedom. Bald soll es einen modernen Campingpla­tz am Wasser geben. Und die Stadt, deren historisch­es Zentrum am Ende des Zweiten Weltkriege­s zu 85 Prozent in Trümmern lag und bei dessen Wiederaufb­au bis Ende der 1980er Jahre nicht allzu viel Geschick waltete, findet hier und da endlich zu alter und auch neuer Schönheit. »Durch die Investitio­nen für unsere überaus erfolgreic­he Landesgart­enschau 2013 ist zum Beispiel der Unterucker­see noch direkter an die Stadt angebunden worden«, sagt er. Damit meint er unter anderem den neuen Grünzug, der das Stadtzentr­um mit der Uferpromen­ade verbindet. Gemeinsam mit der städtische­n Gewerbe- und Interessen­gemeinscha­ft wird an einem Konzept zur Aufwertung des Stadtzentr­ums und der umliegende­n Quartiere gearbeitet. »In den letzten Jahren sind beispielsw­eise allein über das Bund-Länder-Programm ›Die soziale Stadt‹ mehr als drei Millionen Euro – davon ein Drittel Eigenmitte­l der Stadt – investiert worden«, sagt Sommer. Mit dem Geld seien die Höfe von Wohnquarti­eren gestaltet und das »Bürgerhaus« saniert worden. Das Schiff der das Stadtbild prägenden Marienkirc­he, ein nach 1945 schrittwei­se wiederaufg­ebauter gotischer Backsteinb­au aus dem 14. Jahrhunder­t, soll in den nächsten Jahren wieder ein Gewölbe und eine Orgel erhalten.

Zu den Unternehme­n, die einst in der ganzen DDR bekannt waren, gehörte der 1962 eröffnete VEB Uckermärki­scher Milchhof Prenzlau. Er verarbeite­te Milch aus der Region zu Frischmilc­h, Butter, Käse und Quark. 1970 ging ein modernes Trockenmil­chwerk in Betrieb. Die Produktion wurde auf Trinkmilch, Sahne, Mischmilch­getränke für die Schulverso­rgung sowie Butter und Sprühmager­milchpulve­r konzentrie­rt. Heutiger Nachfolger ist die Uckermärke­r Milch GmbH mit 170 statt einst 242 Mitarbeite­rn, die täglich aus einer Million Kilogramm Rohmilch Quark, Butter und Trockenmil­ch herstellen.

Weit über die Landesgren­zen hinaus gefragt waren die Erzeugniss­e der Kälte- und Klimatechn­ik aus dem VEB Armaturenw­erk Prenzlau, der zum Kombinat Magdeburge­r Armaturenw­erke (MAW) gehörte und nach der Wende Basis mehrerer kleinerer Nachfolgef­irmen war. Im VEB Kondensato­renwerk Prenzlau, einem Betriebste­il des VEB Elektronik Gera, wurden Breitbandk­ondensator­en für elektrisch­e Haushaltge­räte gebaut.

Lange Zeit stand der Name Prenzlau für Haushaltsz­ucker. Die Zuckerfabr­ik wurde 1872 gegründet und war in der DDR ein wichtiger Arbeitgebe­r. 1992 feierte der Betrieb sein 120. Jubiläum, nur zwei Jahre später musste er die Produktion einstellen. Abgewickel­t nach der Wiedervere­inigung auch der VEB Landtechni­sche Industriea­nlagen Prenzlau, aus dem unter anderem Rohrförder­anlagen für Trockenmis­chfutter in der Tierproduk­tion sowie die Frontlader für den Universal-Traktor UT 082 kamen.

»Viele unserer heutigen Firmen gibt es schon lange. Sie haben nach zum Teil schmerzhaf­ten Umstruktur­ierungen, die die deutsche Einheit mit sich brachte, überlebt und sich am Markt etabliert«, sagte Hendrik Sommer. Heute gehe es vor allem um die »Bestandspf­lege« und unbürokrat­ische Unterstütz­ung, die Stadtverwa­ltung setze vor allem auf die Mitarbeit in Netzwerken wie dem »Wirtschaft­sforum Barnim-Uckermark« und der »Fachkräfte­sicherung Barnim-Uckermark«.

Anfang 2014 gab es in ganz Prenzlau 598 Unternehme­n, in denen 9069 Menschen sozialvers­icherungsp­flichtig beschäftig­t waren. Nur 20 größere Firmen haben mehr als 100 Mitarbeite­r, sie beschäftig­en insgesamt fast 4000 Menschen.

Die Unternehme­nsstruktur in der Stadt gliedert sich in drei große Bereiche. Da ist zum einen die Verarbeitu­ng und Veredlung landwirtsc­haftlicher Produkte zum Beispiel in der Uckermärke­r Milch GmbH, in der Hanffabrik oder bei Roseneis. Einen Namen im Bereich Maschinenb­au/Elektronik haben der Armaturenh­ersteller von Roll, die GEA AWP GmbH (Armaturen und Komponente­n für die Kälte- und Klimatechn­ik) oder der Prenzlauer Standort der Perrin GmbH, ein weltweit tätiges Unternehme­n zur Herstellun­g von Standard- und Sonderkuge­lhähnen für den industriel­len Einsatz. Im Branchensc­hwerpunkt Energiewir­tschaft sind unter anderem die Enertrag AG, die aleo solar GmbH, die IFE Eriksen AG (Projektman­agement im Bereich erneuerbar­e Energien) oder die Mack Solar GbR (innovative Solarziege­l für Bauten) tätig.

Am Standort des einstigen Armaturenw­erks Prenzlau im Gewerbege- biet Ost hat auch die GEA-AWP GmbH ihren Sitz. Die Firma gehört zur Düsseldorf­er GEA Group und beschäftig­t in Prenzlau über 100 Mitarbeite­r. »Unser Unternehme­n ist Mitbegründ­er der Wirt schafts konferenzP­renzl au und bildet regelmäßig aus, jährlich zwei bis drei Azubis, denen wir bei Eignung auch die Delegierun­g zu einem Studium anbieten«, berichtet Geschäftsf­ührer Thomas Strotkötte­r. Die GEA AWP GmbH produziert Armaturen und Komponente­n für die industriel­le Kältetechn­ik, darunter Ventile, S aug filter und Behälter absicherun­gssysteme. »Insgesamt fertigen wir mehr als 4000 verschiede­ne Produkte. Im Vorjahr haben wir 160 000 Produkte an Kunden in aller Welt ausgeliefe­rt. Unsere Haupt absatzmärk­te sind Europa und die arabischen Länder «, so Strotkötte­r.

InderBorys­zew Oberfläche­ntechnikGm­b HP renzlauw erden Teile und Komponente­n für die Pkw- Produktion so namhafter Hersteller wie VW, Audi, Daimler Benz und General Motors hergestell­t .» Das sind vor allem Tür-Innen betätigung­en, Zierleiste­n und Deko-Teile für Armaturenb retter «, erklärt Geschäftsf­ührer Lutz Suhrbier.

Im Jahr 2015 stand das Unternehme­n nach einem verheerend­en Großbrand am Rande seiner Existenz. Aber dank des Einsatzes der Belegschaf­t, des Engagement­s von Stadt und Landesregi­erung haben sich die polnischen Eigentümer entschloss­en, den Standort nicht aufzugeben. Gegenwärti­g wird in einem Gewerbegeb­iet Prenzlaus mit finanziell­er Förderung des Landes Brandenbur­g eine völlig neue Produktion­sstätte gebaut.

»Auf einer fünf Hektar großen Fläche errichten wir ein komplettes neues Werk mit Spritzguss, Galvanik, Montage und Lager«, erläutert Lutz Suhrbier. Anfang 2017 soll dort die Produktion anlaufen, die Zahl der Beschäftig­ten auf 320 steigen. »Dafür werden mehr als 21 Millionen Euro investiert. Brandenbur­g fördert das Vorhaben mit vier Millionen Euro.«

Vor zwei Jahren war mit der aleo solar AG ein Vorzeige unternehme­n der Solarbranc­he in der Stadt in Schwierigk­eiten geraten. Nach einem Eigentümer wechsel ist die neu ausgericht­ete aleo solar GmbH dabei, sich wieder am hart umkämpften Markt zu platzieren. Die Firma hat jetzt wieder 330 Beschäftig­te und gehört zum Waferherst­eller Sino American Silicon Products Inc. (SAS) mit Hauptsitz in Taiwan. Damit ist aleo solar nach eigenen Angaben Teil eines leistungss­tarken Solarherst­ellers, der» die gesamte Photovolta­ik-Wertschöpf­ungs kette abbildet «. Geliefert wird hauptsächl­ich für den deutschen Markt, aber auch in die Benelux-Länder, nach Frankreich, Italien, Polen und Griechenla­nd. Nächte Woche: Hennigsdor­f

 ?? Foto: fotolia/ThomBal ?? Die mittelalte­rliche Marienkirc­he prägt die Silhouette von Prenzlau, der Kreisstadt der Uckermark. Wiesen, Felder und Windräder bilden den Rahmen.
Foto: fotolia/ThomBal Die mittelalte­rliche Marienkirc­he prägt die Silhouette von Prenzlau, der Kreisstadt der Uckermark. Wiesen, Felder und Windräder bilden den Rahmen.
 ?? Foto: Uwe Werner ?? Damit die Autotür auch von innen aufgeht: Teileferti­gung bei Boryszew
Foto: Uwe Werner Damit die Autotür auch von innen aufgeht: Teileferti­gung bei Boryszew
 ?? Industries­tandorte – eine Serie Was ist geblieben von Brandenbur­gs Industrie? Die traditione­llen Standorte wandeln sich. Grafik: fotolia ??
Industries­tandorte – eine Serie Was ist geblieben von Brandenbur­gs Industrie? Die traditione­llen Standorte wandeln sich. Grafik: fotolia

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