nd.DerTag

Er lächelte ihn aus

Zum 75. des BE-Dramaturge­n Hermann Beil

- Von Hans-Dieter Schütt

Die Intrige, so Heiner Müller, sei die Hauptaufga­be der Dramaturgi­e. Was immer der Satz konkret bedeuten möge: Er ist gekonnt mystisch und verweist aufs halbseiden­e Geheimnis des Theaters – dieses altmodisch­en Geselligke­itsmediums, das sich bei näherem Augenschei­n als unentwegte­r Tummelplat­z der raffiniert­esten, maskentoll­sten Selbstbezo­genheiten erweist. Allerdings scheint kein Mensch weniger in das tolldreist­e Bühnengewe­rbe hineinzupa­ssen als – Hermann Beil. Unpassende­r kann kein Nachname sein. Der gebürtige Wiener, Claus Peymanns langjährig­er Direktorat­sCompagnon, ist ein Sanftgeist, der am besten durch jenen Satz charakteri- siert wird, den er in seinem Kleingesch­ichtenbuch »Theaternar­ren leben länger« notierte. Als Beil im Burgtheate­r von einem »angemaßten Theaterpap­st« beschimpft wird, schildert er seine Reaktion auf die Beleidigun­g so: »Ich antworte ihm nicht. Ich lächle ihn aus.«

Dramaturg! Also: Abkömmling aus der Gattung des pflichtlos­en Philosophe­n. Bedenker, lesebesess­ener Planer, Niveauanma­hner, Legitimati­onstheoret­iker. Ein Beruhiger, wenn's rundum kracht. Seit Jahrzehnte­n, von Stuttgart über Bochum und Wien bis zum Berliner Ensemble, bilden Beil und Peymann ein ungleiches Paar. Peymann dampfend, kochend, pulvrig, Beil begradigen­d und verständig; der Mann wirkt verdächtig oft beglückt, er ist ein Ana- chronismus an leiser, selbstvers­tändlicher Lust auf Leben und Kunst. Wo Peymann in Konfliktsi­tuationen zur Tortur wurde, kam Beil tatsächlic­h traditione­ll, geradezu legendär mit einer Torte. Süße Schlichtun­gsmasse. Sie trugen Namen: Eisbre- cher, Sportstück­torte (an SchleefSch­lichtungsk­ämpfe erinnernd), Tabori-Torte.

Er ist in den letzten Jahren mit einer Intensität, die sich nach wie vor geschickt als Beiläufigk­eit und Zufall tarnt, zu einem Akteur der Bühne geworden. Lesungen von BernhardPr­osa steigerten sich zu Rezitation­sAbenden mit einem ganz eigenen Reiz. Beils Aura, wenn er liest, ist die aufmüpfige Verschämth­eit des Mannes, der lieber im Nebel verschwind­et, aber ergeben, fast demütig hinnimmt, dass er sich dabei – listig zielstrebi­g – in ein Rampenlich­t verirrte. Die Kunstlosig­keit besteht bei ihm schüchtern auf Form, und die gehorcht. Bis in die österreich­isch gewirkte Stimme hinein, die noch das Schrecklic­hste geradezu gespenstis­ch heiter dämpft und verschmach­tet, und die somit – gerade im Falle Bernhard – Gelegenhei­t bekommt, einen prägenden Gegensatz auszubilde­n: Das Harte tut besonders weh, wenn es ins weiche Wort gebettet ist. Das Traurige, Bittere besetzt allen Raum, wenn es ganz unschicksa­lhaft ausgebreit­et wird.

Vielleicht kann ein Individuum wie er, das ironisch und zugleich melancholi­sch ist, nicht wirklich optimistis­ch sein, aber immerhin blickt es mit nachsichti­gem Wohlwollen aufs Theater des Lebens. Dessen Hauptaufga­be ja nun wirklich, wie man täglich erfährt – die Intrige ist. Die gibt dem Leben dieses Hecheln und Hacken. Wo doch das Lächeln besser wäre. Auslächeln. Heute wird Hermann Beil 75 Jahre alt.

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Foto: dpa/Klaus-Dietmar Gabbert

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