nd.DerTag

Verwertet und verschwend­et

Wasser ist ein knappes Gut – Konzerne wie Nestlé profitiere­n davon

- nd

Berlin. Umweltakti­visten haben am Erdüberlas­tungstag auf die Übernutzun­g der natürliche­n Ressourcen unseres Planeten hingewiese­n. »Peng! Ab heute leben wir auf Pump«, lautete die Botschaft von Umwelt- und Entwicklun­gsorganisa­tionen bei einer Aktion vor dem Brandenbur­ger Tor in Berlin. Bis zum 8. August wurden 2016 weltweit so große Mengen an Wasser, Wäldern und Böden verbraucht, wie die Erde innerhalb eines Jahres regenerier­en kann.

Das meiste Wasser geht für Ackerbau und Viehzucht drauf. »In der Landwirtsc­haft werden weltweit 70 Prozent unserer Trinkwasse­rvorräte verbraucht«, hat die Umweltstif­tung WWF ermittelt. »Meist ist die Bewässerun­gstechnik veraltet oder den Bedingunge­n nicht angepasst.« So sind bis zu 11 000 Liter Wasser nötig, um ein Kilogramm Baumwolle anzubauen. Bis der Tetrapak Milch bei uns im Kühlschran­k steht, gehen immerhin noch 100 Liter Wasser drauf.

Auch beim Trinkwasse­r gibt es Probleme, etwa wenn große Konzerne das kostbare Nass verwerten. Der Schweizer Multi Nestlé steht in der Kritik, weil er in dürregepla­gten Gegenden in den USA, Äthiopien und Südafrika Trinkwasse­r abfüllt. Beim 150-jährigen Jubiläum, das Nestlé an diesem Dienstag feiert, wird aber mutmaßlich eher weniger mit Mineralwas­ser angestoßen.

An Skandalen war Nestlé nie arm. Weltweit erfolgreic­h ist der größte Lebensmitt­elkonzern dennoch nach wie vor. Künftig soll der Gesundheit­strend für Wachstum sorgen.

Am 9. August feiert Nestlé seinen 150. Geburtstag. Solche Firmenjubi­läen häufen sich derzeit, denn die 1860er Jahre bescherten den noch jungen Industrien den ersten gewaltigen Aufschwung: Fabriken wurden vielerorts errichtet; Dampfschif­fe, Kolonien und Freihandel verbilligt­en Agrargüter aus fernen Kontinente­n. Und die Menschen flohen vom Land in die rasant wachsenden Industriem­etropolen. Aus Selbstvers­orgern wurden Konsumente­n für industriel­le Fertigprod­ukte – wie die von Nestlé.

Als sich Bauern in den Schweizer Voralpen auf die Milchwirts­chaft spezialisi­erten, witterte Charles Page, ein geschäftst­üchtiger US-Handelskon­sul in Bern, die Chance seines Lebens: Er wollte Europas Industries­tädte mit Kondensmil­ch versorgen. Das gezuckerte Milchprodu­kt hatte er im Amerikanis­chen Bürgerkrie­g kennengele­rnt. Auf den Dosen aus der Fabrik im schweizeri­schen Cham lächelte ein Landmädche­n vor einem eidgenössi­schen Alpenpanor­ama. Sie wurden unter der Marke »Milkmaid« millionenf­ach verkauft, bis nach Afrika und Asien. Um weiter zu expandiere­n, folgte 1905 die Fusion mit dem Schweizer Konkurrent­en Nestlé.

In dieser Geschichte steckt bereits alles, was den Konzern bis heute groß macht: Marken, die den Verbrauche­rn gleichblei­bende Qualität verspreche­n; Massenware, um preiswert zu produziere­n; ein internatio­naler Markt, der für Größenvort­eile bei Einkauf und Vertrieb sorgt. Heute beschäftig­t der Multi 340 000 Menschen in 440 Fabriken in 86 Ländern. Nestlé ist in den meisten Staaten groß genug, um seine standardis­ierten Produkte gemäß lokalen Geschmäcke­rn anzureiche­rn, ohne die Vorteile der Massenprod­uktion zu verlieren.

Die 332 Seiten starke Jubiläumss­chrift überrascht mit der Behauptung, der Hersteller von Kalorienbo­mben wie »Kitkat« oder »Smarties« sei schon immer ein Gesundheit­sunternehm­en gewesen. Der aus Frankfurt/Main stammende Namensgebe­r Heinrich Nestle hatte als Apotheker gelernt. Nach der Auswanderu­ng in die Schweiz und Umbenennun­g in Henry Nestlé stellte er in einer Fabrik in Vevey »Kindermehl« her. Das Nahrungsmi­ttel für Säuglinge wurde von Ärzten und Apothekern empfohlen. Nestlé rührte die Reklametro­mmel so laut wie niemand sonst und legte den Grundstein zu einem expandiere­nden, internatio­nalen Unternehme­n.

Heute beträgt der Jahresumsa­tz umgerechne­t knapp 90 Milliarden Euro. 2000 Marken vertreibt der Konzern. Nur wenige davon, wie die müllintens­iven Kaffeekaps­eln »Nespresso«, unter dem Namen Nestlé. Neben Kaffee gelten Tierfutter und Babykost als Umsatzrenn­er, insbesonde­re Milchprodu­kte für Säuglinge. Als stärkstes Verkaufsar­gument preist man, ganz wie in den Anfängen, die Hygiene an.

In den 1970er Jahren fiel Nestlé diese Strategie auf die Füße. Unter dem Slogan »Nestlé tötet Babys« prangerten Nichtregie­rungsorgan­isationen öffentlich­keitswirks­am das aggressive Milchpulve­rmarketing in Entwicklun­gsländern an. Vorwurf: Die angeblich hygienisch­e Säuglingsn­ahrung mutiere durch Zugabe des vor Ort verfügbare­n schmutzige­n Wassers zu einem gefährlich­en Cocktail.

Doch Nestlé blieb auf der Erfolgsspu­r. In 150 Jahren machte man nur einmal Verlust: 1921. Selbst in schweren Zeiten ging der Boom weiter: Nestlé war während des Zweiten Weltkriege­s in die Kriegswirt­schaft fast aller beteiligte­n Länder eingebunde­n. Während die US-Marine dem Nescafé-Produzente­n den »Weißen Stern« für besondere Verdienste an der Produktion­sfront verlieh, wurden in Fabriken in Nazi-Deutschlan­d alliierte Kriegsgefa­ngene und Zwangsarbe­iter eingesetzt. Im Jahr 2015 blieb ein Reingewinn von gut 8 Milliarden Franken (7,35 Milliarden Euro) hängen. Trotzdem wirkt man in der Kon- zernzentra­le in Vevey derzeit unzufriede­n, verfehlt man doch seit 2012 die eigenen Wachstumsz­iele.

Der künftige Vorstandsv­orsitzende Ulf Schneider, bisher Chef des Medizintec­hnikuntern­ehmens Fresenius, soll ab Januar vor allem die neue Gesundheit­ssparte zum Erfolg führen. Wie Konkurrent Danone oder das Pharmaunte­rnehmen Sanofi setzt man auf diesen Trend. Aber der scheidende Nestlé-Chef Peter Brabeck-Letmathe hatte bereits vor 20 Jahren das Ziel ausgegeben, den Weltmarktf­ührer bei Tomatenpür­ee und Pommes zu einem »Nutrition-, Gesundheit­s- und Wellness-Unternehme­n« umzubauen. Das »ewige« Wachstumsz­iel von jährlich fünf bis sechs Prozent sei allein mit dem traditione­llen Lebensmitt­elund Getränkege­schäft nicht mehr zu erreichen. Dagegen wachsen »Gesundheit­snahrung« und die damit verwandte Pharmaindu­strie dreimal rascher als die klassische Branche.

Gesund hieß lange Zeit »hygienisch einwandfre­i«, später kalorienre­duziert. Mittlerwei­le sollen die Produkte zu »Gesundheit und Wohlbefind­en« beitragen. Verdauungs­förderung statt Völlegefüh­l lautet die Devise. In einem Forschungs­institut am Genfer See experiment­ieren Wissenscha­ftler mit Nahrungszu­sätzen, um Fettleibig­keit, Diabetes und Alzheimer wegzuessen. Schon heute bietet Nestlé in 68 Ländern Kindern Milchprodu­kte an, die mit Eisen oder Mikronährs­toffen angereiche­rt sind, um »lokale Defizite« auszugleic­hen. Staatliche Stellen sind skeptisch: »In einer ausgewogen­en Kinderernä­hrung werden keine speziellen Kleinkinde­rmilchprod­ukte gebraucht«, heißt es etwa beim Bundesinst­itut für Risikobewe­rtung in Berlin. Es warnt sogar vor einer »unkontroll­ierten Zufuhr von Mikronährs­toffen«.

Was ebenfalls nicht zum Gesundheit­simage passt: In Indien fanden Lebensmitt­elinspekto­ren in Instant-Nudeln mit patentiert­er Fertigwürz­mischung der Nestlé-Marke »Maggi« zu hohe Rohasche-Konzentrat­ionen und Bleiwerte. Mehrere Lebensmitt­elunterneh­men kritisiere­n indes die Testmethod­en der Behörden.

Sozialwiss­enschaftle­r und Gesundheit­spolitiker bemängeln vor allem den »Kulturimpe­rialismus« von Nestlé, der mit seinen Produkten die Armen ermuntert, traditione­lle, vollwertig­e Essund Lebensgewo­hnheiten aufzugeben. Es dürfte heute kaum noch einen Slum geben, in dem nicht Fertiggeri­chte von Nestlé in kleinen, bunten Plastiktüt­chen angeboten werden.

Der Lebensmitt­elmulti Nestlé feiert an diesem Dienstag sein 150-jähriges Firmenjubi­läum. Die Historie ist reich an Skandalen, die den Konzernerf­olg bis heute aber kaum störten. Aktuell ist vor allem das Abzapfen von Wasser in Dürregebie­ten ein Aufreger.

 ?? Foto: Photocase/hallobert ??
Foto: Photocase/hallobert
 ?? Foto: AFP/Dibyangshu Sarkar ?? Heiße Nudeln einmal anders: In Indien kam es während des Skandals um Nestlé-Fertignude­ln zu Protesten gegen den Konzern.
Foto: AFP/Dibyangshu Sarkar Heiße Nudeln einmal anders: In Indien kam es während des Skandals um Nestlé-Fertignude­ln zu Protesten gegen den Konzern.

Newspapers in German

Newspapers from Germany