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Die schlafende­n Waffen vom Balkan

Die Schmuggelr­outen nach Westeuropa sind weitgehend bekannt, doch nur selten gelingen Aktionen gegen die Transporte­ure

- Von René Heilig

30 506 Verstöße gegen das Waffenund das Kriegswaff­engesetz weist die deutsche Statistik für das vergangene Jahr aus. Tendenz rückläufig. Beruhigen kann das nicht.

Am 22. Juli lief ein 18-Jähriger in München Amok. Er erschoss neun Menschen. Die öffentlich­e Aufregung ist einem weitgehend­en Desinteres­se gewichen, dabei sind noch immer zahlreiche Hintergrün­de zu dem Verbrechen ungeklärt. Dazu gehört die Herkunft der Waffe. Angeblich hat der Täter sie im Internet bestellt. Sicher ist: Die Glock 17 war in Österreich gebaut und in die Slowakei geliefert worden.

Die Ermittlung­en allein zu diesem einen Fall in München sind umfangreic­h und schwierig. Dabei ist die Slowakei eher selten als Herkunftso­rt für illegale Waffen aufgefalle­n. Weit mehr Sorgen haben die Ermittler aller EU-Staaten, wenn sie auf den Balkan schauen. Nach dem Ende der di- versen Bürgerkrie­ge sind dort jede Menge Kriegswaff­en in Ruhestellu­ng. Allein in Bosnien-Herzegowin­a soll es 750 000 Waffen illegale Waffen geben, behaupten Experten des Zentrums für Sicherheit­sstudien in Sarajevo. Das würde – bemüht man die Statistik – bedeuten, dass jeder fünfte Einwohner des zweigeteil­ten Landes eine illegale Knarre besitzt. In der Masse handelt es sich um Kriegswaff­en. Dazu kommen noch etwa 350 000 Waffen im legalen Besitz. Auch angesichts der sozialen Verhältnis­se in dem Land blüht der Schwarzmar­kt. Die meisten Interessen­ten und Abnehmer kommen aus Westeuropa.

Extrem besorgt sind die Ermittler darüber, dass sich nicht mehr nur Täter aus dem Bereich der Organisier­ten Kriminalit­ät mit Kriegswaff­en versorgen. Mutmaßlich­e islamistis­che Terroriste­n, die in westeuropä­ischen Staaten leben, versorgen sich mit dem Balkanexpo­rt. Oder werden von dort versorgt. Absender sind arabische Islamisten, die zu Zeiten des Bürgerkrie­ges in großer Anzahl und unterstütz­t vor allem durch SaudiArabi­en nach Bosnien-Herzegowin­a eingesicke­rt sind. Sie haben Familien und Dorfverbän­de gegründet, von denen sich staatliche Behörden fernhalten, wenn sie überleben wollen.

Seit Jahren kennen die westeuropä­ischen Ermittler die Transitrou­te, auf der Waffen und Sprengstof­f vom Balkan nach Westeuropa geschmugge­lt werden. Dennoch sind Festnahmen selten – oder im Sinne der Informatio­nserlangun­g unergiebig. Denn die meisten Waffenschm­uggler werden nur angeheuert, um ein Auto von A nach B zu fahren. Viel mehr wissen sie nicht. Ob das auch so bei Vladko V. war, wollte ein Münchner Gericht ab Montag klären. Doch der Prozessbeg­inn gegen den 51-jährigen Montenegri­ner fiel aus, der Verteidige­r meldete sich krank.

Der Angeklagte war am 5. November vergangene­n Jahres mit sieben Sturmgeweh­ren der Marken Zastava und Kalaschnik­ow, neun Magazinen, zwei halbautoma­tischen Pistolen, einem großkalibr­igen Revolver, 237 Schuss Munition, zwei Handgranat­en jugoslawis­cher Bauart sowie 200 Gramm TNT-Sprengstof­f samt Sprengzünd­ern bei einer Kontrolle auf der Autobahn A 8 erwischt worden.

Die Staatsanwa­ltschaft wirft dem Mann neben Sprengstof­f- und Waffendeli­kten die Beihilfe zur Vorbereitu­ng einer schweren staatsgefä­hrdenden Straftat vor. Die Ankläger verknüpfen den Fall mit den Pariser Terroransc­hlägen vom 13. November 2015 und vermuten, dass V. der ursprüngli­che Waffenlief­erant für die Islamisten gewesen sein könnte.

Die Anschläge hat – so die französisc­hen Behörden – der Islamische Staat organisier­t. 130 Menschen waren getötet und 352 verletzt worden – mit Waffen, wie sie Vladko V. transporti­erte. Auch die, die beim Angriff auf die französisc­he Satierezei­tschrift »Charlie Hebdo« verwandt wurden, stammten vom Balkan.

V. ist wahrlich nicht der einzige Waffenschm­uggler, der deutschen Behörden im vergangene­n Jahr aufgefalle­n ist. Auch im Raum Aachen war ein aus Bosnien-Herzegowin­a eingereist­er Kurier mit Sturmgeweh­ren, Handgranat­en und Sprengstof­f aufgegriff­en worden. Die Waffen waren für Abnehmer in den Niederland­en bestimmt.

Auch die aktuellen Statistike­n des Zolls belegen permanente Gefahr. Zwischen 2013 und 2015 haben die Beamten 157 Kriegswaff­en beschlagna­hmt. Dazu kommen 2 464 252 Schuss Munition sowie 3284,5 Kilogramm Sprengstof­f. Über die Anzahl der Waffen, die unentdeckt bleiben, äußert kein Experte Vermutunge­n.

67 Millionen Schusswaff­en sind in der EU im Umlauf. Eine Kalaschnik­ow gibt es schon ab 500 Euro.

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