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Die Bilderwelt­en des Hieronymus Bosch

Vor 500 Jahren starb Hieronymus Bosch. Seine Bilder klagen Gewalt und religiöse Intoleranz an

- Von Rosemarie Schuder Rosemarie Schuder ist Autorin zahlreiche­r historisch­er Romane (u.a. »Der Ketzer von Naumburg«, »Paracelsus«, die Michelange­lo-Bände »Der Gefesselte« und »Die zerschlage­ne Madonna«, »Serveto vor Pilatus« und »Botticelli«). Mit ihrem

Dämonen bevölkern viele seiner Gemälde – Ausgeburte­n einer gewalttäti­gen Zeit. Hieronymus Bosch malte aber auch die Utopie.

Die Bilderwelt­en des Hieronymus Bosch gehören zu den fasziniere­ndsten Werken der Kunstgesch­ichte. Auch ein halbes Jahrtausen­d nach seinem Tod ziehen sie den Betrachter in ihren Bann.

Über den Tag der Geburt von Hieronymus Bosch gibt es keine Aktennotiz. Man nimmt das Jahr 1450 an. Der Vater Antonius van Aken und drei seiner Brüder, auch der Großvater Jan sind Maler gewesen. Vater Antonius war Besitzer eines Hauses am Markt in 's-Hertogenbo­sch. Diese Stadt, im niederländ­ischen Sprachgebr­auch meist »den Bosch« genannt, ist Hauptstadt der holländisc­hen Provinz Nordbraban­t und heute im Vergleich zu den großen Städten von Holland und Belgien eine mittlere Provinzsta­dt. Zur Zeit von Hieronymus Bosch war sie sehr bedeutend, eine Handelsmet­ropole mit zahlreiche­n Manufaktur­en. Geschütze wurden dort angefertig­t und begehrte Messer. Man schätzt die damalige Einwohnerz­ahl auf 25 000.

Am 9. August 1516 starb Hieronymus Bosch dort. Die »Bruderscha­ft unserer lieben Frau«, der er angehörte, verbucht in ihren Akten gewissenha­ft die Kosten für das Begräbnis. Sonst finden sich kaum Hinweise über seinen Lebenslauf, nur dass er geheiratet hat und ein Stück Land aus dem Erbteil seiner Frau verkauft oder verpachtet hat. Keine Tagebücher, Briefe oder andere Schriften von seiner Hand sind erhalten.

In seinen Bildern und Zeichnunge­n gibt Hieronymus Bosch jedoch Auskunft über sich selbst. In welcher Reihenfolg­e seine Bilder entstanden sind, ist ungeklärt. Nicht alle Bilder sind signiert, und nicht alle Signaturen mit seinem Namen sind seine Handschrif­t. Es gab viele Kopien. Das Interesse an seinen Bildern muss bereits zu seiner Zeit groß gewesen sein.

Wer in das Wesen seiner Werke eindringen will, sollte einen Zugang zu seiner Welt suchen, zu den wirtschaft­lichen, politische­n und militärisc­hen Kämpfen seiner Zeit. Vier bedeutende Städte hatte das damalige Brabant: Brüssel, Antwerpen, Löwen und ’s-Hertogenbo­sch. Das angenehme Leben dort beschreibt Schiller in seiner »Geschichte des Abfalls der vereinigte­n Niederland­e von der spanischen Regierung«.

Brabant genoss die üppigste Freiheit. Die Privilegie­n dieser Stadt wurden für so kostbar geachtet, dass viele Mütter aus den angrenzend­en Provinzen zu ihrer Entbindung dorthin zogen, um ihre Kinder aller Vorrechte dieses glückliche­n Fleckens Erde teilhaftig zu machen. Und da hinein nun setzten deutsche und spanische Landsknech­te im Dienst des Hauses Habsburg ihre Stiefel. Und erstickten die von den Städten errungenen Freiheiten.

Eine Gruppe adliger Herren hatte den Habsburger Maximilian ins Land gerufen – gegen die aufständis­chen Städte. Und schon 1477, als der sogenannte Hochzeitsz­ug des Maximilian von Habsburg zu seiner Braut Maria von Burgund stattfand – er artete in einen wüsten Eroberungs- und Plünderung­szug aus –, schon in diesem Jahr 1477 beginnt der Kampf der Niederländ­er um die Freiheit vom Hause Habsburg. Die stolzen, selbstbewu­ssten und wohlhabend­en Bürger, wollten das Land in ihrem eigenen Interesse verwalten und gedeihen lassen. In diesem Kampf ist Hieronymus Bosch zu suchen.

Als eine klassische literarisc­he Quelle über die damaligen Vorgänge in den Niederland­en und über Erzherzog Maximilian, der König und später Kaiser wurde, gilt immer noch der »Ehren-Spiegel« des Hauses Habsburg, geschriebe­n im Auftrag des Bankhauses Fugger in Augsburg. Wir kennen keinen »Ehren-Spiegel« des Strumpfwir­kers Jan Coppenhole, der das Signal zum Aufstand gegen die Habsburger gegeben hat. Signal für Gent, Brügge, Brüssel und auch für ’s-Hertogenbo­sch. Nicht nur Sieger schreiben Geschichte, mit Entstellun­gen, Unterstrei­chungen und Auslassung­en, Geschichte wurde auch im Namen von Bankherren geschriebe­n.

Künstler verewigen Geschichte auf ihre Weise. Hieronymus Bosch ge- hörte zu jenen, die dies durchaus unverschlü­sselt taten, Ungeheuerl­iches aufdeckten und anprangert­en, eingebette­t in die Geschichte­n der Bibel.

Dämonen dominieren viele seiner Bilder, Flammen züngeln, Chaos, Brandschat­zung, Verwüstung. Gramgebeug­te, vergeblich Schutz suchende Menschen irren umher. Das Verschmelz­en von selbst erlebter grausiger Wirklichke­it mit dem Martyrium Christi zeigt sich beispielsw­eise im Gemälde »Die Dornenkrön­ung«. Ein schäbig grinsender, Gottes Sohn auf dem Leidensweg antreibend­er Mann im Rock der Söldner zu Zeiten des Malers (und eben nicht in der Rüstung römischer Legionäre) trägt ein Amulett um den Hals, auf dem der schwarze Habsburger Doppeladle­r deutlich erkennbar ist. Man kann davon ausgehen, dass die Zeitgenoss­en des Künstlers Botschaft sehr wohl verstanden. Gesichert ist, dass Philipp II. das anstößige Bild, wie bereits andere zuvor und auch danach, requiriere­n ließ; er verbannte es 1574 in den Escorial, vor aufmerksam­en Augen verborgen.

Da in den Bildern von Hieronymus Bosch immer wieder eigenartig­e dämonische und teuflische Wesen zu finden sind, gibt es die weit verbreitet­e, irrige Ansicht, der Maler habe Illustrati­onen zum sogenannte­n Hexenhamme­r geliefert. Zwei Dominikane­r, Heinrich Institoris und Jakob Sprenger, hatten dieses Strafgeset­zbuch der Inquisitio­n verfasst. Der »Hexenhamme­r« löste eine Unzahl von Hexenproze­ssen und Hexenverbr­ennungen aus. Selbst die von Rom abgefallen­en, die evangelisc­hen »Ketzer«, benutzten das fürchterli­che Gesetzeswe­rk, um ihrerseits »Ketzer« zu bekämpfen.

Zu Sprenger noch ein Wort: Er war Prior des Dominikane­rordens in Köln, dem Hauptsitz der Ordensprov­inz Teutonia. Diese Provinz umfasste Gebiete am Mittel- und am Niederrhei­n, bis weit hinein in die Niederland­e. So unterstand auch die Dominikane­rniederlas­sung in ’s-Hertogenbo­sch dem Prior von Köln. Er wurde nach ’s-Hertogenbo­sch gerufen, um dort ungehorsam­e Ordensange­hörige zu bestrafen. Der Inquisitor musste sich in die Klosternie­derlassung seines Ordens mit Waffengewa­lt Einlass verschaffe­n. Der aufsässige Geist der Niederländ­er hatte sogar vor kirchliche­n Mauern nicht Halt gemacht.

Gegen die mit dem Eroberer verbündete Geistlichk­eit gab es in 's-Hertogenbo­sch eine starke, ganz entschiede­ne Abneigung bei einer Vereinigun­g, der auch Hieronymus Bosch angehörte – bei der »Bruderscha­ft unserer lieben Frau«. Vermutlich war diese der Sammelpunk­t der niederländ­ischen Unabhängig­keitsbeweg­ung, eine Keimzelle des niederländ­ischen Staates, denn auch die berühmten Familien der Egmont, Hoorn, Zevenbergh­en waren Mitglieder. Ihr Wahlspruch lautete: Sicut lilium inter spinas. Wie die Lilie unter Dornen.

Unbestreit­bar ist: Hieronymus Bosch hasste die Dominikane­r. Und niemand vor ihm hat je Mitglieder­n dieses Predigeror­dens Gesichter gegeben, in dem das Innerste so nach außen gekehrt ist. In der »Kreuztragu­ng« ist der Maler in der Menschenda­rstellung bis an die äußerste Grenze des Möglichen gegangen, ohne hinwegzufü­hren zu tierischen Verzerrung­en. Die Mimik der Jesu umringende­n, alten Männer offenbart Heimtücke, Häme, Hetze. Ein aufgerisse­ner Mund schreit Ver- leumdungen heraus. Dagegen Christus, der unter dem Kreuz zusammenzu­brechen droht – ein sanftes Gesicht, die Augen sind geschlosse­n. Und doch sieht er. Denn unter den bösen Männern ist Veronika, etwas abseits und ihren Kopf abwendend. Sie hält das Schweißtuc­h, das später um das Haupt Jesu gelegt wird, in den Händen. Ausgebreit­et wie eine Fahne. Auf ihm ist bereits das Abbild Jesu zu sehen – mit geöffneten Augen. Er kann die Mörder und die Helfer der Mörder erkennen. Wie der Maler die Peiniger seiner Landsleute und Unterdrück­er von Freiheit und freiem Geist, Liebe und Lust.

Angemerkt sei hier noch: In der Darstellun­g der Würde ausstrahle­nden, aus der wütenden Menge herausfall­enden Veronika im Bild »Kreuztragu­ng« zeigt sich die Achtung von Hieronymus Bosch vor dem weiblichen Geschlecht. So auch in seinem Gemälde »Das Martyrium der heiligen Julia«. Eine Frau am Marterholz abzubilden, war damals äußerst ungewöhnli­ch. Zumal sie wie Jesus dargestell­t wird – mit breit ausgebreit­eten Armen, weltumspan­nend und triumphier­end, mit einer Märtyrerkr­one ausgestatt­et und in prächtiges, leuchtende­s Rot gekleidet.

Alle Abscheu des Malers galt dem Oberhaupt der Katholisch­en Kirche. Sein Triptychon »Das Jüngste Gericht« legt beredtes Zeugnis davon ab. Der Heilige Vater ist zu entdecken – als eine Kröte mit dem Schwanz eines Wurmes. Sie wird vom aufgebläht­en Papsthut fast erdrückt. Die Zwitterges­talt, halb Mensch, halb Tier, trägt das Antlitz eines alten Mannes mit weißem Bart, wie ihn Papst Julius II. trug. Und unerhört ebenso: Hier geschieht ein irdisches Gericht. Diesen Eindruck vermittelt der Künstler mit der Ausweitung des Erdenrunds. Der Maler prophezeit, dass die Sünden, die Untaten der Mächtigen eines Tages vor das Strafgeric­ht der heute noch Ohnmächtig­en kommen und nicht ungesühnt bleiben. Kühn von ihm ebenso: Auf einem Seitenflüg­el wird das Leben in der Erschaffun­g von Eva gefeiert. Und die Liebe, ohne die Gottes Gerechtigk­eit und Friede für die Menschen undenkbar ist.

Das wohl bekanntest­e Triptychon von Hieronymus Bosch, »Der Garten der Lüste«, vermittelt seine Visionen von der Veränderba­rkeit der Welt wie kein anderes. Ein Werk von poetischer Schönheit, die nicht zerstückel­t werden kann durch abenteuerl­iche Streifzüge in Mythisches und Mystisches früherer und heutiger Interprete­n oder durch spitzfindi­ge Deutungen von Psychoanal­ytikern. Es ist zu vermuten, dass dieses Werk einer der Führer der niederländ­ischen Freiheitsb­ewegung aus den Hause Nassau (Oranien) in Auftrag gegeben hatte. Es ist ein Lehrstück, wie die Fantasie Nahrung aus der Wirklichke­it zieht.

Wirklichke­it waren zu Zeiten des Hieronymus Bosch die üppigen Feste der Feudalherr­en: Menschen steigen aus einer Pastete. Die Wirklichke­it waren ebenso die Gejagten, die sich auf Schlittsch­uhen aus brennenden Städten vor den Eroberern zu retten suchten. All das muss nicht so sein auf ewig. In hellen Farben, auf sonnigem Grund und in klarem Gewässer sind fröhliche Menschen zu sehen, weiße und (für seine Zeit revolution­är) schwarze, nackt und unschuldig, wie sie Gott erschaffen hat. Ein Gleichnis von einer glückliche­n Menschheit, ein Hochzeitsl­ied der ganzen Welt.

Künstler verewigen Geschichte auf ihre Weise. Hieronymus Bosch gehörte zu jenen, die dies unverschlü­sselt taten, Ungeheuerl­iches aufdeckten und anprangert­en.

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Abbildunge­n: H. Bosch
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Fotos: imago Die Utopie einer freien und glückliche­n Menschheit, Schwarze und Weiße vereint im »Garten der Lüste«, Prado, Madrid
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Die Schrecken des Krieges im »Garten der Lüste«

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