Die alten Stolpersteine
Außenpolitischer Streit nur schwer auszuräumen
Der Wille nicht nur zur verbalen Verständigung, sondern zu handfesten Ergebnissen zwischen den Staatschefs Russlands und der Türkei war im Vorfeld der Visite beiden Seiten anzumerken. Ankara wie Moskau beklagen eine, gemessen an ihrer Bedeutung, unwürdige Behandlung seitens Rest-Europas und streben die Reparatur ihrer schwer beschädigten bilateralen Beziehungen an. Erstens ist das ein dringendes wirtschaftliches Gebot angesichts suboptimaler Kennziffern in Russland wie der Türkei. Zweitens übt damit jeder für sich Druck auf die Westeuropäer aus, sich gefälligst konzilianter zu verhalten. In handels- und wirtschaftspolitischen Fragen wird man sich näherkommen. Denn es ist nicht erkennbar, mit welchen Verlockungen oder aber Strafaktionen die EU oder die USA Recep Tayyip Erdogan davon abhalten wollen, den von ihnen verordneten Abstand zu Russland zu verringern.
Vor einer veritablen russischtürkischen Annäherung türmen sich allerdings dennoch hohe Hürden. Es ist die Außenpolitik, die beide in teilweise antagonistische Haltungen zueinander stellt. Da ist vor allem Syrien. Erdogan war einer der ersten, der den Sturz des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad zum offiziellen Staatsziel erhob und den Regierungsgegnern aller Couleur – bis auf die Kurden – Hinterland und Nachschubwege bot und weiter bietet. Wladimir Putin – im Fall Libyen vom Westen an der Nase herumgeführt, zeigt sich in jedem Jahr des Krieges entschlossener, Syrien, den letzten verbliebenen Verbündeten Russlands im Nahen Osten, zu halten. Und das geht nur mit Assad. Diese Positionen sind nicht vereinbar bzw. nicht ohne Gesichtsverlust einer Seite.
Nicht ganz so aussichtslos scheint eine Entschärfung der Zwistigkeiten in der Kurdenfrage. Zwar hat Russland gerade erst den syrischen Kurden eine Vertretung in Moskau zur Verfügung gestellt, von wo sie, anders als in ihren abgeschotteten syrischen Exklaven, einen kurzen Weg zum Parkett der großen Politik haben. Das hat Erdogan erkennbar erzürnt, sind die syrischen Kurdenorganisationen doch Ableger der von ihm gerade wieder erbittert bekämpften türkischen Kurden. Dennoch: Die Kurden sind – wie seit 100 Jahren – wohl auch diesmal vor allem politische Spielmasse der Großmächte. Das russische Interesse an einem Pakt mit den Kurden, wenn es denn eines gibt, wird einer Annäherung an die Türkei nicht im Wege stehen.
Ein dritter außenpolitischer Dissenspunkt ist Armenien. Im vorigen Jahr gedachte die Welt der Massenmorde an Armeniern im Osmanischen Reich vor 100 Jahren, und einmal mehr zeigte sich, dass Ankara nach wie vor nicht in der Lage ist, sich demgegenüber angemessen zu verhalten. Das verhindert auch bis heute normale Verhältnisse zum benachbarten armenischen Staat. Dieser aber ist auf Grund der miserablen Beziehungen Russlands zu Aserbaidshan und vor allem Georgien Moskaus einzig verbliebener Verbündeter im Kaukasus. Soll der russisch-türkische Stolperstein namens Armenien beiseite geräumt werden, müsste sich wohl Erdogan bewegen.