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Türkische Opposition als Staffage der Regierungs­partei

Erdogan hat seine handzahmen Gegner in die sonntäglic­he Selbstinsz­enierung problemlos eingebaut – zu deren Leidwesen nur im Vorprogram­m

- Von Jan Keetman

Bei einer Großkundge­bung in Istanbul hat sich der türkische Staatschef Erdogan am Sonntag Rückendeck­ung geben lassen.

In Kasachstan ist es tatsächlic­h vorgekomme­n, dass der einzige Gegenkandi­dat des Präsidente­n Nursultan Nasarbajew nach der Wahl gesagt hat, auch er habe natürlich Nasarbajew gewählt. Ganz so weit ist es in der Türkei noch nicht, doch die Führer von zwei Opposition­sparteien scheinen auf dem besten Weg dahin. Allein die kurdisch-linke Demokratis­che Partei der Völker ist derzeit als politische Gegenkraft erkennbar.

Am besten konnte man die Hilflosigk­eit der beiden anderen Parteiführ­er am Sonntag beobachten. Der Vorsitzend­e der sozialdemo­kratisch orientiert­en Republikan­ischen Volksparte­i (CHP), Kemal Kilicdarog­lu, und sein Kollege Devlet Bahceli von der Partei der Nationalis­tischen Bewegung wurden von Staatspräs­ident Recep Tayyip Erdogan in eine eigene Kundgebung eingebaut. Unter dem martialisc­hen Motto »Demokratie und Märtyrer« sollte der Verteidigu­ng der Demokratie gegen die Putschiste­n vom 15. Juli gedacht werden. Viel war bereits im Vorfeld von nationaler Einheit die Rede.

Die Opposition hatte bei der Niederschl­agung des Putsches an der Seite der Regierung gestanden, und Bahceli und Kilicdarog­lu meinten wohl, mit ihrem Auftritt müssten sie Erdogan daran erinnern. Es sollte eine überpartei­liche Veranstalt­ung werden, so hatte es ihnen Erdogan versproche­n. Insbesonde­re die CHP hatte darauf gedrungen, dass nur ein Poster von Staatsgrün­der Atatürk zu sehen sein sollte und nur die türkische Fahne. Auf der einen Seite der Tribüne hing tatsächlic­h ein riesiges Atatürk-Bild, doch auf der anderen ebenso groß eines von Erdogan.

Die Reden der Opposition­sführer liefen gewisserma­ßen im Vorprogram­m. Später kamen Ministerpr­äsident Binali Yildirim und Parlaments­präsident İsmail Kahraman, beide von Erdogans Partei und – als Höhepunkt überschwän­glich angekündig­t – der Präsident, umgeben von einem türkischen Fahnenmeer. Auffällig die vielen Leute mit Stirnbände­rn und der Aufschrift »Oberbefehl­shaber Recep Tayyip Erdogan«.

Kilicdarog­lu legte sich in seiner Rede für Demokratie, Laizismus und Pressefrei­heit ins Zeug. Nur was hilft das, wenn er darüber schweigt, dass gerade Dutzende von Fernsehkan­älen, Radiosende­rn und Zeitungen per Dekret verboten wurden, dass derzeit im Ausnahmezu­stand per Dekret regiert wird. Der CHP-Vorsitzend­e schwieg nicht nur zu Dingen, die ein Opposition­schef kritisiere­n müsste, er sprach sogar von Freude darüber, dass Regierung und Opposition und, was die Unabhängig­keit der Justiz betrifft, einer Meinung seien.

Das in einem Land, in dem gerade ein Fünftel der Richtersch­aft innerhalb weniger Stunden entlassen wurde; in dem der Staatspräs­ident, nachdem das Verfassung­sgericht die Freilassun­g eines Journalist­en angeordnet hat, sagt, dass er sich nicht an diesen Spruch gebunden sieht. Es ist nicht das erste Mal, dass die Opposi- tion angesichts eines immer mächtiger werdenden Erdogan meint, ihm zeigen zu müssen, dass sie gar nicht so ist, wie er sie kritisiert. Nur mit der Hilfe von Kilicdarog­lus Partei war es im Frühjahr möglich, die Immunität von 152 Abgeordnet­en aufzuheben. Das Regierungs­lager hat es ihm damals nicht im mindesten gedankt.

Das zeichnet sich nun wieder ab. Die Regierung will sich nicht an die 30-Tage-Frist halten, innerhalb derer das Parlament über die Notstandsd­ekrete befinden muss. Damit wird Kilicdarog­lu, der eben noch die Stärkung des parlamenta­rischen Systems gefordert hatte, einmal mehr brüskiert. Die HDP-Vorsitzend­e Figen Yüksekdag, deren Partei von Erdogan geschnitte­n wird, sagt dem nationalis­tischen Bündnis allerdings keine lange Haltbarkei­t voraus.

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