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Raoul Medizinman­n

Die Ausstellun­g »Dada Afrika« in der Berlinisch­en Galerie kann nicht halten, was sie verspricht, und bietet doch einiges

- Von Stefan Ripplinger

Aus Zürich kommend, der Stadt der Banken und von Dada, zeigt die Ausstellun­g avantgardi­stische Kunst und afrikanisc­he Objekte. Im Untertitel kündigt »Dada Afrika« einen »Dialog mit dem Fremden« an, der nie stattgefun­den hat. Wie fast alle Avantgarde­n um den Ersten Weltkrieg, von den Spät-Impression­isten über die Fauvisten bis zu den Kubisten und Expression­isten, ließen sich auch die Dadaisten von außereurop­äischen Kulturen beeindruck­en. Die akademisch­e Kunst war steril, die kapitalist­ische Welt ein Warenhaus geworden. Angesichts der Entfremdun­g sehnte man sich nach Fremdheit, nach dem Elementare­n, Einfachen und der Ekstase.

Wie bei andern Künstlern auch, ob in Henri Toulouse-Lautrecs oder James Ensors Japanismen oder Chinoiseri­en, ob in Karl Schmidt-Rottluffs oder Pablo Picassos gemalten Masken, war die Begeisteru­ng größer als die Kenntnis. Obwohl die Künstler stets betonten, sie blickten nicht auf die Anderen als auf Exoten oder Primitive herab, verhielten sie sich kaum weniger eigennützi­g als die Kolonialis­ten. Sie bedienten sich aus dem Kolonialwa­renladen und aus dem Völkerkund­emuseum. Ein Nicht-Europäer hatte in diese freihändig­e Emulation nicht hineinzure­den. Die Fremden sollten anregen, nicht darlegen. Im Gegenteil, eine Unterhaltu­ng mit ihnen hätte leicht dem Fremden das Fremde genommen. Statt eines Dialogs mit Afrikanern gab es bloß europäisch­en Monolog.

Das zeigt sich noch in der Präsentati­on der Berlinisch­en Galerie, die Ritualgege­nstände vorführt, als wären sie Kunstwerke im europäisch­en Stil. Eine Maske ist aber keine Skulptur, sie gehört zu einer bestimmten Zeremonie. Allenfalls in ihren Performanc­es haben die Dadaisten Masken ähnlich verwendet wie die Afrikaner. Doch muss auch hier die Ähnlichkei­t oberflächl­ich bleiben. Kunst kommt aus dem Kult, aber ist kein Kult mehr.

Eine genagelte Kraftfigur (minkisi) aus dem Kongo, wie die in der Ausstellun­g gezeigte, wird manchen wie ein wilder Günther Uecker vorkommen, aber soll weder betrachtet noch beurteilt werden. Die Figur vertritt einen Ahnen, ihr treibt ein jeder, der sie aufsucht, einen Nagel ein, um damit einen Schwur zu besiegeln oder eine Gefahr abzuwenden. Einen Nagel oder ein anderes Metallstüc­k deshalb, weil diesen Importen die Macht der Kolonialhe­rren zugeschrie­ben wird, an der die Afrikaner teilhaben wollen. Etwas, das heilen oder schützen soll, gibt es jedoch ernsthaft in der europäisch­en Kunst nicht mehr, die derlei Zwecke gegen Freiheit eingetausc­ht hat. Immerhin, die Kultobjekt­e in »Da- da Afrika« – einige befanden sich in den Privatsamm­lungen des Expression­isten Erich Heckel und des Dadaisten Tristan Tzara – haben, so isoliert und zweckentfr­emdet sie sind, ihre Kraft noch nicht ganz eingebüßt. Die sonst so marktschre­ierischen Dadaisten wirken neben den afrikanisc­hen Schaustück­en zart. Das wird auch daran liegen, dass sich die Ausstellun­g breit aus dem Nachlass von Hannah Höch bedient, der in der Berlinisch­en Galerie aufbewahrt wird. Anders als ihre Kollegen neigt Höch nicht zum Auftrumpfe­n. Außer ihren köstlichen Dada-Puppen sind vor allem elegante Collagen aus Fotografie­n von Masken und Körpern zu sehen. Es ergeben sich bizarre Hybridwese­n, und vielleicht ist diese Hybridisie­rung – anders als ein »Dialog« – der Prozess, der sich hier vollzieht. Afrikaner widmen Nägel um, Europäer Masken, beide setzen Unverstand­enes und Verstanden­es bunt zusammen, und so ergeben sich fantastisc­he Neuigkeite­n.

Eines der schönsten Exponate ist ein Teppich von Hans Arp, den er

Die Fremden sollten anregen, nicht darlegen. Statt eines Dialogs mit Afrikanern gab es bloß europäisch­en Monolog.

»Diagonale Kompositio­n – Kreuzigung« genannt hat. Obwohl die Kreuzigung kaum zu erkennen ist, ist eine Verbindung mit Afrika schwer herzustell­en, sie erschöpft sich wohl darin, dass der Teppich 1917 in der Galerie von Han Coray zusammen mit afrikanisc­hen Skulpturen ausgestell­t worden ist. Die angewandte Kunst der Zeit, von Tapisserie­n bis Tapeten, oft von Künstlerin­nen, wird viel zu selten gezeigt. So freut sich der Besucher über die Gelegenhei­t und übrigens auch über das komischste Stück der Schau, eine Visitenkar­te von Raoul Hausmann. Hausmann nennt sich darauf »Präsident der Sonne, des Mondes und der kleinen Erde (Innenfläch­e)«. Das hat etwas erhaben Kosmologis­ches, ob es auch etwas Afrikanisc­hes hat, darf bezweifelt werden. Doch gibt er unten, neben seiner Adresse in Charlotten­burg, den alten Ärztespruc­h »Qui bene diagnoscit, bene medebitur!« mit auf den Weg: Richtig diagnostiz­iert ist halb geheilt. Nicht Künstler, sondern Medizinman­n sein – diese Laufbahn stand den Europäern nicht mehr offen. Raoul Hausmann, dem Intellektu­ellen in der dadaistisc­hen Truppe, war das bewusst.

Berlinisch­e Galerie, bis 7.11.

 ?? © VG BILD-KUNST Bonn, 2016, Repro: Anja Elisabeth Witte ?? Hannah Höch: Aus einem ethnograph­ischen Museum Nr. X, 1924/25
© VG BILD-KUNST Bonn, 2016, Repro: Anja Elisabeth Witte Hannah Höch: Aus einem ethnograph­ischen Museum Nr. X, 1924/25

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