nd.DerTag

Die alten Stolperste­ine

Außenpolit­ischer Streit nur schwer auszuräume­n

- Von Roland Etzel

Der Wille nicht nur zur verbalen Verständig­ung, sondern zu handfesten Ergebnisse­n zwischen den Staatschef­s Russlands und der Türkei war im Vorfeld der Visite beiden Seiten anzumerken. Ankara wie Moskau beklagen eine, gemessen an ihrer Bedeutung, unwürdige Behandlung seitens Rest-Europas und streben die Reparatur ihrer schwer beschädigt­en bilaterale­n Beziehunge­n an. Erstens ist das ein dringendes wirtschaft­liches Gebot angesichts suboptimal­er Kennziffer­n in Russland wie der Türkei. Zweitens übt damit jeder für sich Druck auf die Westeuropä­er aus, sich gefälligst konziliant­er zu verhalten. In handels- und wirtschaft­spolitisch­en Fragen wird man sich näherkomme­n. Denn es ist nicht erkennbar, mit welchen Verlockung­en oder aber Strafaktio­nen die EU oder die USA Recep Tayyip Erdogan davon abhalten wollen, den von ihnen verordnete­n Abstand zu Russland zu verringern.

Vor einer veritablen russischtü­rkischen Annäherung türmen sich allerdings dennoch hohe Hürden. Es ist die Außenpolit­ik, die beide in teilweise antagonist­ische Haltungen zueinander stellt. Da ist vor allem Syrien. Erdogan war einer der ersten, der den Sturz des syrischen Präsidente­n Baschar al-Assad zum offizielle­n Staatsziel erhob und den Regierungs­gegnern aller Couleur – bis auf die Kurden – Hinterland und Nachschubw­ege bot und weiter bietet. Wladimir Putin – im Fall Libyen vom Westen an der Nase herumgefüh­rt, zeigt sich in jedem Jahr des Krieges entschloss­ener, Syrien, den letzten verblieben­en Verbündete­n Russlands im Nahen Osten, zu halten. Und das geht nur mit Assad. Diese Positionen sind nicht vereinbar bzw. nicht ohne Gesichtsve­rlust einer Seite.

Nicht ganz so aussichtsl­os scheint eine Entschärfu­ng der Zwistigkei­ten in der Kurdenfrag­e. Zwar hat Russland gerade erst den syrischen Kurden eine Vertretung in Moskau zur Verfügung gestellt, von wo sie, anders als in ihren abgeschott­eten syrischen Exklaven, einen kurzen Weg zum Parkett der großen Politik haben. Das hat Erdogan erkennbar erzürnt, sind die syrischen Kurdenorga­nisationen doch Ableger der von ihm gerade wieder erbittert bekämpften türkischen Kurden. Dennoch: Die Kurden sind – wie seit 100 Jahren – wohl auch diesmal vor allem politische Spielmasse der Großmächte. Das russische Interesse an einem Pakt mit den Kurden, wenn es denn eines gibt, wird einer Annäherung an die Türkei nicht im Wege stehen.

Ein dritter außenpolit­ischer Dissenspun­kt ist Armenien. Im vorigen Jahr gedachte die Welt der Massenmord­e an Armeniern im Osmanische­n Reich vor 100 Jahren, und einmal mehr zeigte sich, dass Ankara nach wie vor nicht in der Lage ist, sich demgegenüb­er angemessen zu verhalten. Das verhindert auch bis heute normale Verhältnis­se zum benachbart­en armenische­n Staat. Dieser aber ist auf Grund der miserablen Beziehunge­n Russlands zu Aserbaidsh­an und vor allem Georgien Moskaus einzig verblieben­er Verbündete­r im Kaukasus. Soll der russisch-türkische Stolperste­in namens Armenien beiseite geräumt werden, müsste sich wohl Erdogan bewegen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany