Raoul Medizinmann
Die Ausstellung »Dada Afrika« in der Berlinischen Galerie kann nicht halten, was sie verspricht, und bietet doch einiges
Aus Zürich kommend, der Stadt der Banken und von Dada, zeigt die Ausstellung avantgardistische Kunst und afrikanische Objekte. Im Untertitel kündigt »Dada Afrika« einen »Dialog mit dem Fremden« an, der nie stattgefunden hat. Wie fast alle Avantgarden um den Ersten Weltkrieg, von den Spät-Impressionisten über die Fauvisten bis zu den Kubisten und Expressionisten, ließen sich auch die Dadaisten von außereuropäischen Kulturen beeindrucken. Die akademische Kunst war steril, die kapitalistische Welt ein Warenhaus geworden. Angesichts der Entfremdung sehnte man sich nach Fremdheit, nach dem Elementaren, Einfachen und der Ekstase.
Wie bei andern Künstlern auch, ob in Henri Toulouse-Lautrecs oder James Ensors Japanismen oder Chinoiserien, ob in Karl Schmidt-Rottluffs oder Pablo Picassos gemalten Masken, war die Begeisterung größer als die Kenntnis. Obwohl die Künstler stets betonten, sie blickten nicht auf die Anderen als auf Exoten oder Primitive herab, verhielten sie sich kaum weniger eigennützig als die Kolonialisten. Sie bedienten sich aus dem Kolonialwarenladen und aus dem Völkerkundemuseum. Ein Nicht-Europäer hatte in diese freihändige Emulation nicht hineinzureden. Die Fremden sollten anregen, nicht darlegen. Im Gegenteil, eine Unterhaltung mit ihnen hätte leicht dem Fremden das Fremde genommen. Statt eines Dialogs mit Afrikanern gab es bloß europäischen Monolog.
Das zeigt sich noch in der Präsentation der Berlinischen Galerie, die Ritualgegenstände vorführt, als wären sie Kunstwerke im europäischen Stil. Eine Maske ist aber keine Skulptur, sie gehört zu einer bestimmten Zeremonie. Allenfalls in ihren Performances haben die Dadaisten Masken ähnlich verwendet wie die Afrikaner. Doch muss auch hier die Ähnlichkeit oberflächlich bleiben. Kunst kommt aus dem Kult, aber ist kein Kult mehr.
Eine genagelte Kraftfigur (minkisi) aus dem Kongo, wie die in der Ausstellung gezeigte, wird manchen wie ein wilder Günther Uecker vorkommen, aber soll weder betrachtet noch beurteilt werden. Die Figur vertritt einen Ahnen, ihr treibt ein jeder, der sie aufsucht, einen Nagel ein, um damit einen Schwur zu besiegeln oder eine Gefahr abzuwenden. Einen Nagel oder ein anderes Metallstück deshalb, weil diesen Importen die Macht der Kolonialherren zugeschrieben wird, an der die Afrikaner teilhaben wollen. Etwas, das heilen oder schützen soll, gibt es jedoch ernsthaft in der europäischen Kunst nicht mehr, die derlei Zwecke gegen Freiheit eingetauscht hat. Immerhin, die Kultobjekte in »Da- da Afrika« – einige befanden sich in den Privatsammlungen des Expressionisten Erich Heckel und des Dadaisten Tristan Tzara – haben, so isoliert und zweckentfremdet sie sind, ihre Kraft noch nicht ganz eingebüßt. Die sonst so marktschreierischen Dadaisten wirken neben den afrikanischen Schaustücken zart. Das wird auch daran liegen, dass sich die Ausstellung breit aus dem Nachlass von Hannah Höch bedient, der in der Berlinischen Galerie aufbewahrt wird. Anders als ihre Kollegen neigt Höch nicht zum Auftrumpfen. Außer ihren köstlichen Dada-Puppen sind vor allem elegante Collagen aus Fotografien von Masken und Körpern zu sehen. Es ergeben sich bizarre Hybridwesen, und vielleicht ist diese Hybridisierung – anders als ein »Dialog« – der Prozess, der sich hier vollzieht. Afrikaner widmen Nägel um, Europäer Masken, beide setzen Unverstandenes und Verstandenes bunt zusammen, und so ergeben sich fantastische Neuigkeiten.
Eines der schönsten Exponate ist ein Teppich von Hans Arp, den er
Die Fremden sollten anregen, nicht darlegen. Statt eines Dialogs mit Afrikanern gab es bloß europäischen Monolog.
»Diagonale Komposition – Kreuzigung« genannt hat. Obwohl die Kreuzigung kaum zu erkennen ist, ist eine Verbindung mit Afrika schwer herzustellen, sie erschöpft sich wohl darin, dass der Teppich 1917 in der Galerie von Han Coray zusammen mit afrikanischen Skulpturen ausgestellt worden ist. Die angewandte Kunst der Zeit, von Tapisserien bis Tapeten, oft von Künstlerinnen, wird viel zu selten gezeigt. So freut sich der Besucher über die Gelegenheit und übrigens auch über das komischste Stück der Schau, eine Visitenkarte von Raoul Hausmann. Hausmann nennt sich darauf »Präsident der Sonne, des Mondes und der kleinen Erde (Innenfläche)«. Das hat etwas erhaben Kosmologisches, ob es auch etwas Afrikanisches hat, darf bezweifelt werden. Doch gibt er unten, neben seiner Adresse in Charlottenburg, den alten Ärztespruch »Qui bene diagnoscit, bene medebitur!« mit auf den Weg: Richtig diagnostiziert ist halb geheilt. Nicht Künstler, sondern Medizinmann sein – diese Laufbahn stand den Europäern nicht mehr offen. Raoul Hausmann, dem Intellektuellen in der dadaistischen Truppe, war das bewusst.
Berlinische Galerie, bis 7.11.