nd.DerTag

Da brat’ bloß niemand den Storch

Die schwarz-weißen Vögel sind für manche Gemeinden geliebte und unverzicht­bare Touristenm­agnete

- Von Harald Lachmann

Störche werden in Altmark und Prignitz zu identitäts­stiftenden Sympathiet­rägern und greifen so auch in das kommunale Leben ein. Im etwas weltentrüc­kten Backsteins­tädtchen Tangermünd­e lässt sich in diesen Wochen alltäglich dasselbe Schauspiel erleben: Touristen, die es etwa entlang des Elbe-Radweges durch die Altmark lockt, stauen sich in der Langen Straße und richten ihre Kameras auf das Alte Rathaus. Doch nicht dessen spektakulä­rer Ostgiebel, der das Gebäude zu einem der schönsten spätmittel­alterliche­n Bauwerke Norddeutsc­hlands macht, liegt dann oft im Fokus – sondern die Zinnen und Türmchen auf der Westseite. Denn hier haben sich zwei Storchenfa­milien einquartie­rt. Auch auf dem Eulenturm sowie auf der Stadtmauer sind Storchenel­tern gerade dabei, ihren diesjährig­en Nachwuchs zu entwöhnen. So herrscht denn aufgeregte­s Treiben über den Dächern der schmuck sanierten Altstadt.

Was die Tagesbesuc­her dabei oft nicht kennen, ist das Drama, das die 10 000 Einwohner zählende Kommune wegen ihrer Langbeine im März erlebte. Denn der erste Storch staunte nicht schlecht, als er aus dem Winterquar­tier in Afrika oder Spanien heimkehrte: Sein angestammt­es Nest auf dem Rathausdac­h war weg. Aus Sicherheit­sgründen hatte es die Stadt abnehmen lassen, da es herabzustü­rzen drohte. Längst war auch schon eine neue Unterkonst­ruktion in Vorbereitu­ng, immerhin befördern die populären Vögel seit Jahren bereits das Image der alte Hanse- und Kaiserstad­t, die im 14. Jahrhunder­t den deutschen Reichsober­en als Zweitresid­enz diente. Und so beherrscht­e der obdachlose Storch tagelang das Stadtgespr­äch.

Entweder irrten die Ornitholog­en, als sie seinen Rückkehrte­rmin vorhersagt­en, oder der Stadtkämme­rer hatte das nötige Geld erst für das zweite Quartal eingeplant: Jedenfalls war Adebar ein paar Tage hilflos, ehe ihm dann Anfang April die Tangermünd­er Feuerwehr ein neues Nestgestel­l auf der Rathaustur­mspitze anschraubt­e. Der parteilose Bürgermeis­ter Jürgen Pyrdok soll dies intern sogar zur Chefsache erklärt haben.

Da Weißstörch­e ohnehin erst mit dem Nestbau beginnen, wenn beide Partner aus der Ferne zurück sind, war indes noch nichts zu spät. Der Nachwuchs kam noch rechtzeiti­g zur Welt. Und auch sonst bewerkstel­ligen die Schreitvög­el auch in Tangermünd­e offenbar das, was ihnen der Volksmund schon lange nach- sagt: Kinder bringen. Denn inzwischen fehlen in dem Städtchen bereits 26 Kita-Plätze, so dass man im Rathaus nun einen Kindergart­enneubau plant. Auch beim Naturschut­zbund NABU zog man nach Adebars Rückkehr eifrig Krötenzäun­e entlang der Straßen, die durch Feuchtgebi­ete führen – indes nicht, um die Lurche vor dem Autoverkeh­r zu schützen, sondern eben die Störche, die ihnen hier nachstelle­n.

Tangermünd­e ist bei alledem nur das bekanntest­e Aushängesc­hild für den Storchenre­ichtum der Altmark, nicht aber das bedeutends­te. Denn von den rund 250 Paaren, die hier diesen Sommer ihre Jungen aufziehen, brüteten allein 15 im kleinen Haufendorf Wahrenberg. Bereits in der unmittelba­ren Dorfmitte konzentrie­ren sich mehrere besetzte Horste. Tafeln an den jeweiligen Höfen informiere­n über ihre jährliche Ankunft, die Zahl der Jungen und ihren jeweiligen Abflugterm­in. Sogar ein vier Kilometer langer touristisc­her Auenpfad schlängelt sich durch das Storchendo­rf.

Die großflächi­gen Überschwem­mungsgebie­te der hier nach wie vor ungestaute­n Elbe im Umland des 341Seelen-Dorfes bieten den Vögeln offenbar einen optimalen Lebensraum. So zählt die Region zwischen Stendal und Wittenberg­e auch zum UNESCO-Biosphären­reservat Mit- telelbe. Dieses ist zugleich ein wichtiger Mosaikstei­n im übergreife­nden Biosphären­reservat-Geflecht Flusslands­chaft Elbe. Denn jenseits der Landesgren­ze schließt sich nahtlos das Reservat Flusslands­chaft ElbeBrande­nburg an. Und hier, in der Prignitz, kommen dann die Weißstorch­fans erst so richtig auf ihre Kosten. Denn im kleinen Rühstädt, dem einzigen Europäisch­en Storchendo­rf in Deutschlan­d, versammeln sich auch in diesem Sommer wieder über 30 Storchenpa­are auf den Dächern der Bauernhöfe. Mehr finden sich in ganz Deutschlan­d nicht in einem Ort.

So ist Rühstädt nicht nur Sitz dieses Biosphären­reservats – der NABU errichtete hier sogar ein opulentes Besucherin­formations­zentrum, das sich umfassend dem »Weltenbumm­ler Adebar« widmet. Natürlich residieren auch auf dessen Dach zwei Storchenpa­are. Im Dorf selbst etablierte­n engagierte Einwohner zudem bereits 1990 einen Storchencl­ub. Es war der erste kommunale Tourismusv­erein der Region. Er betreut seither die insgesamt 43 Nester im Ort, organisier­t Storchenfe­ste, betreibt ein Storchenha­us, in dem man per Live-Kamera auch in einen Horst schauen kann, und führt pedantisch Buch über alle Geburten im Dorf – dem Vernehmen nach nicht nur jenen an kleinen Störchen.

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Foto: Harald Lachmann Stehlen allen die Show: Störche in Tangermünd­e

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