Da brat’ bloß niemand den Storch
Die schwarz-weißen Vögel sind für manche Gemeinden geliebte und unverzichtbare Touristenmagnete
Störche werden in Altmark und Prignitz zu identitätsstiftenden Sympathieträgern und greifen so auch in das kommunale Leben ein. Im etwas weltentrückten Backsteinstädtchen Tangermünde lässt sich in diesen Wochen alltäglich dasselbe Schauspiel erleben: Touristen, die es etwa entlang des Elbe-Radweges durch die Altmark lockt, stauen sich in der Langen Straße und richten ihre Kameras auf das Alte Rathaus. Doch nicht dessen spektakulärer Ostgiebel, der das Gebäude zu einem der schönsten spätmittelalterlichen Bauwerke Norddeutschlands macht, liegt dann oft im Fokus – sondern die Zinnen und Türmchen auf der Westseite. Denn hier haben sich zwei Storchenfamilien einquartiert. Auch auf dem Eulenturm sowie auf der Stadtmauer sind Storcheneltern gerade dabei, ihren diesjährigen Nachwuchs zu entwöhnen. So herrscht denn aufgeregtes Treiben über den Dächern der schmuck sanierten Altstadt.
Was die Tagesbesucher dabei oft nicht kennen, ist das Drama, das die 10 000 Einwohner zählende Kommune wegen ihrer Langbeine im März erlebte. Denn der erste Storch staunte nicht schlecht, als er aus dem Winterquartier in Afrika oder Spanien heimkehrte: Sein angestammtes Nest auf dem Rathausdach war weg. Aus Sicherheitsgründen hatte es die Stadt abnehmen lassen, da es herabzustürzen drohte. Längst war auch schon eine neue Unterkonstruktion in Vorbereitung, immerhin befördern die populären Vögel seit Jahren bereits das Image der alte Hanse- und Kaiserstadt, die im 14. Jahrhundert den deutschen Reichsoberen als Zweitresidenz diente. Und so beherrschte der obdachlose Storch tagelang das Stadtgespräch.
Entweder irrten die Ornithologen, als sie seinen Rückkehrtermin vorhersagten, oder der Stadtkämmerer hatte das nötige Geld erst für das zweite Quartal eingeplant: Jedenfalls war Adebar ein paar Tage hilflos, ehe ihm dann Anfang April die Tangermünder Feuerwehr ein neues Nestgestell auf der Rathausturmspitze anschraubte. Der parteilose Bürgermeister Jürgen Pyrdok soll dies intern sogar zur Chefsache erklärt haben.
Da Weißstörche ohnehin erst mit dem Nestbau beginnen, wenn beide Partner aus der Ferne zurück sind, war indes noch nichts zu spät. Der Nachwuchs kam noch rechtzeitig zur Welt. Und auch sonst bewerkstelligen die Schreitvögel auch in Tangermünde offenbar das, was ihnen der Volksmund schon lange nach- sagt: Kinder bringen. Denn inzwischen fehlen in dem Städtchen bereits 26 Kita-Plätze, so dass man im Rathaus nun einen Kindergartenneubau plant. Auch beim Naturschutzbund NABU zog man nach Adebars Rückkehr eifrig Krötenzäune entlang der Straßen, die durch Feuchtgebiete führen – indes nicht, um die Lurche vor dem Autoverkehr zu schützen, sondern eben die Störche, die ihnen hier nachstellen.
Tangermünde ist bei alledem nur das bekannteste Aushängeschild für den Storchenreichtum der Altmark, nicht aber das bedeutendste. Denn von den rund 250 Paaren, die hier diesen Sommer ihre Jungen aufziehen, brüteten allein 15 im kleinen Haufendorf Wahrenberg. Bereits in der unmittelbaren Dorfmitte konzentrieren sich mehrere besetzte Horste. Tafeln an den jeweiligen Höfen informieren über ihre jährliche Ankunft, die Zahl der Jungen und ihren jeweiligen Abflugtermin. Sogar ein vier Kilometer langer touristischer Auenpfad schlängelt sich durch das Storchendorf.
Die großflächigen Überschwemmungsgebiete der hier nach wie vor ungestauten Elbe im Umland des 341Seelen-Dorfes bieten den Vögeln offenbar einen optimalen Lebensraum. So zählt die Region zwischen Stendal und Wittenberge auch zum UNESCO-Biosphärenreservat Mit- telelbe. Dieses ist zugleich ein wichtiger Mosaikstein im übergreifenden Biosphärenreservat-Geflecht Flusslandschaft Elbe. Denn jenseits der Landesgrenze schließt sich nahtlos das Reservat Flusslandschaft ElbeBrandenburg an. Und hier, in der Prignitz, kommen dann die Weißstorchfans erst so richtig auf ihre Kosten. Denn im kleinen Rühstädt, dem einzigen Europäischen Storchendorf in Deutschland, versammeln sich auch in diesem Sommer wieder über 30 Storchenpaare auf den Dächern der Bauernhöfe. Mehr finden sich in ganz Deutschland nicht in einem Ort.
So ist Rühstädt nicht nur Sitz dieses Biosphärenreservats – der NABU errichtete hier sogar ein opulentes Besucherinformationszentrum, das sich umfassend dem »Weltenbummler Adebar« widmet. Natürlich residieren auch auf dessen Dach zwei Storchenpaare. Im Dorf selbst etablierten engagierte Einwohner zudem bereits 1990 einen Storchenclub. Es war der erste kommunale Tourismusverein der Region. Er betreut seither die insgesamt 43 Nester im Ort, organisiert Storchenfeste, betreibt ein Storchenhaus, in dem man per Live-Kamera auch in einen Horst schauen kann, und führt pedantisch Buch über alle Geburten im Dorf – dem Vernehmen nach nicht nur jenen an kleinen Störchen.