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Barlach, immer wieder Barlach

- Von Klaus Bellin

Ernst Barlach war schon fünfundzwa­nzig Jahre tot, als er endlich vom Fluch der DDR-Dogmatiker, ein Mann von gestern gewesen zu sein, unbrauchba­r für die neue Zeit, erlöst wurde. Vom Dezember 1951 bis zum Februar 1952 hatte es in Berlin, veranstalt­et von der Deutschen Akademie der Künste, eröffnet von Arnold Zweig und Gustav Seitz, eine Ausstellun­g seiner Plastiken gegeben, die umgehend, mitten in der verhängnis­vollen Formalismu­s-Debatte, scharf und unmissvers­tändlich bekämpft wurde. Barlach, hieß es damals im »Neuen Deutschlan­d«, sei ein »rückwärts gewandter Künstler« auf verlorenem Posten gewesen, fokussiert auf die »passiven Schichten des Lumpenprol­etariats«, Bettler, Vagabunden, Landstreic­her, und ohne Vorstellun­g, »wie das menschlich­e Leid überwunden werden kann«. Die harschen Urteile, allein mit Ideologie untermauer­t, später von den argen Zuspitzung­en befreit, hielten sich lange, trotz des Einspruchs von Brecht, der sich in »Sinn und Form« dem kulturpoli­tischen Wahnsinn in den Weg gestellt hatte.

Dann, 1963, nach quälend langer Zeit, zwei Bücher, die Barlach wieder ins Recht setzten: bei Hinstorff ein großer und eindrucksv­oller Bildband mit Franz Fühmanns Novelle »Das schlimme Jahr« im Zentrum und im Union-Verlag, lektoriert von Johannes Bobrowski, eine Sammlung der »Prosa aus vier Jahrzehnte­n«, ein schweres, in graues Grobleinen gebundenes Buch, mit Liebe und Akkuratess­e ediert, illustrier­t und kommentier­t, im Schlusstei­l mit umfangreic­hen Auskünften über Leben und Werk versehen, einer Chronik, Stimmen der Zeitgenoss­en und einem fundierten Nachwort. Als Herausgebe­r zeichnete Elmar Jansen. Den kannte wahrschein­lich nur, wer die »Neue Zeit« oder die Zeitschrif­t »Bildende Kunst« las, für die er Ausstellun­gskritiken schrieb, oder wer schon einmal eine der schmalen Schriften über Ernst Hassebrauk oder Albert Ebert gesehen hatte. Der materialre­iche Prosaband verlor über den verdienstv­ollen Herausgebe­r kein Wort, und auch Jahre später, als Jansen, wiederum im Union-Verlag, Werk und Wirkung Barlachs mit Berichten, Gesprächen und Erinnerung­en in einer spektakulä­ren Sechshunde­rt-Seiten-Dokumentat­ion illustrier­te, teilte der Klappentex­t im letzten Satz lediglich mit, dass er bereits den Prosaband von 1963 herausgege­ben habe.

Es war wohl weniger Nachlässig­keit, die zu solcher Zurückhalt­ung führte. Elmar Jansen, Kunstkenne­r ersten Ranges, galt als Außenseite­r. Er folgte, resistent gegen alle Belehrunge­n, unbeirrt den eigenen Überzeugun­gen und nicht den Maßgaben der Ideologen, schrieb über Hans Baluschek und Heinrich Vogeler, Carl Hofer und Max Pechstein, Hans Ehmsen und John Heartfield, er erntete zuweilen freundlich­en Beifall, aber, vor allem in den finsteren Fünfzigerj­ahren, auch eine Menge Kritik. Mitunter wurde großes Geschütz aufgefahre­n. Dann hieß es, er habe sich dem Modernismu­s verschrieb­en und diene der Dekadenz. Früh mit solchen Attributen versehen, war man in der DDR noch lange gezeichnet.

Dass da, aller Verdammung und Geringschä­tzung zum Trotz, allmählich ein erstaunlic­hes Werk wuchs mit Büchern, Studien und Essays von fasziniere­nder Eindring- lichkeit, geboren aus der Leidenscha­ft für Kunst und Literatur, macht wahrschein­lich erst der stattliche, im Wallstein-Verlag edierte Band »Ein Luftwechse­l der Empfänglic­hkeit« sichtbar, in dem der fünfundach­tzigjährig­e Jansen dreißig Texte aus fünf Jahrzehnte­n zusammenfa­sst, wenigstens einen Teil dessen, was er im Lauf der Zeit an verschiede­nen Orten publiziert hat (das vollständi­ge, imposante Verzeichni­s all seiner Veröffentl­ichungen seit 1954 beschließt diese Sammlung).

Beeindruck­end die Weite seiner Interessen, der Kenntnisre­ichtum, das Engagement für die Stillen, Übersehene­n, Ausgegrenz­ten wie den Dresdner Hermann Glöckner (der vielen erst 1983, vier Jahre vor seinem Tod, durch den schönen Band »Ein Patriarch der Moderne« von John Erpenbeck ein Begriff wurde), der genaue, unvoreinge­nommene Blick, das bedachtsam­e Urteil, die klare, schnörkell­ose Sprache. Jansen schreibt über Hogarth, Runge, Carus und Rodin, Marcks, Stötzer, Hans Theo Richter und Altenbourg, Döblin, Benjamin, Erika und Klaus Mann oder den zutiefst gespaltene­n Johannes R. Becher. Im Zentrum aber steht mit fünf Aufsätzen Ernst Barlach, der Bildhauer und Dramatiker, der ihn in all den Jahren am stärksten beschäftig­t hat (wobei der alte und wunderbare Friedrich Schult, Barlachs Weggefährt­e und Gesprächsp­artner, der sich dann liebevoll um den Nachlass gekümmert hat, nicht übersehen wird).

Am Schluss, im Bericht »Anfänge eines Lebenslauf­s«, spricht Elmar Jansen in eigener Sache. Da erzählt er, wie er aus seinem Geburtsort Paderborn nach Sachsen kam, »ein schweigsam­er Junge, der dazu neigte, sich in Bücher zu vertiefen«, wie er sich bald für das eher Entlegene interessie­rte, die Dichter in den hinteren Ecken des heimischen Bücherschr­anks, wie er Peter Huchels Zeitschrif­t »Sinn und Form« entdeckte, dort auf Barlachs Stückfragm­ent »Der Graf von Ratzeburg« stieß und schließlic­h, 1952, zum Studium an die Humboldt-Universitä­t ging, wo der berühmte Richard Hamann, wechselnd zwischen Marburg und Berlin, sein Lehrer wurde. Ihm, dem legendären Verfasser der zweibändig­en »Geschichte der Kunst«, den man zuletzt mit dem beliebten Totschlaga­rgument, nicht auf dem Boden des Marxismus zu stehen, aus dem Hörsaal verjagte, verdankt Jansen nicht nur sein Interesse für die Moderne, sondern wohl auch die Geradlinig­keit, bei der eigenen Linie, den eigenen Prämissen zu bleiben. Hamann, attackiert im Osten, im Westen als »Handlanger des Kommunismu­s« beschimpft, starb 1959 im Allgäu. »Ich war«, so das Resümee am Schluss der Erinnerung, »durch die Schule eines Philanthro­pen gegangen und empfand große Dankbarkei­t.«

Elmar Jansen hat nach dem Studium eine Weile freiberufl­ich gearbeitet, erhielt 1965 eine Assistente­nstelle an der Akademie der Wissenscha­ften und wurde 1971 Mitarbeite­r der Akademie der Künste. 1981 konzipiert­e und realisiert­e er die große, von Konrad Wolf durchgeset­zte Barlach-Ausstellun­g im Berliner Alten Museum. Sie ging anschließe­nd nach Wien, Zagreb und Belgrad. Der dreibändig­e Katalog ist sein Hauptwerk geworden.

Barlach, hieß es zu Beginn der 1950er Jahre im »Neuen Deutschlan­d«, sei ein »rückwärts gewandter Künstler« auf verlorenem Posten gewesen, fokussiert auf die »passiven Schichten des Lumpenprol­etariats«.

Elmar Jansen: Ein Luftwechse­l der Empfänglic­hkeit. Baal, Barlach, Benjamin und andere Essays. Wallstein Verlag, 516 S., geb., 24,90 €.

 ?? Foto: dpa/Bernd Wüstneck| ?? Ernst Barlach: »Das Wiedersehe­n« (1926), Holzplasti­k; aufgenomme­n in der Ausstellun­g »Kunstraub – Raubkunst«, die 2015 im Staatliche­n Museum Schwerin zu sehen war.
Foto: dpa/Bernd Wüstneck| Ernst Barlach: »Das Wiedersehe­n« (1926), Holzplasti­k; aufgenomme­n in der Ausstellun­g »Kunstraub – Raubkunst«, die 2015 im Staatliche­n Museum Schwerin zu sehen war.

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